Filmfest Venedig

Enttäuschungen mit Al Pacino - eindrucksvolle Katherine Heigl

01.09.2014
von  Gunther Baumann
Ein Megastar zu Besuch am Lido: Al Pacino kam mit zwei Filmen nach Venedig © Katharina Sartena
Filmfest Venedig: Drei prominent besetzte Filme aus Amerika. Al Pacino porträtiert in „The Humbling“ (von Barry Levinson) und „Manglehorn“ (von David Gordon Green) zwei Männer, die mit dem Leben und dem Alter hadern – beide Dramen überzeugen nicht. Viel Spaß macht hingegen die sanfte Romanze „Jackie & Ryan“ von Ami Canaan Mann, in der Katherine Heigl und Ben Barnes zeigen, dass sie auch sehr gut singen können.
„The Humbling“: Wie das Kino so spielt - die junge Greta Gerwig liebt den alternden Al Pacino © LaBiennale

„The Humbling“

Genre: Drama. Regie: Berry Levinson (USA). Star-Faktor: Hoch (Al Pacino, Greta Gerwig). Venedig-Premiere: Außer Konkurrenz.
US-Literaturgigant Philip Roth, 81, schilderte in seinen letzten Büchern vor allem die Mühen des Alters. In der Verfilmung von Roths Roman „The Humbling“ („Die Demütigung“) schwillt das Klagelied zum Dreigesang. Regisseur Barry Levinson, 72 („Good Morning, Vietnam!“, „Wag The Dog“), setzt die Story ungewohnt schwülstig in Szene. Al Pacino, 74 („Der Pate“), spielt einen betagten Großschauspieler namens Simon Axler, dem die Bühnenmagie abhanden gekommen ist. Und der sich ergo traurig vom Beruf abwendet, um sich melancholisch in seinem Landhaus zu verkriechen.
Doch Glück, das dieser Simon Axler hat, läuft ihm die junge Pegeen Stapleford über den Weg, eine Tochter von Freunden, die er seit ihrer Kindheit kennt. Und die den Schauspieler verehrt. Pegeen (gespielt von Greta Gerwig, 31) ist zwar praktizierende Lesbe, aber nach der Wiederbegegnung mit Axler wechselt sie ihre sexuelle Orientierung und zieht bei dem alten Mann ein. Eine Zeitlang klappt die Beziehung des ungleichen Paars recht gut – bis Axler auf die Bühne zurückkehrt und für Shakespeares „Macbeth“ ein Finale erfindet, das mit dem Attribut melodramatisch nur unzureichend beschrieben ist.
„The Humbling“ überträgt die Qualen der Hauptfigur auf das Publikum: Trotz der großen Namen entstand hier nicht mehr als eine vor Selbstmitleid triefende Elegie, die starkes Potenzial besitzt, dem Zuschauer auf die Nerven zu gehen. Al Pacino hat sein Alters-Ego übrigens in der Garderobe gelassen. Mit seiner munteren Strubbel-Frisur wirkte er beim Auftritt am Lido zehn Jahre jünger als im Film.
Kino-Chancen: Mäßig. Gesamteindruck: Larmoyante Alters-Elegie.
 
„Manglehorn“: Al Pacino als grantiger Schlosser in Texas © LaBiennale

„Manglehorn“
Genre: Drama. Regie: David Gordon Green (USA). Star-Faktor: Hoch (Al Pacino, Holly Hunter). Venedig-Premiere: Im Wettbewerb um den Goldenen Löwen.
Der zweite Al-Pacino-Film in Venedig – und die zweite Enttäauschung. Auch im Drama „Manglehorn“ spielt der Hollywood-Grande einen verbitterten Alten, der am Leben und an seinen verpassten Chancen leidet. Diesfalls agiert er aber zorniger und auch autistischer als in „The Humbling“.
Pacino tritt hier als Schlosser Angelo Manglehorn auf, der in der Provinz von Texas seinem Handwerk nachgeht. So richtig gut Freund ist er nur mit seiner Katze – und mit einer gewissen Clara, doch die ist nicht da. Offenkundig waren Angelo und Clara einst ein Paar. Offenkundig ging die Liebe entzwei. Doch der Schlosser schreibt ihr unermüdlich Briefe, in denen er seinen Verlust beklagt. Das ist ziemlich sinnlos, denn die Briefe kommen allesamt ungeöffnet wieder zurück. Was ihren Verfasser nicht daran hindert, sich gleich wieder an den Schreibtisch zu setzen.
So stolpert Mr. Manglehorn mürrisch durch ein Leben, in dem er mit sicherem Griff jedes Schloss öffnet –  nur den Zugang zu seinem Herzen kriegt niemand auf. Das bekommt vor allem eine reizende Bankangestellte (Holly Hunter) zu spüren, mit der sich Mr. Manglehorn ausnahmsweise zu einem Date verabredet. Doch schon der Schauplatz, ein Selbstbedienungsrestaurant, ist definitiv kein Ort für Romanzen. Und im Gespräch gibt sich der Mann dann derart schroff und  abweisend, dass seine Begleiterin tief verletzt das Lokal verlässt.
„Manglehorn“-Regisseur David Gordon Green wurde mit Filmen wie „Prince Avalanche“ oder „Joe“ (mit Nicholas Cage) zu einem Darling der US-Indie-Szene. In seinem Kino-Abenteuer mit Al Pacino liegt, so sagt er „eine Menge Humor“ verborgen. Den allerdings hat am Lido kaum jemand entdeckt: Selten so nicht gelacht.
 Kino-Chancen: Mäßig. Gesamteindruck: Zornige Alters-Elegie.
 
„Jackie & Ryan“: Katherine Heigl als Country-Sängerin © LaBiennale

„Jackie & Ryan“

Genre: Romanze. Regie: Ami Canaan Mann (USA). Star-Faktor: Hoch (Katherine Heigl, Ben Barnes). Venedig-Premiere: In der Festival-Reihe Orrizonti.
Manchmal brauchen Liebesgeschichten gar kein seliges Happy End. Manchmal genügt es, wenn zwei Menschen einander begegnen, einander begehren, einander neue Perspektiven eröffnen und dann wieder ihrer Wege gehen. Von so einer Story handelt die mit feiner Country-Musik durchsetzte Romanze „Jackie & Ryan“,  die zwei Stars von einer ganz neuen Seite zeigt. Die resolute Katherine Heigl ist sonst im Genre der eher grellen Komödien daheim. Und der sanfte Brite Ben Barnes wurde mit Fantasy-Blockbustern wie „Die Chroniken von Narnia“ oder „Stardust“ bekannt.
Hier begegnet man Mr. Barnes, Rollenname Ryan, zu Beginn in der Eisenbahn. Allerdings nicht in der 1. Klasse. Mit Rucksack und Gitarre (mehr besitzt er nicht) rollt Ryan als blinder Passagier in einem Güterzug dem Städtchen Ogden in Utah entgegen, wo er sich zum Musizieren verabredet hat.
Als er dort für ein paar Cents auf der Straße spielt, fällt er erstmals Jackie (Katherine Heigl) ins Auge. Die ist selbst eine talentierte Country-Sängerin, scheint aber ihre große Zeit schon hinter sich zu haben. Aus einer kaputten Karriere und einer kaputten Ehe ist sie mit ihrer kleinen Tochter in ihre Heimat zurückgekehrt.
Ryan ist zufällig anwesend, als Jackie von einem Auto angefahren wird. Er hilft ihr auf. Doch während er bei ihr kniet, werden ihm Rucksack und Gitarre gestohlen. Diese Melange aus Hilfe und Verlust führt die beiden zueinander. Jackie nimmt Ryan bei sich zuhause auf – zum Vergnügen ihrer Tochter und zum Missvergnügen ihrer Mutter, die den Hobo sofort wieder rausschmeißen will.
Was dann geschieht, haben wir eingangs schon erwähnt: Eine Romanze auf Zeit, die beiden große Erfüllung schenkt und neue Wege öffnet. In der behutsamen Regie von Ami Canaan Mann spielen Katherine Heigl und Ben Barnes mit einem Feingefühl, das Lust auf mehr Filme dieser Art macht.  Beide singen hinreißend. Und Ben Barnes scheint (wenn er bei den Musikszenen nicht gedoubelt wurde) obendrein ein hochtalentierter Gitarrist zu sein.   
Kino-Chancen: Potenzieller Arthaus-Hit. Gesamteindruck: Feine Romanze mit viel guter Musik.