Filmfest Venedig

„Under The Skin“: Scarlett Johansson als Wesen vom anderen Stern

03.09.2013
von  Gunther Baumann
Mit dem Lieferwagen in Schottland unterwegs: Scarlett Johansson in „Under The Skin“ © Filmfest Venedig
Scarlett Johansson kam am 3. September nach Venedig, um den ungewöhnlichsten Film ihrer Karriere zur Premiere zu geleiten. In „Under The Skin“ spielt sie eine Außerirdische, die durch Schottland reist und die Kinobesucher an ihrem Alien-Blick auf die Welt teilhaben lässt. Es ist ein Film, in dem die schöne Scarlett immer wieder recht freizügig nackte Haut zeigt. Unter die Haut gehen mag „Under the Skin“ allerdings nicht: Das experimentelle Drama von Jonathan Glazer, das tausend Fragen aufwirft, aber keine einzige beantwortet, wirkt wie ein ausuferndes Bilderrätsel von 107 Minuten Länge.
Information. Normalerweise erklären sich die Story und die Figuren eines Films von allein. Ohne dass man vorher im Programmheft oder im Lexikon nachschauen müsste. Bei „Under The Skin“ ist das anders. Da wäre man völlig verloren, wüsste man nicht schon vor Filmbeginn, dass die Hauptfigur ein „Alien in einem menschlichen Körper“ ist. Hätte man diese Information nicht,  würde einem die Story ungefähr so vorkommen:
 
Eine nackte junge Frau entkleidet eine andere junge Frau, die entweder tot oder ohnmächtig am Boden liegt, und zieht deren Gewand an. Anschließend entert sie einen Lieferwagen und fährt damit durch Schottland. Mit großen Augen beobachtet sie die Menschen und die Natur, und manchmal scheint sie Lust auf einen Mann zu bekommen. Den lockt sie dann mit einem Striptease in einen dunklen Raum. Doch zum Sex kommt es nicht. Während der Mann, der sich ebenfalls auszieht, der jungen Frau entgegengeht, versinkt er plötzlich im Boden und verschwindet, ohne Spuren zu hinterlassen.
 
???
 
Tja, wie gesagt, bei so einem Plot ist es schon ganz gut, zu wissen, dass die Hauptfigur von einem anderen Stern kommt. Viel weiter hilft einem diese Information aber auch nicht, denn der britische Regisseur Jonathan Glazer verzichtet darauf, die Story in einen größeren Kontext zu stellen. Den entdeckt man erst, wenn man bei Wikipedia recherchiert: „Under The Skin“ basiert auf dem gleichnamigen Roman des Autors Michel Faber. Im sehr schwarzhumorigen Buch ist die Alien-Dame für einen Alien-Konzern tätig und hat die Aufgabe, Autostopper aufzugabeln. Die Gefangenen werden (was im Film nicht vorkommt) aufgepäppelt und später, wenn sie schön fett sind, zu Menschenfleisch verarbeitet.
 
Scarlett Johansson gab beim Pressegespräch in Venedig jedenfalls freimütig zu, dass sie über  ihre Rolle anfangs genauso ratlos war wie viele Zuschauer mit dem ganzen Film. „Natürlich hatte ich keine genaue Vorstellung davon, wie ich mich als Außerirdische fühlen sollte. Doch was immer ich an Ideen mitgebracht hatte, war spätestens nach dem dritten Take am ersten Drehtag irrelevant. Ich brauchte zwei Wochen, um Zugang zu dieser Laura zu finden. Als Alien hat sie keine Vorstellung davon, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Sie kennt keine Schuld und keine Scham. Sie ist keine Person, sondern wirklich ein Wesen aus einer anderen Welt.“
 
Angesichts von so viel Distanz hat Scarlett ihre Rolle aber prima hingekriegt. Es macht Spaß, dieser stillen Fremden auf der Leinwand dabei zuzuschauen, wie sie ihre Eindrücke vom Planeten Erde verarbeitet. Auch wenn das für die Männer, denen sie schöne Augen macht, tödliche Folgen haben kann. Der Film erinnert über weite Strecken mehr an ein Video-Kunstwerk als an eine Kino-Produktion. Die schroffe Schönheit der schottischen Natur und die raue Natur der Menschen passen zu den rätselhaften Aktionen der Hauptfigur, bei denen man besser nicht nach dem Sinn fragen sollte.
 
Der 48-jährige Regisseur Glazer, desich mit Videoclips für Bands wie Massive Attack oder Radiohead einen Namen machte, lehnt es ab, seinen Film zu erklären. „Ich arbeite ohne Subtext“, sagte er beim Pressegespräch am Lido. „Suchen Sie sich etwas aus: Sex, Liebe,das Leben und der Tod – alles ist in ,Under The Skin‘ enthalten. Was mich interessierte, das ist die Reise, das Aufwachen der Hauptfigur. Ich will zeigen, wie sich die Außerirdische fühlt. Das war der zündende Funke für mich.“
 
„Under the Skin“ ist trotz seiner sinnlichen und berühmten Hauptdarstellerin ein sehr spröder Film. Ob das Werk regulär in unsere Kinos kommt, bleibt abzuwarten.  Die nächsten Produktionen mit Scarlett Johansson sind aber bereits fertig oder in Arbeit. Im November kommt sie (neben Joseph Gordon-Levitt) mit der Sexsucht-Komödie „Don Jon“ ins Kino.  Das Superhelden-Spektakel „Captain America – The WinterSoldier“ist in der Nachbearbeitungs-Phase, und derzeit dreht sie mit Robert Downey Jr. die Koch-Komödie „Chef“.