Berlinale 2020

„Berlin Alexanderplatz“: Ein Epos von elementarer Wucht

27.02.2020
von  Peter Beddies
„Berlin Alexanderplatz“: Aus Döblins Franz Biberkopf wurde der Einwanderer Francis (Welket Bungué) © eOne Germany
Ein Höhepunkt im Wettbewerb der Berlinale: „Berlin Alexanderplatz“, die Neuverfilmung des berühmten Romans von Alfred Döblin durch Burhan Qurbani, ist ein 183-Minuten-Epos von elementarer Wucht. Der Film, ein starker potenzieller Kandidat für den Goldenen Bären, läuft schon am 16. April regulär im Kino an.
Ein inniges Paar: Jella Haase und Welket Bungué © eOne Germany

Berlin Alexanderplatz

 
Genre: Literaturverfilmung / Drama
Regie: Burhan Qurbani (Deutschland)
Stars: Welket Bungué, Jella Haase, Joachim Krol, Albrecht Schuch
Berlinale-Premiere:  Im Wettbewerb um den Goldenen Bären.
 
„Berlin Alexanderplatz“: Eine ganze Berlinale-Woche hat es gedauert, bis es ihn gegeben hat. Den einen Film, den sicher nicht jeder mag. Zu dem aber jeder eine Meinung haben wird. Einfach, weil es unmöglich ist, das Kino nach mehr als drei Stunden ungerührt zu verlassen.
 
Der deutsch-afghanische Regisseur Burhan Qurbani hat Großes gewagt. Mit „Berlin Alexanderplatz“ nahm er sich den Roman-Klassiker von Alfred Döblin aus dem Jahr 1929 vor und schuf eine Verfilmung, die neben der Über-Version von Rainer Werner Fassbinder von 1980 zumindest bestehen kann. Das muss mal so ausführlich aufgeschrieben werden, weil am Tag der Premiere rund um den Berlinale-Palast  immer wieder zu hören war: „Worauf beruht dieser Film? Döblin - nie gehört, den Namen Fassbinder vielleicht schon mal!“ 
 
Ohne Frage, man kann Burhan Qurbanis dritten Film auch genießen, ohne die historischen Bezüge zu kennen. Aber es ist einfach eine verdammt große Leistung des Regisseurs, an den sehr hohen Hürden nicht zu scheitern.

Alfred Döblin schickte einst seine Hauptfigur, den Arbeiter Franz Biberkopf, nach vier Jahren Knast ins Berlin der Zwanziger Jahre. Dort schwört der, ein guter Mensch sein zu wollen und scheitert dennoch ein ums andere Mal. Diese Prämisse übernimmt Qurbani weitgehend. Mit der kleinen Änderung, dass sein Held nun Francis (Welket Bungué) heißt, aus Afrika kommend im Meer beinahe ertrinkt, bevor er in Berlin sein Glück sucht.
 
Schon die ersten Szenen machen klar, dass es um nichts Geringeres als das Leben an sich geht. Man sieht ein blutrot eingefärbtes Meer und zwei Menschen, die ums Überleben kämpfen. Francis wird es schaffen, seine Partnerin hingegen sterben. Kurz danach ist Francis in Berlin und auch er schwört sich, nun nur noch für das Gute dasein zu wollen. Was sich aber – wie schon im Roman – als ein Trugschluss erweist.

Großartiges Spiel: Albrecht Schuch und Welket Bungué © eOne Germany

Denn bald trifft Francis auf Reinhold, der zu seiner Nemesis werden und ihn immer wieder zum Verbrechen führen soll. Dieser Reinhold, und das ist vielleicht der einzige Makel an dem soghaften Film, wird von Albrecht Schuch derart intensiv als Mix zwischen Freund, Teufel und Verführer gespielt, dass Francis-Darsteller Welket Bungué seine liebe Mühe hat, dem Szenendieb Schuch gewachsen zu sein. Reinhold führt Francis, den er bald Franz tauft, in das Geschäft ein, mit dem er Geld verdient: Drogen verticken in der Hasenheide für den Drogenboss Puma (Joachim Krol).
 
Tiefer und tiefer rutscht Franz in die kriminellen Geschäfte hinein, die ihm auch irgendwie Spaß machen. Das Gewissen meldet sich nur hin und wieder einmal. Wesentlich stärkere Gewissensbisse bekommt Franz, als er eines Tages Mieze (Jella Haase erneut exzellent) kennen und lieben lernt. Zu gern würde er aussteigen. Aber Reinhold schafft es immer wieder, ihn zu manipulieren.
 
„Berlin Alexanderplatz“ ist wie eine Oper in fünf Akten aufgebaut; mit grandioser Musik von Dascha Dauenhauer. Gleich zu Beginn erklärt die Stimme von Mieze (die uns durch den ganzen Film führt), dass ihr Francis dreimal straucheln und zwei Mal wieder aufstehen wird, dass die  Gesellschaft ihn nicht glücklich sehen mochte. Immer wieder ist Jella Haase, was glänzend funktioniert, mit Zitaten aus dem Roman zu hören. Es reiht sich eine Katastrophe an die nächste. Zwischendurch scheint auch mal Hoffnung auf. Und am Ende – anders als im Original – darf sogar von einem ganz kleinen Happy End gesprochen werden. 
 
Die schönste Botschaft aber ist, dass „Berlin Alexanderplatz“ an keiner Stelle seiner 183 Minuten belehrt oder moralisiert. Der Film unterhält glänzend und gibt uns genug Gedanken mit auf den Weg, in welcher Gesellschaft wir heute leben. Auf jeden Fall einer der großen Kandidaten für den Goldenen Bären!

Kinostart: 16. April 2020
Publikums-Chancen: Sehr ordentlich
Gesamteindruck: Wuchtiges Meisterwerk nach einem Literatur-Klassiker, das genau die richtigen Akzente setzt