Filmfest Venedig

„Eine Nachtmeerfahrt durch das Souterrain der Seelen“

24.07.2014
von  Gunther Baumann
„Im Keller“ von Ulrich Seidl: Die Doku feiert beim Filmfest Venedig ihre Weltpremiere © UlrichSeidlFilm
Filmfest Venedig: Der Wiener Ulrich Seidl ist dieses Jahr gleich doppelt am Lido vertreten. Einmal als Regisseur: Seidl zeigt außer Konkurrenz sein jüngstes Werk, die Dokumentation „Im Keller“. Und einmal als Produzent: Seidls Frau Veronika Franz bringt in der Orrizonti-Reihe ihren ersten Spielfilm „Ich seh Ich seh“ heraus, den sie gemeinsam mit Severin Fiala inszenierte. Zur Eröffnung des Festivals (27. August – 6. September) reist der zweifache Oscar-Nominee Alejandro González Iñárritu an, der seine Schauspieler-Groteske „Birdman“ (mit Michael Keaton, Emma Stone und Edward Norton) vorstellt.
Seidl. Ulrich Seidl kehrt wieder dorthin zurück, wo 2001 seine große internationale Karriere begann. Der Regie-Preis, den er damals für sein Drama „Hundstage“  gewann, bescherte ihm weltweite Aufmerksamkeit. Beim 71. Festival am Lido greift Seidl diesmal nicht in den Wettbewerb ein. Sein neues Werk „Im Keller“ könnte gleichwohl für viel Diskussionsstoff sorgen – das lässt schon ein Statement über die Produktion erahnen: „Der Film ist eine Nachtmeerfahrt durch das Souterrain österreichischer Seelen. Er handelt von Menschen und Kellern. Von Sexualität und Schussbereitschaft, Fitness und Faschismus, Peitschenschlägen und Puppen.“
 
Seidl erläutert den Film auf seiner Homepage www.ulrichseidl.com so: „Viele Österreicher verbringen mehr Zeit im Keller ihres Einfamilienhauses als im Wohnzimmer. Im Keller gehen sie ihren eigentlichen Bedürfnissen nach, ihren Hobbys, Leidenschaften und Obsessionen.In unser aller Unterbewusstsein ist der Keller aber auch ein Ort der Dunkelheit, ein Ort der Angst, ein Ort der menschlichen Abgründe.“
 
Nervenzerfetzend: „Ich seh Ich seh“ von Veronika Franz & Severin Fiala © UlrichSeidlFilm

Franz & Fiala.
Abgründe tun sich auch in „Ich seh Ich seh“ auf, dem Spielfilm-Debüt von Seidls Gefährtin Veronika Franz (Ko-Regie: Severin Fiala). Im Zentrum stehen zehnjährige Zwillingsbuben. Sie warten auf die Rückkehr ihrer Mutter (Susanne Wuest), die sich einer Schönheitsoperation unterzog. Die Frau kommt komplett einbandagiert zu Hause an – und die Jungs sind sich nicht mehr sicher, ob das wirklich ihre Mutter ist…
 
Die Filmemacher Franz & Fiala: „Ein Horrorfilm? Ein Autorenfilm? Unser Film ,Ich seh Ich seh‘ soll beides sein. Wir lieben körperliches Kino. Kino, das physisch überwältigt. Gleichzeitig wollen wir auch Fragen stellen, die wir als existenziell empfinden. Wir wollten einen Film machen, der etwas über unser Leben zu erzählen hat und dabei nervenzerfetzend ist.“   
 


Eröffnung.
Nicht gruselig, sondern komisch dürfte es in „Birdman“ zugehen, dem Film, den Festival-Chef Alberto Barbera für die Eröffnungs-Gala am 27. August ausgesucht hat. Michael Keaton spielt einen Schauspieler, der einst für seine Superhelden-Rollen bekannt war. Der Ruhm ist längst verblasst, doch die Erinnerungen ans Superhelden-Dasein haben sich im Kopf des Ex-Stars eingenistet. Wie der Trailer zeigt, fällt es dem „Birdman“ auf sehr groteske Weise schwer,  Traum und Wirklichkeit auseinander zu halten.
 
„Birdman“, das neue Werk von Alejandro González Iñárritu („21 Gramm“, „Babel“) ist einer von 20 Filmen, die im Wettbewerb um den Goldenen Löwen rittern. Weitere bekannte Namen: Der deutsche Regisseur Fatih Akin präsentiert seinen lang erwarteten Film „The Cut“. Ramin Bahrani bietet in „99 Homes“ den aktuellen „Spider-Man“ Andrew Garfield sowie Laura Dern auf. Abel Ferrara zeigt „Pasolini“ (mit Willem Dafoe). Al Pacino und Holly Hunter sind die Hauptdarsteller von „Manglehorn“ von David Gordon Green. Auch die Regisseure Benoit Jacquot („3 Coeurs“ mit Charlotte Gainsbourg, Chiara Mastroianni und Catherine Deneuve), Andrew Niccol („Good Kill“ mit Ethan Hawke) sowie David Oelhoffen („Loin des Hommes“ mit Viggo Mortensen)   haben große Namen im Ensemble.
 
Stars. Viel Star-Power gibt es obendrein außerhalb des Wettbewerbs. Regisseur Peter Bogdanovich feiert ein spätes Comeback mit „She’s Funny That Way“ (Owen Wilson, Jennifer Aniston).  Lisa Cholodenko zeigt „Olive Kitteridge“ (mit Frances McDormand und Bill Murray). Barry Levinson ist mit „The Humbling“ (Al Pacino und Greta Gerwig) dabei.
 
Zwei weitere Premieren fallen aus dem Rahmen. Der Portugiese Manoel de Oliveira, mit 95 Jahren immer noch aktiv, präsentiert seinen Kurzfilm „The Old Man of Belem“. Und Lars von Trier zeigt den Director’s Cut von „Nymphomaniac – Teil 2“. Die kürzere Version des Erotik-Dramas, die bei uns am 4. April anlief, ist schon längst wieder aus den Kinos verschwunden.