Filmfest Venedig 2015

Johnny Depp als eiskalter Gangster

04.09.2015
von  Gunther Baumann
„Black Mass“: Regisseur Scott Cooper mit (v. r.) Johnny Depp, Dakota Johnson & Joel Edgerton © Katharina Sartena
Großer Rummel am Lido: Das Filmfest Venedig feierte am 4. September seinen inoffiziellen Johnny-Depp-Tag. Schon seit dem frühen Morgen standen die Fans Schlange. Am Abend gab’s dann auf dem Roten Teppich und im Festival-Palais Ovationen für Depp. Der spielt im Gangsterfilm „Black Mass“ freilich einen Mann, dem man nachts nicht in einer einsamen Straße begegnen möchte. Johnny Depp verkörpert den Bostoner Mafiaboss und Killer James „Whitey“ Bulger. Der echte James Bulger sitzt im Gefängnis: Er bekam zwei mal lebenslänglich und noch fünf Jahre dazu.
Verwandlung. „Johnny Depp ist einer der liebenswürdigsten und zuvorkommendsten Menschen, die ich kenne“, schwärmt Regisseur Scott Cooper. „Ihm auf dem Set von ,Black Mass‘ immer wieder zuzuschauen, wie er sich in einen Gangster verwandelte – das war ein Ereignis, das ich vorher noch bei keinem anderen Schauspieler gesehen hatte. Johnny ist ein Mann, der Risiken eingeht, die andere Darsteller nicht wagen würden.“

Wenig Haare, kalter Blick: Johnny Depp im Gangsterfilm „Black Mass“ © Biennale / Warner

Kalte Augen, schüttere Haare, eine harte Stimme und eine rundum bedrohliche Statur:  Wer Johnny Depp als Piraten-Kapitän oder aus märchenhaften Filmen wie „Charlie und die Schokoladenfabrik“ liebt, wird ihn im Outfit von Gangsterboss Whitey Bulger nicht wiedererkennen. Der glorios spielende Star füllt als stets gewaltbereiter Macho und Mafioso, der nur Macht und Geld im Auge hat, zwei Stunden lang auf monströse Weise die Leinwand.
 
„Ich wollte seit Beginn meiner Laufbahn immer ein Charakterdarsteller sein und kein Poster-Boy“, sagte Depp – freundlich, charmant  und zum Reden aufgelegt –vor der Presse in Venedig. „ Ein Schauspieler hat doch die Verantwortung, dem Publikum mit jedem neuen Film etwas Überraschendes und Unerwartetes zu geben, anstatt immer wieder sich selbst zu spielen.  Diese Veränderungen für neue Rollen sind stets eine große Herausforderung.“

 
Leichen pflastern seinen Weg: Johnny Depp in „Black Mass“ © Biennale / Warner

Wahre Geschichte. „Black Mass“ – der Film läuft Mitte Oktober bei uns im Kino an – erzählt eine wahre und einigermaßen groteske Episode aus der amerikanischen Kriminalitäts-Geschichte. James Bulger, Jahrgang 1929, war von Jugend auf in den kriminellen Gangs von South Boston dabei, während sein Bruder William „Billy“ Bulger als angesehener Politiker Karriere machte. Er stieg auf bis zum Senatspräsident von Massachusetts (Dominic Cumberbatch spielt ihn im Film mit aristokratischer Attitüde).
 
Billy Connolly (Joel Edgerton), ein Kindheitsfreund des Gangsters, hatte es zum FBI-Agenten gebracht. Er redete seinen Bossen ein, Bulger als Informant anzuheuern. Der Mafioso, damals schon Chef eines mächtigen, irisch geprägten Kartells, sollte die italienische Konkurrenz ausspionieren. Bulger sagte zu. Während er dem FBI in sehr sparsamen Häppchen Informationen zukommen ließ, vergrößerte er unter den halb geschlossenen Augen der „Feds“ seinen Einflussbereich. Erst 1997 flog seine Doppelfunktion als Gangster und Spitzel auf. Bulger gelang die Flucht. Bis 2011 lebte er unerkannt in Kalifornien. Doch dann wurde er verhaftet und für den Rest seines Lebens eingebuchtet.
 
Frage an Mr. Depp: Wie spielt man so einem Mann?
 
„Man muss sich ihm von der menschlichen Seite nähern“, antwortet der Star. „Kein Mann steht morgens auf und geht ins Bad und denkt beim Rasieren, ,ich bin ein Schurke‘. James Bulger übte seinen Job aus, und die Gewalt war ein Teil dieses Jobs". Depp erkennt in Bulger sogar eine „poetische Seite“. Denn: „Einerseits tat er als Gangster das, was er tat. Andererseits war er aber höchst loyal gegenüber seinen irischen Wurzeln, seinem Stadtviertel, seiner Mutter oder seinem Bruder. Es konnte einer alten Dame die Einkäufe in die Wohnung tragen – und zehn Minuten später jemanden zerstören.“