Stellan Skarsgard


„Das Mittelalter? Das waren gefährliche und brutale Zeiten!“

29.12.2013
Interview:  Gunther Baumann

„Der Medicus“: Stellan Skarsgard (li.) als mittelalterlicher Bader mit Tom Payne © Universal Film

Derzeit sieht man ihn im Mittelalter-Epos „Der Medicus“ als grimmigen englischen Bader, der Krankheiten mit Zange und Säge behandelt: Der schwedische Hollywood-Star Stellan Skarsgard ist einer der vielseitigsten Schauspieler der internationalen Szene. Große Superhelden-Blockbuster wie „The Avengers“ oder „Thor“ sind genauso sein Ding wie Musicals („Mamma Mia!“), Thriller („Verblendung“) oder die Arthaus-Hits von Lars von Trier. Im FilmClicks-Gespräch erzählt der 62-Jährige über Hollywood und Europa, über seine Rolle im Von-Trier-Kunstporno „Nymphomaniac“ und darüber, warum er noch immer in Stockholm lebt: „Hohe Steuern, aber niemand hungert – das finde ich ein sehr gutes Konzept!“


FilmClicks: Was hat Sie denn daran gereizt, bei der Bestseller-Verfilmung „Der Medicus“ ins mittelalterliche Kostüm zu schlüpfen?
Stellan Skarsgard: Der Bader, den ich spiele, ist eine Figur, in die ich mich auf den ersten Blick verliebt habe – solche Rollen bekommt man nicht so oft. Dann gefiel mir an dem Projekt die Tatsache, dass es ein europäischer Versuch ist, einen großen, klassischen, epischen Film zu machen. So etwas hat es viele Jahre lang nicht gegeben. Auch die Amerikaner haben aufgehört, solche Filme zu produzieren.  Der Markt hat sich ganz auf die großen Event Movies konzentriert, bei denen ich ebenfalls öfters mitmache, wie etwa in „The Avengers“. Was mir an „Der Medicus“ obendrein gefiel, ist die Tatsache, dass hier wichtige Themen behandelt werden: Toleranz, Religion oder der Gegensatz zwischen Glaube und Wissenschaft.
 
Ihre Figur des Baders im „Medicus“ ist so eine Art Arzt des Mittelalters. Es ist verblüffend, im Film zu sehen, wie wenig man damals in Europa von  der Heilkunst verstand.
Das waren in der Tat gefährliche und brutale Zeiten. Bis zum Beginn der Renaissance waren die Wissenschaft und die Bildung in Europa auf dem Rückzug. Möglicherweise haben sogar die Wikinger 200 Jahre früher mehr gewusst als die Engländer im 11. Jahrhundert, um die es hier geht.  Die Produktion hat sich bemüht, jene Zeit so originalgetreu wie möglich auf die Leinwand zu bringen.
 
Sie erwähnten vorhin Ihre Rollen in großen Superhelden-Filme wie „The Avengers“ oder „Thor“. Hätten Sie sich Auftritte dieser Art zu Beginn Ihrer Karriere vorstellen können?
Nein – allein schon deshalb, weil es solche Filme damals gar nicht gab (schmunzelt).  Das Auffällige an diesen großen Blockbustern ist es, dass sie von einer enormen und sehr effizienten Marketing-Maschine getragen werden. Das führt dazu, dass mein dreijähriger Sohn schon über die Filme Bescheid weiß, bevor ich noch beim Dreh war.  Ein großer Unterschied, etwa  zu den Actionfilmen der Achtziger Jahre,  ist es, dass heute für diese Blockbuster extrem begabte Autoren, Regisseure und Schauspieler engagiert werden. Schauen Sie sich das Ensemble von „The Avengers“ an, mit Robert Downey Jr., Scarlett Johansson,  Chris Hemsworth  und Jeremy Renner. Das ist ein unglaublicher Cast!

Was ist der große Unterschied beim Dreh, wenn man „Der Medicus“ und „The Avengers“ vergleicht?
Die Zeit. „Der Medicus“ wurde mit einem Budget von vielleicht 30 Millionen Euro gedreht, und das bedeutet bei so einem großen Film, dass man zeitlich sehr beschränkt ist. Bei einer Produktion wie „The Avengers“ dreht man fünf Monate lang, und dann gibt es noch Nachdrehs. Anschließend wird der Film geschnitten, und da kann es geschehen, dass neue Szenen geschrieben und zusätzliche Nachdrehs angesetzt werden. Die können sich das leisten. Ein anderer Unterschied: Der Regisseur eines Hollywood-Blockbusters hat bei weitem nicht so viel Macht wie Philipp Stölzl beim „Medicus“. Speziell, wenn es um die Superhelden-Filme von Marvel geht. Marvel funktioniert wie ein kleines Independent-Studio, das sind vielleicht fünf Leute. Die kennen das Marvel-Universum bis ins winzigste Detail, und sie passen verdammt gut auf, dass da alles perfekt stimmt.
 
Der Sprung von den „Avengers“ zum Set eines Lars-von-Trier-Films muss gewaltig sein…
Der ist in der Tat gewaltig, aber ich genieße es, beides zu machen. Es ist wie beim Essen: Mal freut man sich auf einen raffinierten Coq au Vin, manchmal hat man Lust auf einen Hot Dog.
 
Was sagen Sie denn zum neuen Von-Trier-Film „Nymphomaniac“?
Nun, ich habe die lange Fünfeinhalb-Stunden-Version gesehen, und ich hätte noch eine weitere Stunde im Kino vertragen – ich mag den Film wirklich sehr. Ich habe übrigens keine Sex-Szenen in „Nymphomaniac“.  Ich sitze mit Charlotte Gainsbourg in einem Raum und wir reden die ganze Zeit. Zwischendurch gibt es dann die Rückblicke auf ihr Leben. Die Szenen zwischen Charlotte und mir wurden zwei Wochen lang gedreht – wir hatten 90 Seiten Dialog…
 
Sehen Sie gern Ihre eigenen Filme an?
Nicht besonders. Denn mir fällt dann immer nur auf, was ich hätte besser machen können.  Wenn heute, sagen wir „Mamma Mia!“ im Fernsehen läuft, dann schalte ich lieber ab und lese ein gutes Buch. Ich versuche meistens, meine Filme zu sehen, bevor sie ins Kino kommen. Das erspart es mir, mich dann bei der Premiere möglicherweise zu genieren.
 
Haben Sie denn „Der Medicus“ schon gesehen?
Vor ein paar Tagen, in der Originalversion. Und ich habe gehört, dass auch die deutsche Synchronfassung in Ordnung sein soll: Ich werde vom gleichen Mann gesprochen, der sonst George Clooney synchronisiert.
 
Wie fühlt sich das an, wenn Sie sich einmal in einem synchronisierten Film sehen?
Schrecklich. Total pervers. Ich kann immer nur hoffen, dass die Synchronsprecher gut sind und nicht versuchen, eine Show aus ihrer Arbeit zu machen.
 
Leben Sie noch immer in Stockholm?
Ja. Es ist sehr angenehm dort. Hohe Steuern, aber niemand hungert – das finde ich ein sehr gutes Konzept!



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