Philipp Stölzl


„Manchmal hasst man das Ganze auch“

31.12.2013
Interview:  Gunther Baumann

„Medicus“-Regisseur Philipp Stölzl: „Für den Film mussten wir uns vom Roman entfernen“ © Starpix / A. Tuma

Wie rückt man das Mittelalter authentisch ins Bild? Wie macht man aus einem epischen Roman einen spannenden Film? Für welche Rollen wählt man Stars, und für welche unbekannte Talente? Philipp Stölzl, der Regisseur des Mittelalter-Blockbusters „Der Medicus“, gewährt im FilmClicks-Interview tiefe Einblicke ins Regie-Handwerk. Sein Rüstzeug erwarb der Deutsche in Wien: „Ich habe anfangs der Neunziger bei den Musikvideo-Legenden Dolezal-Rossacher gelernt und bin dort zum Regisseur ausgebildet worden“. Damals schuf Stölzl Video-Clips für Rammstein, Madonna oder Garbage. Heute inszeniert der 46-jährige Münchner, der in Berlin lebt, mal große Oper bei den Wiener Festwochen oder den Salzburger Festspielen – und dann wieder großes Kino.


Herr Stölzl, „Der Medicus“ ist mit 155 Minuten Länge ein sehr imposantes Werk geworden. Ist das Filmemachen immer ein pures Vergnügen für Sie?
Philipp Stölzl: Nein. Wenn man einen langen Film macht und den schneidet und abschließt, dauert das ewig. Irgendwann hasst man dann das Ganze auch, man will den Film nicht mehr sehen, an dem man nur noch die Fehler bemerkt. Das ist schrecklich - wie eine ganz schlimme Beziehung, von der man sich nicht lösen kann. Da tut es mir dann sehr gut, wenn ich zwischendurch eine Oper inszeniere und sechs Wochen etwas ganz Anderes machen kann. Es ist wie ein Urlaub vom anderen Metier; da wirkt man dann wieder befreit. Denn einen Film zu machen, das fordert zweieinhalb Jahre Lebenszeit. Es ist eine sehr persönliche Arbeit: Man fängt mit einem leeren Blatt Papier an und zweieinhalb Jahre später  mischt man den letzten Ton. Man kennt dann jedes Molekül seines Films.  Was gut an dem Film wird, das ist dein eigener Verdienst, und was schlecht wird, das ist dein eigenes Versagen.
 
Bei „Der Medicus“ vergingen vom Buch bis zur Verfilmung mehr als 20 Jahre…
Den Roman haben in den Achtziger Jahren fast alle gelesen, blätter, blätter am Strand, das war eine klassische Urlaubs-Lektüre. Seither war die Verfilmung in Entwicklung. Der Plot ist sehr fragmentarisch, mit vielen kleinen Mini-Bögen, und das eignet sich erst mal schwer für einen Kinofilm. Man hätte auch eine zehnteilige TV-Serie draus machen können. Andererseits: Die schwergewichtigen Themen des Romans – religiöse Lebenswelten, Toleranz, das Streben nach Erkenntnis – gehören auf die große Leinwand. Es gibt unglaublich viele Drehbuchfassungen von vielen Autoren, doch die verschiedenen Produzenten waren nie der Meinung, die Bücher seien gut genug, dass man die Geschichte verfilmt. Ich kam zu einem Zeitpunkt an Bord, als das Projekt irgendwie in der Sackgasse lag: Man hatte sich von einem anderen Regisseur getrennt, man hatte ein Buch, mit dem man nicht wirklich glücklich war, und es gab nicht genug Geld.
 
Wie wurde denn dann ein Film draus?
Natürlich fragte man sich, warum das Ganze nicht so funktioniert wie gewünscht. Und die Erkenntnis lautete: Wenn man die früheren Fehler nicht wiederholen will, dann muss man sich weiter vom Roman entfernen. Man muss etwas schaffen, das dem Buch vom Geist und von den Motiven her treu ist. Doch die Plot-Bögen müssen neu gestrickt und verdichtet werden. Das haben wir gemacht. Romanautor Noah Gordon war – mit allen kreativen Streitereien – mit an Bord.
 
Haben Sie nicht die Sorge, die Fans des Romans könnten über die Abweichungen vom Text enttäuscht sein?
Wir bauen ehrlich gesagt ein bisschen darauf, dass der Roman von den meisten Leuten in den Achtziger Jahren gelesen wurde. Da ist die Erinnerung schon sehr neblig. Bei Testvorführungen kam der Film bei Lesern des Romans gut an: „Es ist zwar anders erzählt, aber wir finden das Gefühl vom Buch wieder.“
 
Wie haben Sie Ihre Besetzung gefunden?
Ben Kingsley war, als ich dazukam, schon irgendwie mit an Bord – mit der Klausel, „dependent on script“. Den Rest haben wir dann quasi zusammengefangen.  Wir brauchten Schauspieler, die für die Rollen stimmen und die auch für Weltverkäufe tauglich sind. Denn zwar wurde das Projekt aus Deutschland heraus gestemmt, doch die deutsche Kohle genügte nicht für den ganzen Film. Wir brauchten also einen Cast, mit dem man den Film auch in anderen Regionen anbieten konnte. Stellan Skarsgard zum Beispiel ist ein genialer Griff. Der macht seine Lars-von-Trier-Wahnsinnsteile, und dann spielt er in „The Avengers“ irgendeinen Bösewicht. Das ist für Verkäufe super. Und das gibt einem dann die Möglichkeit, für die Titelrolle einen noch unbekannten Schauspieler wie Tom Payne zu engagieren. 

Arrivierter Star und junges Talent: Stellan Skarsgard und Tom Payne © Universal Pictures

Wieso haben Sie gerade für die Rolle des Medicus keinen Star verpflichtet?
Gegenfrage: Wer hätte es denn spielen sollen? Wir brauchten jemand im Spielalter zwischen 20 und 22. Will man da einen Orlando Bloom sehen? Eigentlich nein. Ein James McAvoy wäre für mich ein toller Schauspieler gewesen, und es gibt noch andere, die man gut kennt. Aber die sind eigentlich alle zu alt für dieses Ding, denn die Geschichte handelt von einem sehr jungen Mann. In diesem Spielalter gibt es nicht so viele Darsteller, die an der Kinokasse eine Bedeutung haben. Also konnten wir mit dem Engländer Tom Payne einen Unbekannten nehmen, der beim Casting den besten Eindruck machte. Tom ist eine tolle Mischung: Ein sehr hübscher Junge – das braucht man für so einen Abenteuerfilm – mit neugierigen Augen. Außerdem hat er eine tolle Klaviatur – er kann unglaublich nuanciert spielen. Er schafft es, aus Kleinigkeiten spannende Momente zu machen.
 
Sind Persien und das mittelalterliche England so dargestellt, wie es damals dort wirklich aussah?
Na ja, das ist so eine Gemengelage. Das Mittelalter wird nicht umsonst eine dunkle Zeit genannt – man weiß fast nichts drüber. Es gibt nur ganz wenige schriftliche Aufzeichnungen  und sehr wenig Bilder. Vom Ende des oströmischen Reiches bis zur frühen Renaissance klafft ein Riesenloch. Da können wir oft nur Mutmaßungen anstellen. Was etwa den Kleidungsstil betrifft, da existiert genau ein französischer Wandteppich, auf dem man ein bisschen sieht, wie die Leute in dieser Zeit angezogen waren.
 
Sie haben sich also notgedrungen viele Freiheiten genommen, was die Optik des Films betrifft?
Man kann da viel von Ridley Scott lernen,  dem Meister der Historienfilme. Der setzt mit der Wucht seiner Bilder immer auf Wirkung. Das hilft dabei, das historische Set-Up ins Ziel zu schieben. Denn wenn man nicht Gas gibt und Alarm macht mit Nebel und Dreck und Staub, dann sieht so ein Film so kostümig aus, als käme man direkt aus dem Kostümverleih. Ridley Scott schafft mit Kamera und Musik immer eine gewisse Hyper-Realität, und das kauft man als Zuschauer. Es geht um die Glaubwürdigkeit.
 
Können Sie weitere Beispiele nennen?
Nehmen wir die jüdischen Figuren des Films. Man kann nachlesen, dass die Juden jener Zeit vollkommen assimiliert waren. Die Juden in England redeten englisch und waren wie Engländer angezogen. Dito die Juden in Persien, die sprachen Persisch und sahen aus wie Perser. Im Film musste man aber unbedingt alle auseinanderkennen: Wer ist Engländer , wer sind die Mullahs, wer ist Jude? Wir haben zum Beispiel den Juden Locken gegeben, aber wir wissen nicht, ob sie ihr Haar damals wirklich so getragen haben – vermutlich nicht.  Bei den jüdischen Hintergrundgesprächen ist viel Hebräisch drin, doch historisch ist das eigentlich Unsinn. Denn das Hebräische wurde ja im Grunde erst im 19. Jahrhundert durch Theodor Herzl wieder zum Leben erweckt. Wir haben uns also viele Freiheiten genommen, um den Film im Dienste der Glaubhaftigkeit auf den Punkt zu bringen. „Der Medicus“ ist schließlich kein Geschichtsfernsehen – der Film muss im Kino funktionieren.
 
„Der Medicus“ schaut toll aus und wirkt fast wie ein Monumentalfilm. Das lässt auf ein sehr hohes Budget schließen…
Für deutsche Verhältnisse ist das ein riesiger, für internationale Verhältnisse aber ein ganz kleiner Film. Wir hatten ein Budget von 26 Millionen Euro. Das ist eine Menge Geld, doch es ist schnell weg, wenn man so einen Film machen muss. Wir haben in Thüringen, in Schottland und viel im Studio in Köln gedreht. Und dann waren wir in der Wüstenstadt Ouarzazate in Marokko, wo seit „Lawrence von Arabien“ sehr viele Filme entstehen, die so eine Landschaft brauchen. Allein die Italiener haben dort ein Dutzend Bibelfilme gedreht. Es gibt einen Hügel namens Crucify Hill, auf dem sind schon 50 Film-Jesusse gestorben. Man hat einen Betonfuß in den Boden eingelassen, in den dann das Kreuz reinkann. Haben wir nicht gebraucht, aber es ist vorhanden.  Wir haben dafür die Studio-Straßen von Römisch und Biblisch auf Persisch umgebaut.



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