Viennale 2018

Das Programm: Start in eine neue Ära

17.10.2018
von  Gunther Baumann
Viennale-Direktorin Eva Sangiorgi: © Viennale / Ferrigato
Startschuss für die Viennale 2018. Vom 25. Oktober bis zum 8. November läuft die 56. Ausgabe des Wiener Filmfestivals, das erstmals von der neuen Direktorin Eva Sangiorgi programmiert wird. An die 300 Filme stehen zur Wahl: „Wir zeigen Produktionen von überall, große Regisseure genauso wie kleine Filme“, sagt Eva Sangiorgi. Das Programm besteht wie immer aus herausragenden Werken des internationalen Filmjahres, Entdeckungen und Klassikern. Ein Stargast – wie 2017 Christoph Waltz – kommt dieses Jahr nicht. FilmClicks präsentiert die Höhepunkte des Festivals.

Eröffnung.
Die italienische Ära der Viennale beginnt mit einem italienischen Film. Direktorin Eva Sangiorgi hat für die Eröffnungs-Gala am 25. Oktober Alice Rohrwacher mit „Glücklich wie Lazzaro“ („Lazzaro felice“) eingeladen. Der Film, der beim Festival Cannes den Preis für das beste Drehbuch gewann, ist eine betörende Mischung aus realistischem Sozialdrama und mystischer Kino-Saga. „Lazzaro“ spielt zunächst in den 1990er Jahren in der tiefsten italienischen Provinz, wo eine Großfamilie von Erntearbeitern wie in der Zeit der Sklaverei existiert: Im Mittelpunkt steht ein besonders sanfter und duldender junger Mann, der von Alice Rohrwacher (die Regisseurin kommt zur Premiere nach Wien) aus gutem Grund den Namen Lazzaro bekam. Im zweiten Teil wird der stille, aber eindringliche Film nämlich zu einer modernen Version der biblischen Lazarus-Sage. Nach einem tiefen Sturz steht dieser Lazzaro von den Toten auf und entwickelt fortan auf die Außenwelt eine geradezu magische Ausstrahlung. „Glücklich wie Lazzaro“ läuft nach der Viennale-Gala bereits am 1. Novmber in Österreichs Kinos an.   
 
Finale. Für den Festival-Ausklang am 8. November hat man „El Angel“ aus Argentinien ausgewählt. Trotz des engelhaften Titel geht es auf der Leinwand brutal zu. Regisseur Luis Ortega erzählt die wahre Geschichte des jugendlichen Serienkillers Carlos Robledo Puch, der zu Beginn der 1970er Jahre in Buenos Aires Angst und Schrecken auslöste.
 
Hauptprogramm.  Viennale-Chefin Eva Sangiorgi hat in der Darstellung des Hauptprogramms die Trennung zwischen Spielfilmen und Dokumentationen aufgehoben. Das ändert aber natürlich nichts daran, dass die ausgewählten Produktionen zu jeweils einem dieser zwei Genres gehören.


 
Einige besonders interessante Spielfilme: „Roma“ von Alfonso Cuarón ist der Siegerfilm (Goldener Löwe) des Festivals Venedig, den man nur selten auf der großen Leinwand sehen wird: Es handelt sich nämlich um eine Netflix-Produktion. Regisseur Cuarón zeigt in dem entschleunigten und in elegantem Schwarz-Weiß gedrehten Drama Impressionen aus seiner Kindheit in Mexico City: Pure Kino-Poesie.

Von „La La Land“-Regisseur Damien Chazelle stammt das Astronauten-Drama „Aufbruch zum Mond“ („First Man“), in dem Ryan Gosling in der Rolle von Neil Armstrong an Bord einer Apollo-Raumkapsel zum Mond fliegt. „The Favourite“ ist eine der wenigen Komödien im Programm: Rachel Weisz und Emma Stone kämpfen bei Hofe in London um die Gunst von Queen Anne (Olivia Colman wurde für ihr königliches Spiel in Venedig zur besten Darstellerin gewählt). Mit „3 Faces“ dem neuen Werk des iranischen Dissidenten Jafar Panahi (Drehbuch-Preis in Cannes) präsentiert Eva Sangiorgi einen ihrer Lieblingsfilme des Jahres. „Adam und Evelyn“ von Andreas Goldstein erzählt eine Ost-West-Geschichte aus dem August 1989, als der Eiserne Vorhang immer größere Lücken bekam.


 
Manche wichtige Filme sind im Programm schwer zu entdecken, weil alle Produktionen konsequent mit dem Originaltitel angeschrieben werden. Wer etwa Pawel Pawlikowskis eindrucksvolle Romanze „Cold War“ (Regie-Preis in Cannes) sehen will, muss im Katalog unter dem Buchstaben Z (wie „Zimna Wojna“) nachschlagen. Das Polit-Singspiel „Season Of The Devil“ von Lav Diaz wäre auf dem Spielplan-Folder leichter zu finden, stünde da nicht nur der philippinische Titel „Ang panahon ng halimaw“. Auch „Da xiang xi di er zuo“ wird viele Viennale-Besucher vor sprachliche Rätsel stellen (der englische Titel des chinesischen Films von Hu Bo lautet „An Elephant Sitting Still“).    
 
Sehenswerte Dokumentationen: Rainer Komers schildert in „Barstow, California“ das Dasein des Amerikaners Spoon Jackson, der wegen eines Mordes seit 1977 eine lebenslängliche Haft absitzt. Ron Mann porträtiert in „Carmine Street Guitars“ den legendären New Yorker Gitarrenbauer Rick Kelly. „L’Empire de la perfection“ von Julian Faraut dreht sich um ein berühmtes Tennis-Match zwischen John McEnroe und Ivan Lendl im Jahr 1984. „Fotbal Infinit“ von Corneliu Porumboiu  lenkt den Fokus auf den rumänischen Ex-Fußballer Laurentiu Ginghinás, der seit seinem Karriere-Ende fanatisch (wenngleich ohne Erfolg) daran arbeitet, die Regeln des Fußballsports neu zu fassen.  


 
Österreich. Produktionen aus Österreich sind bei der Viennale gut vertreten, wobei sich gleich mehrere Spielfilme dem Thema Migration widmen. Markus Schleinzer etwa zeigt sein historisches Drama „Angelo“, das schon bei den Festivals in Toronto und San Sebastián hoch gelobt wurde. Sudabeh Mortezai widmet sich in „Joy“ einigen Zuwanderinnen aus Afrika, die in Europa als Sexarbeiterinnen ihren Körper verkaufen müssen, um zu überleben. Wolfgang Fischer wiederum hat einen ganz anderen Zugang zum Thema gewählt: In seinem spektakulären Drama „Styx“ geht’s um eine europäische Ärztin, die mit einer Yacht ganz allein durch den Südatlantik segelt. Dort sieht sie auf einmal in der Ferne ein überfülltes und offenkundig havariertes Flüchtlingsboot.  
 
Dokumentationen aus Österreich: „Das erste Jahrhundert des Walter Arlen“ von Stephanus Demanig besucht den 1920 in Wien geborenen und nunmehr 98-jährigen Komponisten Walter Arlen, der 1939 vor den Nazis in die USA fliehen konnte. „Ute Bock Superstar“ ist ein letztes Lebewohl an die verstorbene Flüchtlingshelferin Ute Bock; gestaltet vom Therapeuten und Filmemacher Houchang Allahyari. „Kino Wien Film“ von Paul Rosdy lädt zu einer Zeitreise durch die Tradition der Wiener Cinephilie.
 
Stars. Chloe Sevigny war als Stargast vorgesehen, musste jedoch wegen Dreharbeiten absagen. Das hat zur Folge, dass die Viennale 2018 mit der Tradition des verstorbenen Direktors Hans Hurch bricht, jedes Jahr einen speziellen Stargast in Wien zu begrüßen. Trotzdem umfasst die internationale Gästeliste des Festivals einige bekannte Namen. Erwartet werden Regisseure wie Lav Diaz  („Season Of The Devil“ und Viennale-Trailer 2018), Olivier Assayas („Doubles vies“), Claire Denis („High Life“), Alice Rohrwacher („Glücklich wie Lazzaro“) oder Luca Guadagnino („Suspiria“).
 
In Focus. Die Reihe „In Focus“ lädt dieses Jahr in besonderem Maße zu Entdeckungsreisen ein. Denn hier werden Filmkünstler präsentiert, deren Arbeiten zum Teil nur eingefleischten Cineasten ein Begriff sind: Gürcan Keltek (Türkei), Jorge Acha (Argentinien), Roberto Minervini (Italien) und Jean-Francois Stévenin (Frankreich). Letzterer ist nicht nur Regisseur, sondern auch Schauspieler. Am 26. Oktober wird er in einem Screening von Francois Truffauts Meisterwerk „Die amerikanische Nacht“ – dem vielleicht schönsten jemals gedrehten Film über das Filmemachen – zu sehen sein.  
 
Surviving Images. Das Filmarchiv Austria geht im Spezialpürogramm „Surviving Images“ den Spuren jüdischer Kultur und Geschichte im deutschsprachigen Stummfilm nach: Eine Erinnerung an jüdische Lebenswelten, die nur in Filmbildern überlebt haben. Anlass für die Filmreihe im Metro Kinokulturhaus ist die Rekonstruktion und Restaurierung von Hans Karl Breslauers Film „Die Stadt ohne Juden“. Zu den Stummfilmen gibt’s in jeder Vorstellung Live-Musik.
 
Retrospektive. Die alljährliche Retrospektive der Viennale mit dem Österreichischen Filmmuseum trägt dieses Jahr den Titel „The B-Film“. Vom 26. Oktober bis zum 5. Dezember sind amerikanische Low-Budget-Produktionen zu sehen, die in den Jahren 1935 bis 1959 entstanden und deren puristischer Stil etliche große Regisseure der Gegenwart – von Martin Scorsese bis Quentin Tarantino – beeinflusste. Wie es in der Entstehungszeit dieser Filme üblich war, werden einige von ihnen als „Double Bill“ gezeigt. Also als Kombination von zwei Titeln nacheinander. 
 
Schauplätze, Tickets, Infos. Die Viennale bespielt wie immer die Wiener Innenstadt. Wichtigster Schauplatz ist das Gartenbau-Kino mit 750 Plätzen. Dazu kommen das Urania-Kino, das  Stadtkino im Künstlerhaus und das Metro-Kino mit seinen zwei Spielstätten, dem Historischen Saal und dem Eric-Pleskow-Saal. Im Filmmuseum in der Albertina laufen neben der Viennale-Retrospektive „The B-Film“ auch zahlreiche reguläre Festival-Vorstellungen.
Für Diskussionen, Präsentationen und die allabendlichen Partys hat vom 25. Oktober bis 8. November täglich von 18 Uhr bis 4 Uhr früh wieder das Viennale Festivalzentrum  in der Kunsthalle Wien im Museumsquartier (Wien 7., Museumsplatz 1) geöffnet. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen und Konzerten ist frei.
Der Ticketverkauf beginnt am 20. Oktober. Einzelkarten kosten unverändert 9,50 Euro. Bei Abnahme von mindestens zehn Karten zahlt man 9 Euro pro Ticket, ab 20 Karten sind es dann 8,30 Euro.
Karten im Vorverkauf gibt es vom 20. bis 25. Oktober (10 – 20 Uhr) im Metro Kinokulturhaus, im Viennale-Kiosk am Schottentor (bis  21. 10.) und im Gartenbau-Kino. Natürlich sind die Kassen aller Festival-Kinos bei allen Vorstellungen geöffnet.
Darüber hinaus kann man Tickets auch telefonisch über die Nummer 01 526 594 769 bestellen (Bezahlung mit Kreditkarte). Schließlich gibt es noch die Möglichkeit, Tickets via www.viennale.at online zu erwerben.

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