Drehreportage: „Maikäfer flieg“

Ein Kind und Krieg und Frieden in Wien

09.08.2015
von  Gunther Baumann
„Maikäfer flieg“: Gerald Votava, Zita Gaier, Paula Brunner und Ursula Strauss © Mirjam Unger
„Maikäfer flieg“: Ein Meisterwerk der österreichischen Jugendliteratur kommt 2016 ins Kino. Am Wochenende fiel in Wien die letzte Klappe für die Verfilmung des Romans, in dem Autorin Christine Nöstlinger erzählt, wie sie als Neunjährige 1945 das Kriegsende erlebte. Regisseurin Mirjam Unger holte ein starkes Ensemble mit Ursula Strauss und Gerald Votava, Krista Stadler, Heinz Marecek und dem russischen Star Konstantin Khabensky („Wächter der Nacht“) vor die Kamera. Die Hauptrolle der neunjährigen Christine wird von Neuentdeckung Zita Gaier gespielt.
Dreh. Der Schauplatz: Eine der selten gewordenen G’stättn in der Wiener Vorstadt. Auf den Julius-Meinl-Gründen in Hernals zieht ein Pferdefuhrwerk wieder und wieder vor der Kamera vorbei – und vor einer ruinenhaften Hausfassade, die so aussieht, als würde sie seit Jahrzehnten unbeachtet vor sich hin modern.
 
Locations wie diese sind wichtig für das Filmprojekt „Maikäfer flieg“. Schließlich spielt der Film im Jahr 1945. Zu einer Zeit also, als die Stadt trist, grau und über weite Strecken ein Trümmerfeld war. „Maikäfer flieg“, 1973 erschienen und in viele Sprachen übersetzt, ist die Geschichte eines Mädchens, das in diesem kaputten Wien aufwächst. Und das, so Regisseurin Mirjam Unger, „vom Frieden genauso wenig weiß, wie die Kinder heute vom Krieg wissen.“
 
Nöstlingers Roman und auch der Film blicken aus der Perspektive der neunjährigen Christine auf die Welt. Mirjam Unger: „Ausgebombt und völlig mittellos kommt sie mit ihrer Familie in einer noblen Villa in Neuwaldegg unter. Jetzt haben sie Quartier, aber mehr nicht. Nach der Kapitulation der Deutschen quartieren sich die Russen im Haus ein. Alle fürchten sich vor den Russen. Nur Christine nicht.“

Zita Gaier (vorn): Ein unerschrockenes Mädchen im Wien des Jahres 1945 © Oliver Oppitz

Herausforderungen. Für die Beteiligten war die Verfilmung des Romans eine Herzensangelegenheit – die freilich mit etlichen Herausforderungen  verbunden war.
 
Für Regisseurin Unger, die gemeinsam mit Sandra Bohle auch das Drehbuch schrieb, lag die erste große Hürde beim Verfassen des Skripts: „Der Roman ist so kompakt und so filmisch geschrieben, dass es wahnsinnig schwer war, die Geschichte auf Filmlänge zu kürzen.“
 
Produzentin  Gabriele Kranzelbinder (KGP Film) legte ein besonderes Augenmerk auf Ausstattung und Locations. Denn „Maikäfer flieg“ ist ein historischer Film: „Wir kombinieren Archivmaterial vom zerstörten Wien mit Studioaufnahmen  und Drehs an Originalschauplätzen.“ CGI-Tricks aus dem Computer sollen das Ganze dann zusammenführen.
 
Beim Casting schließlich lag das größte Problem in der Suche nach der Hauptdarstellerin. Denn, so Gabriele Kranzelbinder: „Kinderrollen kann man erst kurz vor Drehbeginn besetzen, wenn alles fixiert ist.“ Warum? Falls bei einer Produktion Verzögerungen eintreten,  kann es passieren, dass ein früh gecastetes Kind zu alt wirkt, wenn der Dreh endlich losgeht.
 
Mit Zita Gaier sei aber ein echter Glücksgriff gelungen, schwärmt die Produzentin: „Zita kam mit ihrem älteren Bruder Lino zum Casting, der auch mitspielt und schon Filmerfahrung hatte. Sie ist eine echte Entdeckung. Zita spielt toll, hat wahnsinnig viel Energie. So wie sie kann man sich die kleine Christine Nöstlinger vorstellen."
 
Die liebenswerte Aura der Jung-Mimin machte allerdings Ursula Strauss gelegentlich das Leben schwer: „Zita ist so entzückend, dass man sie nur abbusseln möchte. Da war es manchmal nicht leicht, ihre strenge Mutter zu spielen.“

Lachen und Weinen. Ursula Strauss („Schnell ermittelt“) über den Roman und seine Autorin: „Ich verehre Christine Nöstlinger sehr, durfte schon ihre Biografie für die Hörbuchfassung einlesen. ,Maikäfer flieg‘ hat als Buch eine ganz große Dichte: Es geht um Angst, um den Überlebenskampf, um Würde. All das versuchen wir in den Film zu übertragen. Das Lachen und das Weinen sollen nah beieinander liegen.“

„Ein bissl Uhrmacherlehre gemacht“: Gerald Votava spielt Christines Vater © Oliver Oppitz

Gerald Votava – Moderator, Kabarettist, Schauspieler und Mirjam Ungers Lebenspartner – spielt Christines Vater. Er durchlief rein physisch die härteste Vorbereitung auf das Projekt: „Ich habe 30 Kilo abgenommen. Sonst hätte ich die Rolle nicht nehmen können.“ Votava beschränkte sich aber nicht nur optisch um Authentizität. „Ich habe ein bissl Uhrmacherlehre gemacht und ein bissl russisch gelernt.“
 
Nöstlingers Vater – der Uhrmacher, der Russland-Heimkehrer, der Wehrmachts-Deserteur – muss „ein wundervoller Mensch in Christines Leben gewesen sein“, sagt Votava. „Und er hatte offenbar großes Glück im Unglück: Er lag schon im Sterbezimmer im Lazarett in Russland, bevor er durch die Intervention eines Nazi-Onkels nach Wien verlegt wurde. Dort ist er dann abgehauen.“

Gabriele Kranzelbinder (Produktion), Eva Testor (Kamera) & Mirjam Unger (Regie, r.) mit Darstellern © Oliver Oppitz

„Maikäfer flieg“ wurde mit einem Budget von 3,4 Millionen Euro nicht nur in Wien, sondern auch in Südtirol gedreht. Dort erhielt die Produktion eine zusätzliche Förderung, weshalb etliche Szenen mit der Neuwaldegger Villa südlich des Brenners entstanden.
 
Christine Nöstlinger verfolgt die Verfilmung ihres autobiografischen Romans übrigens mit sympathisierender Distanz. Gerald Votava: „Wir haben schon vor langer Zeit mit ihr geredet. Sie ist sehr geradlinig, sie steht für Fragen zur Verfügung – aber sie mischt sich nicht ein.“
 
Geburtstag. Am 13. Oktober 2016 wird die Autorin ihren Achtziger feiern: Gut möglich, dass es dann nicht nur ein großes Fest geben wird, sondern auch die Filmpremiere von „Maikäfer flieg“.