Diagonale 2018

Das Festival in den Zeiten des Rechtsrucks

14.03.2018
von  Gunther Baumann
Ernste Eröffnungs-Gala: Die Diagonale-Chefs Peter Schernhuber (li.) und Sebastian Höglinger © Katharina Sartena
Die Stimmung war gut. Aber sie war auch schon fröhlicher. Die Eröffnung der 21. Diagonale geriet am 13. März in Graz zur ernsten Angelegenheit. Bei aller Vorfreude auf die 167 Filme und Videos, die bis zum 18. März beim Austro-Filmfest gezeigt werden: Die Gemütslage der Festredner war bestimmt durch die Erinnerung an historische Ereignisse (80. Jahrestag des Nazi-Einmarschs in Österreich) und durch Anmerkungen zu aktuellen Entwicklungen (sorgenvolle Sätze zum politischen Rechtsruck im Lande). Zu dieser Atmosphäre passte auch der – bedrückend großartige – Eröffnungsfilm der Diagonale: Regisseur Christian Frosch beleuchtet in „Murer – Anatomie eines Prozesses“ das Gerichtsverfahren gegen den steirischen Bauern und vormaligen SS-Mann Franz Murer, genannt der „Schlächter von Wilna“, der 1963 in Graz trotz erdrückender Beweise von der Mordanklage freigesprochen wurde.
 
Tradition. Es hat schon Tradition.  Peter Schernhuber und Sebastian Höglinger, die jungen Intendanten der Diagonale, stellen Jahr für Jahr ein Pop-Zitat an den Beginn des Festivals. 2016, bei ihrem Amtsantritt, sprachen sie (mit Tocotronic) ein Lob auf das Zweifeln aus. Letztes Jahr forderten sie (frei nach Hansi Lang): „Keine Angst!“ Und 2018? „Dieses Jahr wollen wir uns für die Empathie und deren Schwesterbegriff, die Toleranz, stark machen“, sagten die beiden -  auch wenn es Empathie und Toleranz schwer haben in Zeiten, in denen mediale Erregungen und Shitstorms die öffentliche Debatte prägen.
 
„Die letzten Wochen haben gezeigt: Die Politik droht zum Marktplatz der Befindlichkeiten zu werden“, sagten die beiden, die ihre Eröffnungsrede einmal mehr abwechselnd in rasantem Ping-Pong-Stil vortrugen. „Heute ist das Private Politik und die Politik Privatsache. Männerbünde, die die Politik unter sich ausmachen wollen? Das geht so nicht. Wenn das Stammtischurteil zur Instanz erhöht wird, ist Vorsicht geboten.“
 
Kontroversen. Was kann der Film,  was kann ein Festival wie die Diagonale in einer Phase tun, in der nicht wenige Zeitgenossen dazu neigen, „die Demokratie zu einer Diktatur der Mehrheit“ zu   reduzieren? Schernhuber & Höglinger: „Das Kino hat seine Stellung als prägendes Massenmedium eingebüßt, aber die Wirkmacht des bewegten Bildes ist ungebrochen. In diesem Sinne ist das Diagonale-Programm ein Versuch über die Kommunikationskultur.“ Das Ziel dabei: „Wir wollen Leinwand-Erlebnisse bieten, an denen sich Kontroversen entzünden. Der österreichische Film lebt von seiner Verschiedenheit.“
 
Versöhnliches Fazit: „Die Diagonale ist kein hermetischer nationaler Bewegtbild-Wettstreit. Sondern ein Hafen, in den Filme von internationalen Festivals einlaufen, während andere hier  ihren Weg in die Welt beginnen. Das Festival ist ein Ort des Transits.“
 
Die Moderatorin: Julia Gräfner servierte kluge Pointen mit Biss © Katharina Sartena

Vor den Intendanten hatte schon Julia Gräfner – gefeierte Grazer Schauspielerin,  Nestroy-Preisträgerin und Moderatorin des Abends – mit bissigen und schwarzhumorigen Bonmots das Leitthema der Gala in Richtung Politik gelenkt. Mehr als 1.000 Filmfreunde hörten in der ausverkauften Grazer List-Halle zu. Und auch die Ehrung von Ingrid Burkhard, die mit dem Großen Diagonale-Schauspielpreis ausgezeichnet wurde, blieb nicht frei von politischen Anmerkungen.
 
Zunächst formulierte die beneidenswert fitte 86-Jährige ein launisches Dankeschön: „Ich bin immer ein bissl verlegen, wenn so sehr in den Lob-Topf gegriffen wird. Aber heute darf ich ein bisschen davon schlecken.“ Dann blickte sie grinsend auf ihren Achtziger zurück, als sie auf offener Bühne ein Verdienstkreuz angeheftet bekam: „Verdienste für die Republik? Da musste ich mich fragen: Was war mei Leistung?“
 
Großer Diagonale-Schauspielpreis: Ingrid Burkhard bei ihrer Dankesrede © Katharina Sartena

Zeitzeugin. Schließlich wurde Ingrid Burkhard sehr ernst. „Die letzten Wochen haben mich sehr aufgeregt. Ich bin ja noch Zeitzeugin; ich habe den Anschluss erlebt und das Tausendjährige Reich überlebt.“  Sie erinnerte an ein Erlebnis, „es muss um 1943 gewesen sein, als meine Eltern unter  dicken Wolldecken verhüllt Radio Beromünster hörten, um authentische Nachrichten über den Krieg zu erfahren.“ Daraus machte sie ein Plädoyer für die Zukunft des ORF: „Es kann und darf nicht wieder passieren, dass es kein öffentlich-rechtliches Institut gibt, das die Wahrheit sagt, Herrgott nochmal!“
 
Starker Applaus. Und anschließend Zorn und Ergriffenheit während der Vorführung des Eröffnungsfilms „Murer“, in dem Karl Fischer bravourös die bleischwere Aufgabe löst, den Nazi-Täter  Franz Murer nicht  zur monströsen Karikatur werden zu lassen, sondern ihm  menschliche Züge zu verleihen. Was den Mann umso abschreckender wirken lässt.
 
„Murer – Anatomie eines Prozesses“ läuft schon am 16. März, drei Tage nach der Diagonale-Premiere, in Österreichs Kinos an. In Graz wiederum herrscht bis zum 18. März Festival-Atmosphäre pur, wobei für viele der 142 Vorstellungen noch Tickets erhältlich sind. Mehr über das Programm auf der Diagonale-Website. Wer es einrichten kann, sollte sich das Festival des österreichischen Films nicht entgehen lassen.
 
Programm-Info & Tickets: www.diagonale.at