Berlinale 2018

Eröffnung: Große Stars und starke Filme

16.02.2018
von  Gunther Baumann
Berlinale-Eröffnung: Regisseur Wes Anderson entsteigt seiner Limousine © Katharina Sartena
Glamour, gute Laune und Top-Stars von Bill Murray bis Tilda Swinton: Die 68. Filmfestspiele von Berlin feierten am 15. Februar einen furiosen Start. Hinter den Kulissen  geht’s freilich heiß her, denn 2019 steht die Ablöse des wegen seiner Programmpolitik umstrittenen Festspiel-Chefs Dieter Kosslick bevor.  Zum Berlinale-Beginn hat Kosslick allerdings zwei bärenstarke Filme ausgesucht. Bei der Eröffnungs-Gala im Berlinale-Palast wurde Kultregisseur Wes Anderson für seinen meisterlichen Trickfilm „Isle Of Dogs – Ataris Reise“ gefeiert, in dem Hunde zeigen dürfen, dass sie die besseren Menschen sind. In der Festivalreihe Panorama präsentierte dann der Wiener Regisseur Wolfgang Fischer mit dem Seefahrer-Drama „Styx“ einen der wuchtigsten und eindrucksvollsten Filme, die bisher zum Thema der Flüchtlingskrise gedreht wurden.
„Isle Of Dogs – Ataris Reise“: Die Hunde sind die Helden © 2018 20thCentury Fox

Isle Of Dogs – Ataris Reise

Genre: Animationsfilm
Regie: Wes Anderson (USA)
Star-Faktor: Scarlett Johansson, Bill Murray, Jeff Goldblum, Greta Gerwig, Edward Norton und andere Topstars mehr sind in der Originalfassung als Synchronsprecher zu hören
Berlinale-Premiere: im Wettbewerb um den Goldenen Bären

Der Texaner Wes Anderson genießt für seine Meisterwerke von „The Royal Tenenbaums“ bis zu „Grand Budapest Hotel“ die geradezu hymnische Verehrung vieler Filmliebhaber. Mit „Isle Of Dogs – Ataris Reise“ ist ihm erneut ein großer Wurf gelungen.
Dieses Animations-Abenteuer, in leicht ruckelnder Stop-Motion-Technik gedreht, ist in den ersten 20 Minuten visuell ein Film zum grenzenlosen Staunen. Und das, obwohl man eine naiv skizzierte und zugleich sehr düstere Welt betritt.
Zentralfigur ist ein mächtiger und korrupter Politiker namens Kobayashi, der Bürgermeister von Megasaki City (der Film ist auch eine Verbeugung vor dem Kino Japans). Er lässt die Hunde der Stadt, unter denen eine Seuche grassiert, auf die Müll-Insel Trash Island deportieren. Zwar wäre die Krankheit heilbar, doch das verschweigt der Despot, der sich seinen Anhängern als tatkräftiger Macher präsentieren will.
Kobayashi hat aber nicht mit seinem Ziehsohn Atari gerechnet. Der fliegt mit einem selbstgebauten Flugzeug nach Trash Island, um seinen Hund Spots zu retten. Zwar ist Spots zunächst unauffindbar, doch Atari freundet sich mit einer Gang von verwilderten Straßenhunden an. Gemeinsam rüsten Mensch und Hunde zum Widerstand gegen das autoritäre Regime.
Die visuelle Umsetzung dieser Geschichte explodiert geradezu vor Phantasie, und das liegt nicht nur an den möglicherweise treuherzigsten Hundeaugen, die man jemals im Kino sah. Vom Metropolen-Glanz bis zur Trash-Tristesse – jedes Bild ist so reich an Details, dass man den Film im Grunde mehrfach sehen muss, um alle Einzelheiten wahrzunehmen.
Hinzu kommt Wes Andersons höchst eigenwillige, aber brillante Idee zur Gestaltung des Soundtracks.  Alle Japaner sprechen japanisch und bleiben daher unverständlich, wenn man ihre Sprache nicht beherrscht. Die Hunde hingegen sprechen englisch (und später in der Fassung für unsere Breiten wohl deutsch). So gehen die Sympathien des Publikums ganz automatisch zu den Vierbeinern,  während man beim Schurken Kobayashi nur erahnen kann, welch böse Worte seinem Mund entweichen.
Gemindert wird das Filmvergnügen nur durch die Tatsache, dass Regisseur Wes Anderson allzu viele Themen in seine Parabel über eine dystopische Welt hineinpackt. Das macht „Isle Of Dogs“ im Lauf der Zeit etwas unrund; die Spannungsbögen sind gelegentlich etwas wackelig gezimmert. Aber auch in den Passagen, in denen die Story dahineiert, wird man von den superben Bildern verwöhnt. Die allein schon machen den Film zum Ereignis – und wohl auch zu einem heißen Tipp für den Animations-Oscar 2019.
Kinostart: 3. Mai 2018
Kinochancen: hoch – ein Muss für alle Fans der Filme von Wes Anderson
Gesamteindruck: Ein optisch überwältigender Animationsfilm mit kleinen dramaturgischen Schwächen

 
„Styx“: Die Ärztin Rike (Susanne Wolff) vor der Küste Afrikas auf ihrer Yacht © Benedict Neuenfels

Styx
Genre: Drama
Regie: Wolfgang Fischer (Österreich)
Star-Faktor: Hauptdarstellerin Susanne Wolff zählt zu den führenden deutschen Theater- und Filmschauspielerinnen
Berlinale-Premiere: in der Festival-Reihe Panorama

In der griechischen Mythologie steht der Fluss Styx für die Grenze der Welten der Lebenden und jener der Toten. Zugleich ist Styx der Name einer Flussgöttin.
Das Thema von „Styx“, dem Film, ist damit präzise umrissen. Man begleitet eine deutsche Ärztin, Rike (Susanne Wolff), die ganz allein und mit einer perfekt ausgerüsteten Yacht von Gibraltar zur weit entfernten Atlantik-Insel Ascension segelt. Ihr einsames Idyll endet, als sie eines Tages in der Ferne ein völlig überladenes und manövrierunfähiges Flüchtlings-Schiff erblickt.
Der Instinkt sagt Rike, sofort auf das Boot zuzusteuern und die Flüchtlinge an Bord zu nehmen (zu Beginn des Films sieht man, wie sie als Notärztin mit sicheren Griffen ein Unfallopfer  behandelt).  Doch die Küstenwache, mit der die Frau per Funk Kontakt aufnimmt, rät ihr dringend von der Hilfeleistung ab: Eine Rettungsmission sei unterwegs. Die Übernahme der Schiffbrüchigen auf ihre kleine Yacht könnte auch sie in ernste Gefahr bringen.
Was tun? Die Seglerin entscheidet sich erst einmal für einen Kompromiss. Sie fischt unter Aufbietung all ihrer Kräfte einen Jungen aus dem Meer, der vom Kutter der Flüchtlinge fortgeschwommen ist. Sie verarztet den verletzten Knaben; sie päppelt ihn wieder auf. Doch zugleich muss sie erkennen, dass sie nicht alle Schiffbrüchigen retten kann. Wo bleibt die versprochene Hilfsmission?
Der Wiener Regisseur Wolfgang Fischer drehte mit „Styx“  drehte einen ungemein packenden Film über die Flüchtlingskrise,  der ganz bewusst viele Fragen aufwirft, doch keine einfachen Antworten bereithält. „Styx“ segelt an einer scharf gezogenen Grenzlinie dahin: Die Opfer ihrem Schicksal zu überlassen,  scheint denkunmöglich zu sein. Sie alle zu retten, aber auch.
So entlässt diese Ozean-Odyssee das Publikum sehr nachdenklich aus dem Kino. Der Konflikt zwischen Humanismus und Egoismus, dem sich die Seglerin stellen muss, bewegt einen auch im weichen Kinosessel. Die Antworten, zu denen man selbst kommt, müssen nicht unbedingt angenehm sein.
Ganz abgesehen vom starken Grundkonflikt ist „Styx“ auch noch filmisch eine ausgesprochen starke Produktion. So lange etwa die Ärztin Rike auf ihrem Boot allein ist, füllt Susanne Wolff mühelos die Leinwand – ihr Ansprechpartner ist die bewegte See. Die Schönheit, aber auch die Gefahr des Segelns rückt so eindrucksvoll ins Bild (Kamera: Benedict Neuenfels, Schnitt: Monika Willi), wie man es im Kino kaum jemals erlebt.
So ist „Styx“  ein bewegender und bewegter Film über eines der großen Themen unserer Zeit geworden, der den Zuschauer lange nicht mehr los lässt. Großes Kompliment.
Kinostart: noch kein Termin
Kinochancen: im Arthaus-Bereich hoch
Gesamteindruck: Brillant inszeniertes und spannendes Drama über die Flüchtlingskrise, das viele harte Fragen stellt