Festival Cannes 2017

Die neue Leichtigkeit der Nicole Kidman

24.05.2017
von  Peter Beddies, Gunther Baumann
Nicole Kidman: Die jugendlich strahlende Hollywood-Lady ist der Liebling der Fotografen in Cannes © Katharina Sartena
„Ich werde dieses Jahr 50 Jahre alt und habe noch nie so viel gespielt wie jetzt“, sagt Nicole Kidman. Die Hollywood-Diva ist diesmal gleich mit vier neuen Produktionen in Cannes vertreten – und sie hat alle Diva-Allüren zu Hause gelassen. Vorbei die Zeiten, in denen sie unnahbar und mit starrer Miene über den roten Teppich schritt. Die neue Nicole Kidman präsentiert sich fröhlich, gut gelaunt, locker und zwischendurch auch romantisch verliebt (wenn sie sich von Ehemann Keith Urban zu einer Premiere geleiten lässt). Obendrein bekennt sich die Oscar-Preisträgerin („The Hours“) nicht nur in Worten zu ihrem Alter: Sie zeigt ein paar bezaubernde Lachfältchen, die ihr ganz ausgezeichnet stehen. Ausgezeichnet ist auch ihre Arbeit auf der Leinwand. Wir haben uns die neuen Kidman-Filme angesehen. 
„The Beguiled“: Nicole Kidman als Leiterin eines Mädchen-Internats © Festival Cannes

The Beguiled (Die Verführten)

Genre: Kostüm-Rachedrama
Regie: Sofia Coppola (USA)
Cannes-Premiere: im Wettbewerb um die Goldene Palme
Nicole Kidmans Rolle: Prinzipalin eines Mädchen-Internats im amerikanischen Bürgerkrieg
Mit dieser Miss Martha, herrlich herrisch von Nicole Kidman gespielt, legt man sich besser nicht an. Das muss Corporal John McBurney (Colin Farrell) im sinnlichen Drama „The Beguiled“ erkennen, als er 1864 an ihre Tür klopft. Der Nordstaaten-Soldat wurde im Kampf gegen die Südstaaten-Armee verwundet und soll nun im Mädchen-Internat gesundgepflegt werden.
Das könnte alles gutgehen, wenn der fesche McBurney seine Hormone besser im Griff hätte. Miss Martha deutet ihm einmal an, dass mit ihr erotisch etwas ginge. Aber der Schlawiner versucht sich lieber an jüngeren Damen (Kirsten Dunst, Elle Fanning) - mit verheerenden Konsequenzen.
Nicole Kidman im schönen Kostüm, das gab es schon öfter - zum Beispiel in „The Others“. Wenn es mysteriös wird, und das tut es hier durchaus, passt Miss Kidman immer wunderbar in eine Story hinein. Zum Glück scheint auch ihre Botox-Phase komplett überwunden zu sein. In diesem Film, in dem Regisseurin Sofia Coppola viel mit Kerzenlicht arbeitet, sieht ihr Gesicht schön und natürlich aus.
Kinochancen: recht hoch, dafür bürgen Coppola und Kidman, Farrell und Fanning
Kinostart: 29. Juni 2017
Gesamteindruck: stimmungsvolles Rachedrama, das zeigt, wie Frauen reagieren, wenn Männer Dinge tun, die sie besser bleiben lassen sollten

„The Killing Of A Sacred Deer”: Kidman als Ehefrau von Colin Farrell © Festival Cannes

„The Killing Of A Sacred Deer“
Genre: Psycho Horror
Regie: Yorgos Lanthimos (Griechenland)
Cannes-Premiere: im Wettbewerb um die Goldene Palme
Nicole Kidmans Rolle: Ehefrau eines Arztes
Nicole Kidman spielt im Mystery Drama „The Killing Of A Sacred Deer” wie schon in „The Beguiled“ (siehe oben) mit Colin Farrell zusammen. Diesmal ist sie Anna, die Frau an der Seite des Arztes Stephen (Farrell).
Ihre Ehe scheint perfekt. Den beiden Kindern geht es auch gut. Bis plötzlich Martin (Barry Keoghan) auftaucht, der Sohn eines Patienten, der Stephen auf dem OP-Tisch wegstarb.
Zuerst sieht es nur so aus, als würde Martin Anschluss an eine neue Familie suchen. Aber dann offenbart er seinen Plan. Entweder, Stephen tötet eines seiner Kinder - oder er wird die gesamte Familie verlieren. Dass das keine leere Drohung ist, merken die Eheleute rasch, als ihr Junge von einer Sekunde auf die nächste gelähmt ist.
Nicole Kidman spielt hier nicht die Hauptrolle. Das sind eindeutig Colin Farrell und Barry Keoghan in einem fesselnden Psychoduell. Aber Kidman verleiht der Mutter, die ohnmächtig mit ansehen muss, wie ihre Familie an den Rand einer Katastrophe geführt wird, eine starke Entschlossenheit und in den Momenten der Trauer eine große Wut.
Kinochancen: Gut
Kinostart: Noch nicht fixiert
Gesamteindruck: Schöner, böser und sehr ungewöhnlicher Gruselfilm, der auf vielen Ebenen mit den Erwartungen der Zuschauer spielt


„How To Talk To Girls At Parties”: Kidman als schrille Punkerin © Festival Cannes

How To Talk To Girls At Parties
Genre: Punk-SciFi-Komödie
Regie: James Cameron Mitchell (USA)
Cannes-Premiere: Außer Konkurrenz
Nicole Kidmans Rolle: glamouröse Punk-Designerin
Nicole Kidman ist mit 1,80 Metern nicht nur groß. Sie liebt auch die großen Auftritte. In der ausgeflippten Komödie „How To Talk To Girls At Parties” von John Cameron Mitchell („Hedwig And The Angry Inch“) spielt sie eine hinreißend schrille Figur im Londoner Vorort  Croydon.
Ihre Queen Boadicea (was für ein Name!) erinnert vom Typ her an die Designerin Vivienne Westwood. Nur leider hat sie den Absprung in die Welt der Schönen und Reichen nicht geschafft. Und so hat sich ihr eigenes kleines Reich zusammengebaut, in dem sie Mode kreiert und neuen Punk-Bands eine Chance gibt.
Ziemlich fassungslos - aber trotzdem mit einer beinahe majestätischen Größe - schaut die Kidman zu, wie plötzlich Aliens in Croydon auftauchen. Als Gefahr droht, bläst Queen Boadicea selbst zum Angriff auf das Alien-Quartier. Eine sehr vergnügliche Angelegenheit für Freunde des schrägen Humors. Dass Nicole zu dieser Gruppe gehört, ist eine gute Nachricht.
Kinochancen: Sehr gut, da extrem unterhaltsam
Kinostart: Noch nicht fixiert
Gesamteindruck: Wunderbar durchgeknallter Mix aus Coming-of-Age, Punk-Rock und einer sentimentalen Alien-Komödie

„Top Of The Lake: China Girl“: Kidman als mysteriöse Adoptivmutter © Festival Cannes

Top Of The Lake: China Girl
Genre: Kriminal-TV-Serie
Regie: Jane Campion (Neuseeland)
Cannes-Premiere: Außer Konkurrenz
Nicoles Rolle: mysteriöse lesbische Adoptiv-Mutter
Ein großer Film-Auftritt braucht nicht zwangsläufig die große Leinwand. Das hat Nicole Kidman schon bei der derzeit extrem populären TV-Serie „Big Little Lies“ bewiesen. Die 70. Filmfestspiele von Cannes haben jetzt einen kleinen Einblick in  eine der TV-Serien gegeben, über die man im Laufe des Jahres noch viel reden wird.
„Top Of The Lake: China Girl“ ist die zweite Staffel der Hit-Serie von Oscar-Preisträgerin Jane Campion („Das Piano“). Im Plot geht es erneut um die Kommissarin Robin Griffin (Elisabeth Moss). Dieses Mal muss sie den Fall um eine junge tote Asiatin lösen, die vor Sydney an den Strand gespült wurde. Zudem bekommt die Ermittlerin Kontakt mit ihrer Tochter, die sie einst zur Adoption freigab. Und die daraufhin bei Nicole Kidman gelandet ist.
Frau Kidman, das hätte man sich denken können, spielt nicht irgendeine Mutter. Die Dame ist schwer intellektuell. Lebt noch mit ihrem Gatten zusammen, obwohl sie längst ihr Coming Out als Lesbe hatte. Scheint eine gute Adoptivmutter gewesen zu sein. Eine Frau mit vielen Talenten. Ob sie auf der Seite der Guten oder der Bösen steht, wird sich erst im Herbst zeigen, wenn die Serie läuft.
Kinochancen: keine, da TV-Produktion
Ausstrahlungs-Start: Internationale TV-Premiere im September 2017
Gesamteindruck: Nachdem die erste Staffel von „Top Of The Lake“ die Wildheit Neuselands herrlich bebildert hat, geht es jetzt um finstere menschliche Abgründe