Filmfest Venedig 2018

Malerei und Pop: Zwei Künstlerdramen

05.09.2018
von  Peter Beddies, Gunther Baumann
Florian Henckel von Donnersmarck (M.) mit Tom Schilling, Paula Beer, Sebastian Koch (v. l.) © Katharina Sartena
Der bärenstarke Wettbewerb des Filmfests Venedig nähert sich dem Finale. Der deutsche Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck erntete Ovationen für sein großes Künstlerdrama „Werk ohne Autor“. Beifall – allerdings vermischt mit Buh-Rufen – gab es auch für den US-Filmemacher Brady Corbet, dessen wildes Drama „Vox Lux“ (mit Natalie Portman und Jude Law) die Themenkreise Pop und Terror verknüpft.
Werk ohne Autor
Genre: Künstlerdrama
Regie: Florian Henckel von Donnersmarck (Deutschland)
Stars: Tom Schilling, Paula Beer, Sebastian Koch, Saskia Rosendahl
Venedig-Premiere: Im Wettbewerb um den Goldenen Löwen

Tom Schilling und Paula Beer im Künstlerdrama „Werk ohne Autor“ © Disney

Es war ein paar Jahre lang nicht so ganz klar, was in der Filmwelt aus Florian Henckel von Donnersmarck werden würde. Nach seinem sensationell erfolgreichen Erstling „Das Leben der Anderen“ - Oscar inklusive - konnte er in Hollywood mit „The Tourist“ nicht so recht überzeugen. Die Studiobosse fanden, dass der Film mit Brad Pitt und Angelina Jolie weltweit nicht genug Geld eingespielt hatte.
Also war der deutsche Regisseur in der Traumfabrik erst einmal nicht so gern gesehen. Und was hat er die Jahre danach getan? Trübsal geblasen? Von wegen! Er hat sich in das Wahnsinns-Projekt „Werk ohne Autor“ gestürzt, für das er nun von Festival zu Festival gereicht wird. Und für Deutschland geht Donnersmarck wieder ins Rennen um den Oscar für den besten fremdsprachigen Film.
„Werk ohne Autor“ erzählt vom Schicksal eines Künstlers namens Kurt Barnert, der dem Malerei-Giganten Gerhard Richter nachempfunden ist. Barnert wächst in den 1930er Jahren in Dresden auf. Er muss früh miterleben, wie seine Lieblingstante von den Nazis abgeholt (und später vergast) wird. Er entdeckt seine Liebe zur Malerei. Lässt sich nach dem Krieg in der DDR ausbilden. Kommt dann aber mit den Machtverhältnissen nicht klar und flüchtet mit seiner Gattin in den Westen, wo er in Düsseldorf zu seiner Kunst findet.



Wer den Namen Gerhard Richter noch nie gehört hat, kann „Werk ohne Autor“ trotzdem genießen. Denn Donnersmarck geht es in erster Linie darum, sein Publikum fabelhaft zu unterhalten. Das gelingt ihm hier ausgezeichnet in Form des ganz großen Dramas, der übermächtigen Liebesgeschichte und der Suche nach Schuld in drei deutschen Systemen. Auch wenn der Film drei Stunden und acht Minuten lang ist, langweilt er nicht eine Sekunde.
All jene jedoch, die wissen, dass Gerhard Richter weltweit der teuerste Maler der Gegenwart ist, die bekommen hier nicht nur eine Erklärung dafür geliefert, warum seine Bilder millionenschwer sind. Es geht in diesem Film, der locker an das Leben von Richter angelehnt ist, auch um die Antwort auf die Frage, warum von den fotorealistischen Malereien Richters eine Faszination ausgeht, der man sich kaum entziehen kann.
Regisseur Donnersmarck setzt mit seinem „Werk ohne Autor“, das in Venedig bejubelt wurde, wieder einmal Maßstäbe. Kostüme und Bauten sind grandios. Die Geschichte ist so hollywoodmäßig erzählt, dass der deutsche Ursprung des Films nur noch durchschimmert (auf der anderen Seite wird er genau deshalb wahrscheinlich auch weltweit verstanden).
Die Schauspieler sind handverlesen. Sebastian Koch glaubt man den Schurken und Opportunisten in jeder Sekunde. Paula Beer als Ehefrau von Kurt Barnert verleiht dem Film einen schönen nostalgischen Glanz. Und Tom Schilling in der Barnert-Rolle stellt wieder einmal unter Beweis, dass er europaweit einer der besten Schauspieler seiner Generation ist.   bed

Kinostart: 4. Oktober 2018
Publikums-Chancen: Sehr gut
Gesamteindruck: Bedeutendster deutscher Film in diesem Jahr, der mühelos Jahrzehnte der Geschichte aufblättert und den Zuschauer dabei wunderbar unterhält
 
„Vox Lux“: Natalie Portman als berühmte Pop-Diva namens Celeste © Filmfest Venedig

Vox Lux
Genre: Musikdrama
Regie: Brady Corbet (USA)
Stars: Natalie Portman, Jude Law, Raffey Cassidy, Stacy Martin
Venedig-Premiere: Im Wettbewerb um den Goldenen Löwen

Das US-Musikdrama „Vox Lux“ hat viele Parallelen zum Venedig-Hit „A Star Is Born“. Hier wie dort geht es um den Aufstieg einer unbekannten jungen Frau zum Pop-Superstar. Allerdings verknüpft US-Regisseur Brady Corbet den Glamour-Teil seines radikalen Films mit einem blutigen Thema. Terror.
Die Story beginnt im Jahr 1999 in einer amerikanischen Schule. Die junge Celeste (Raffey Cassidy) sitzt in der Klasse, als einer ihrer Mitschüler zum Amokläufer wird und das Feuer eröffnet. Viele Teenager sterben. Celeste überlebt schwer verletzt. Wieder hergestellt, singt die musikalisch hochbegabte und fromme 15-Jährige in einer Kirche ein selbstgestricktes Lied über die Ereignisse.
Ein Videomitschnitt von dem Auftritt weckt die Aufmerksamkeit eines Musikmanagers (Jude Law). Der erkennt das Hit-Potenzial des Mädchens mit der tragischen Geschichte. Die wunderbar singende Celeste wird zum Teenie-Star aufgebaut und hat mit ihren Pop-Songs Erfolg. 
Der plötzliche Ruhm tut Celeste allerdings nicht wirklich gut. Das anfangs noch scheue Mädchen entdeckt den Rausch, den Alkohol. Sie wird berechnend, zerstreitet sich mit ihrer älteren Schwester Eleanor (Stacy Martin), die sie als musikalische Kreativkraft dringend braucht. Während einer oberflächlichen Affäre wird sie schwanger. Doch da ist ihre Karriere längst auf Schienen.
Szenenwechsel ins Jahr 2017. Der zweite Teil von „Vox Lux“ beginnt mit einer Terror-Attacke. Die Attentäter, die ihre Gesichter mit Masken aus einer Celeste-Show verhüllen, mähen an einem Strand die in Panik fliehenden Badegäste nieder. Und Celeste, die an diesem Tag ein Stadionkonzert in ihrer Heimatstadt geben soll, wird gefragt, ob sie die Show wegen der Attacke absagen will. Das will sie nicht.



Celeste, mittlerweile 31, wird nun (völlig überdreht) von Natalie Portman gespielt. Das Drehbuch meint es nicht gut mit ihr. Denn der Teenie-Star von einst ist zur Pop-Diva gereift, die sich so präsentiert, wie es den Klischees der Yellow Press entspricht. Diese Celeste ist berühmt, aber unglücklich. Steinreich, aber launisch wie die Hölle. Schneidend arrogant, aber labil. Ihre Teenie-Tochter Albertine (eine zweite Rolle für die talentierte Raffey Cassidy) tut sich schwer, der Mutter einen Hauch von Herzlichkeit zu entlocken.
Hier der Traum vom Ruhm, dort der Albtraum des Terrors: Man kann „Vox Lux“ als Parabel dafür verstehen, wie der 30jährige Regisseur  Brady Corbet die Welt von heute sieht. Allerdings ist dieses Bild einer Gesellschaft, die zwischen Gier und Ängsten schwankt, reichlich trivial ausgefallen. Manche Einfälle des Regisseurs sind regelrecht grotesk: Er lässt Celeste beichten, sie habe damals beim Amoklauf in der Schule den Teufel gesehen. Und sie sei seinem Angebot gefolgt, für die Karriere ihre Seele zu verkaufen. Eine Mephisto-Szene für Anfänger.
Ein weiteres Problem dieses unausgewogenen Musikfilms liegt überraschenderweise in der Musik. Brady Corbet ließ sich vom Schmalzbarden-Veteran Scott Walker (Walker Brothers) einen kitschtriefenden Instrumental-Soundtrack schreiben, der das raue Geschehen auf der Leinwand schaurig untermalt.
Wenn Celeste singt, hört man etwas völlig anderes: Oberflächlichen Hitparaden-Pop, der von der Australierin Sia komponiert wurde.
Im Finale bekommt man diese Songs bei einem Celeste-Liveauftritt etliche Minuten lang am Stück verabreicht, während Natalie Portman wie eine Furie über die Bühne tigert. Für Nicht-Fans schwer zu ertragen. Filmisch gesehen geht die Balance von „Vox Lux“ bei diesem überlangen Medley endgültig flöten.   bau

Kinostart: Noch kein Termin
Publikums-Chancen: Bescheiden
Gesamteindruck: Unrundes Gemisch aus den Themenkreisen Musik, Karriere und Gewalt, das am eigenen Anspruch scheitert