Berlinale 2021: Die Preisträger

Gold, Sex und Internet

05.03.2021
von  Gunther Baumann
Kann denn Liebe Sünde sein? Katia Pascariu in „Bad Luck Banging or Loony Porn“ © Berlinale
Kaum begonnen – schon vorbei: Der erste Teil der Berlinale 2021, wegen der Pandemie ein reines Online-Event, endete am 5. März nach fünf Tagen mit der Bekanntgabe der Preisträger. Der Goldene Bär geht an den rumänischen Filmemacher Radu Jude für die Sex-Farce „Bad Luck Banging or Loony Porn“. Die Preisverleihung folgt erst im Juni, wenn das Programm im zweiten Teil des Festivals (9. – 20. Juni) vor Publikum gezeigt werden soll. Wir präsentieren die Gewinner.
Der Wettbewerb. 16 Filme gingen im Wettbewerb um den Goldenen Bären an den Start. Die Berlinale übertrug die Auswahl der Preisträger diesmal an eine Jury aus sechs Filmemachern, die mit ihren eigenen Werken allesamt schon Gold in Berlin gewonnen haben: Ildiko Enyedi (Ungarn), Nadav Lapid (Israel), Adina Pintilie (Rumänien), Mohammad Rasoulof (Iran), Gianfranco Rosi (Italien) und Jasmila Zbanic (Bosnien und Herzegowina).

Goldener Bär für den besten Film: „Bad Luck Banging or Loony Porn“ von Radu Jude (Rumänien)
Das Thema: Eine Lehrerin lässt sich beim Sex filmen. Das Video geht viral und löst eine heftige gesellschaftliche Debatte aus, bei der sich die Ereignisse bald überschlagen.
Die Jury: „Ein kunstvoll ausgearbeiteter Film, der zugleich ausgelassen ist, intelligent und kindisch, geometrisch und lebendig, auf beste Art ungenau. Er greift die ZuschauerInnen an, ruft Widerspruch hervor, und erlaubt doch niemandem, Sicherheitsabstand zu halten. Der Film tut das, indem er den Zeitgeist heraufbeschwört, ihn ohrfeigt, zum Duell herausfordert. Und damit hinterfragt er auch den gegenwärtigen Zeitpunkt im Kinofilm, indem er mit derselben Kamerabewegung unsere gesellschaftlichen und filmischen Konventionen erschüttert.“
 
Silberner Bär (Großer Preis der Jury): „Wheel Of Fortune And Fantasy“ von Ryusuke Hamaguchi (Japan)
Das Thema: Es geht um eine unerwartete amouröse Dreieckskonstellation, eine versuchte Verführung, die gleichzeitig eine Falle ist, und eine Begegnung, die durch ein Missverständnis zustande kommt. Die drei Episoden, die jeweils um eine Frauenfigur kreisen, sind wiederum in drei Akte gegliedert.
Die Jury: „Dort, wo Dialoge und Wörter für gewöhnlich aufhören, fangen die Dialoge dieses Films erst an. Hier gehen sie in die Tiefe, so tief, dass wir uns erstaunt und besorgt fragen: Wieviel tiefer geht es noch? Hamaguchis Wörter sind Materie, Musik, Werkstoff.“
 
Silberner Bär (Preis der Jury): „Herr Bachmann und seine Klasse“ von Maria Speth (Deutschland)
Das Thema: Die Dokumentation thematisiert Integration und Ausgrenzung am Beispiel einer Schule im deutschen Stadtallendorf. Die 12- bis 14-jährigen SchülerIinnen kommen aus verschiedenen Ländern und sprechen zum Teil noch kein Deutsch. Bevor er demnächst in Pension geht, möchte der Lehrer Dieter Bachmann bei den angehenden BürgerInnen noch die Neugier auf ganz unterschiedliche Beschäftigungsfelder, Themen, Kulturen und Lebensentwürfe wecken.
Die Jury: „Der einfühlsam-kraftvolle Dokumentarfilm zeigt, wie weit man es allein mit echtem Respekt, offenem Austausch und dem Zaubertrick bringen kann, den alle großartigen LehrerInnen beherrschen: sie entfachen das Feuer der Leidenschaft in ihren SchülerInnen, indem sie ihre Fantasie anregen.“
 
Silberner Bär (Beste Regie): Dénes Nagy für „Natural Light“ (Ungarn)
Das Thema: 1943. Während des Zweiten Weltkriegs steht in der besetzten Sowjetunion ein langer Winter bevor. István Semetka gehört zu einer ungarischen Sondereinheit, die Dorf für Dorf nach sowjetischen Partisanen durchsucht. Eines Tages gerät die Einheit auf dem Marsch in eine entlegene Ortschaft unter feindlichen Beschuss.
Die Jury: „Beängstigende und wunderbar gefilmte, hypnotisierende Bilder; eine beeindruckende Regiearbeit und meisterhafte Steuerung jeder einzelnen Komponente des Filmkunsthandwerks; eine Erzählung, die über ihren geschichtlichen Zusammenhang hinausweist.“
 
Beste Darstellerin: Maren Eggert (mit Dan Stevens) in „Ich bin dein Mensch“ © Berlinale

Silberner Bär (Beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle): Maren Eggert für „Ich bin dein Mensch“ von Maria Schrader (Deutschland)
Das Thema: Die Liebe in der Zeit der künstlichen Intelligenz. Maren Eggert spielt eine Wissenschaftlerin, die für ein Forschungsexperiment drei Wochen lang mit einem Mann namens Tom (Dan Stevens) zusammenzieht, der wie ein Mensch aussieht, aber ein Roboter ist. Mit fortschreitender Zeit kann sie sich der Ausstrahlung des maschinellen Charmebolzens immer weniger entziehen.
Die Jury: „Ihre Präsenz machte uns neugierig, ihr Charme sensibel. Und ihre breite schauspielerische Palette ließ uns fühlen, lachen und Fragen stellen. Maren Eggert erfüllt mit Unterstützung ihrer wunderbaren KollegInnen und ihrer Regisseurin Maria Schrader ein ausgezeichnetes Drehbuch selbstbewusst mit Leben und erschuf eine unvergessliche Figur.“
 
Silberner Bär (Beste schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle): Lilla Kizlinger für „Forest – I See You Everywhere“ von Bence Fliegauf (Ungarn)
Das Thema: Sieben fugenartig komponierte Miniaturen, hypnotisch und erratisch, scheinbar harmlos zu Beginn, dann zunehmend intensiver. Am Ende kulminieren sie zu einem Psycho-Kaleidoskop. Der Großvater schweigt – ist er am Leben? Ein Mann spricht mit dem Kleiderschrank – weshalb? Gespensterhaft schleichen sich Abwesende in die Gespräche und das Leben von Paaren und Familien: Verlorene, Verdrängte, Vermisste.
Die Jury: „Auf ihren jungen Schultern trägt Lilla Kizlinger eine außergewöhnliche Verantwortung mit Anmut und einer täuschend natürlichen Lockerheit. Allein durch die Kraft ihrer Interpretation und ihre intensive Präsenz zieht sie die verdeckten Ebenen der Szene an die Oberfläche und definiert damit genau genommen den Anlass hinter dem Film: die unheimliche Bedrohung dieser Welt, das Erbe, das wir Erwachsenen den Kindern von heute überlassen.“
 
Silberner Bär (Bestes Drehbuch): Hong Sang-soo für „Introduction“ (Südkorea)
Das Thema: Zwei Mütter wollen ihren Kindern den Weg ins Leben ebnen, aber die entscheiden sich anders.
Die Jury: „Dieses Drehbuch schafft mehr, als eine Geschichte zu erzählen oder die Handlung effizient voranzutreiben, indem es jene flüchtigen Zwischenräume zwischen einer Handlung und der nächsten herstellt, in denen, für einen Augenblick, eine verborgene Wahrheit des menschlichen Lebens unversehens offenbart wird, hell und klar.“
 
Silberner Bär (für eine herausragende künstlerische Leistung): Yibran Asuad für die Montage von „A Cop Movie“ von Alonso Ruizpalacios (Mexiko)
Das Thema: Was muss man mitbringen, um PolizistIn in Mexiko-Stadt zu sein? Zwei professionelle SchauspielerInnen gehen dieser Frage auf den Grund: Sie steigen in die Uniform und vermitteln uns Innenansichten aus dem Polizeialltag, die unter die Haut gehen.
Die Jury: „Der Silberne Bär geht an das meisterhafte Montagekonzept eines gewagten, innovativen Kinowerks, das die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen lässt und mutig die Fähigkeit der Filmsprache erforscht, unsere Sicht auf die Welt zu verändern.“
 
Alle Preisträger
Wettbewerb

Goldener Bär für den besten Film: „Bad Luck Banging or Loony Porn“ von Radu Jude (Rumänien)
Silberner Bär (Großer Preis der Jury): „Wheel Of Fortune And Fantasy“ von Ryusuke Hamaguchi (Japan)
Silberner Bär (Preis der Jury): „Herr Bachmann und seine Klasse“ von Maria Speth (Deutschland)
Silberner Bär (Beste Regie): Dénes Nagy für „Natural Light“ (Ungarn)
Silberner Bär (Beste schauspielerische Leistung in einer Hauptrolle): Maren Eggert für „Ich bin dein Mensch“ von Maria Schrader (Deutschland)
Silberner Bär (Beste schauspielerische Leistung in einer Nebenrolle): Lilla Kizlinger für „Forest – I See You Everywhere“ von Bence Fliegauf (Ungarn)
Silberner Bär (Bestes Drehbuch): Hong Sang-soo für „Introduction“ (Südkorea)
Silberner Bär (für eine herausragende künstlerische Leistung): Yibran Asuad für die Montage von „A Cop Movie“ von Alonso Ruizpalacios (Mexiko)
 
Berlinale-Reihe Encounters
Bester Film: „Nous“ von Alice Diop (Frankreich)
Spezialpreis der Jury: „Taste“ von Le Bao (Vietnam)
Beste Regie (ex aequo):  Ramon & Silvan Zürcher für „Das Mädchen und die Spinne“ (Schweiz); Denis Coté für „Hygiène sociale“ (Kanada)
 




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