Festival Cannes 2015

Der Festival-Start: Hartes Drama statt Hollywood-Glamour

13.05.2015
von  Peter Beddies
Die Stars der Cannes-Eröffnung: Catherine Deneuve und Emmanuelle Bercot („La Tête Haute“) © Katharina Sartena
Cannes-Eröffnung mal ganz anders. Keine großen Stars oder schillernde Trickfilm-Figuren. Das 68. Filmfestival bewies Mut und startete den Jahrgang 2015 am 13. Mai mit einem radikalen Film über Jugendkriminalität in Frankreich. Regisseurin Emmanuelle Bercot erzählt in „La Tête Haute“ von einem unzähmbaren Jungen, der immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt kommt. Seine Mutter (Sara Forrestier) ist komplett überfordert, deshalb begegnet der Knabe Malony (Rod Paradot) ständig einer Familienrichterin (Catherine Deneuve in einer altersweisen Rolle), die ihn vor dem Gefängnis bewahren will. „La Tête Haute“ wirft kein angenehmes Bild auf die französische Gesellschaft. Das Drama ist ein düsterer Film jenseits aller Cannes-Glamour-Welten. FilmClicks hat mit Regisseurin Bercot schon vor dem Festival-Start gesprochen.
„La Tête Haute“: Catherine Deneuve als Richterin mit dem jungen Delinquenten Malony (Rod Paradot) © Festival Cannes

FilmClicks:
Madame Bercot, wie kamen Sie auf das harte Filmthema von „La Tête Haute“? Hat es den Fall von des Jungen Malony, den Sie erzählen, wirklich gegeben?
Emmanuelle Bercot: Nein, den hat es nicht Eins zu Eins gegeben. Ich habe zusammengetragen und zusammengefasst, was ich in den letzten Jahren zu dieser Form von Jugendkriminalität gehört und gelesen habe. Es gab auch kein reales Ereignis, mit dem alles begann. Es war eher so, dass sich das Thema allmählich in mein Leben geschlichen hat; auch durch meine Arbeit als Schauspielerin. Ein Film wie „Poliezei“ etwa, in dem ich mitgespielt habe,  bestärkte mich im Gefühl, dass ein Drama wie „La Tête Haute“ mal gedreht werden muss.  

Wie lange haben Sie sich Zeit für die Vorbereitung gelassen?
Sehr viel. Man muss schließlich wissen, worüber man spricht bei so einem wichtigen Thema. Also habe ich Bücher und Studien zum Thema gelesen. Dann habe ich ein Praktikum bei einem Familiengericht gemacht, um die jugendlichen Straftäter beobachten zu können. Insgesamt sind sechs Monate an Vorbereitung drauf gegangen.

Haben Sie auch mit jungen Gesetzesbrechern wie Malony gesprochen?
Nein, ich konnte nicht mit ihnen sprechen. Die meisten von ihnen sind extrem enttäuscht und haben das Vertrauen in Erwachsene verloren. Aber ich konnte sie lange beobachten und holte mir Informationen von Menschen, die sie betreuen. Es tut weh, mitansehen zu müssen, wie wir einen Teil dieser jungen Generation wegschließen, anstatt ihnen zu helfen. Das darf nicht passieren.

Ihr Film wurde für die Eröffnung des Festivals Cannes ausgewählt -  in einer Zeit, in der viel darüber diskutiert, dass es Frauen als Filmemacher schwer haben.
Was soll das? Diese Diskussion ist für mich nicht wichtig. Zum einen müssen wir mal sagen, dass es in Frankreich jede Menge sehr gute Filmemacherinnen gibt. Das ist in anderen Ländern anders. Und deshalb entsteht auch international der Eindruck, dass Regisseurinnen eine kleine Minderheit sind. Aber ich bin strikt dagegen, dass man Filme von Frauen besonders fördert oder schützt. Ein Film muss vor allem eine starke Geschichte haben. Ob ihn eine Frau oder ein Mann macht, das ist zweitrangig.