Berlinale 2016

Goldener Bär für Flüchtlings-Doku

20.02.2016
von  Gunther Baumann
Der Gewinner des Goldenen Bären der 66. Berlinale: Gianfranco Rosi („Fuocoammare“) © Berlinale
Goldener Bär für einen Film über die Flüchtlingskrise („Fuocoammare“ von Gianfranco Rosi). Großer Preis der Jury für einen Film über die Balkankrise („Tod in Sarajevo“ von Danis Tanovic): Die Berlinale bestätigte bei der Preisverleihung am 20. Februar ihren Ruf, ein politisches Festival zu sein. Die Jury unter Meryl Streep blickte allerdings nicht nur auf die Brennpunkte des Weltgeschehens.  Der Silberne Bär für die beste Schauspielerin etwa ging an Trine Dyrholm, die in Thomas Vinterbergs Komödie „Die Kommune“ begeisterte. „Ich bin so stolz, diesen Preis beim besten Filmfestival der Welt zu bekommen“, strahlte die Dänin – und schritt zu den Juroren, um sich mit Küsschen für die Bären-Statue zu bedanken.
Der Siegerfilm der Berlinale 2016: Die Doku „Fuocoammare“ © Berlinale

Goldener Bär.
„Meine Gedanken gehen zu all jenen Menschen, die die Insel Lampedusa auf ihrer Reise der Hoffnung nie erreicht haben“, sagte Gianfranco Rosi in seiner Dankesrede: Für den italienischen Filmemacher ist der Gewinn des Goldenen Bären trotz aller Freude eine ernste Sache.
                 
Rosi wählte die italienische Insel Lampedusa, die wegen ihrer Lage vor der afrikanischen Küste von vielen Flüchtlingen angesteuert wird, zum Zentrum einer Dokumentation (ähnliches hatte zuvor schon der Wiener Regisseur Jakob Brossmann mit seiner preisgekrönten Doku „Lampedusa im Winter“ getan).
 
Der Siegerfilm „Fuocoammare“ (zu deutsch: „Feuer auf See“) verbindet Bilder von der Flucht mit Schilderungen des Alltags der Menschen auf Lampedusa. Die Szenen mit den Rettungsmannschaften auf See sind natürlich hochdramatisch: Weil es um Leben und Tod geht. Und weil nicht jeder Rettungsversuch ein positives Ende nimmt. Die Kamera zeigt nicht nur die Erleichterung der Flüchtlinge, die den sicheren Boden erreichen. „Fuocoammare“ zeigt auch den Tod.
 
Für den 51jährigen Dokumentarfilmer Gianfranco Rosi, der in Eritrea geboren wurde, ist der Gewinn des Goldenen Bären bereits der zweite Triumph bei einem großen Filmfestival. Für „Sacro GRA – Das andere Rom“ (Thema: Die Menschen, die entlang des Autobahnrings rund um Rom leben) holte er 2013 den Goldenen Löwen von Venedig.

Zum zweiten Mal Gewinner des Großen Preises der Jury: Danis Tanovic © Berlinale

Großer Preis der Jury. Ein Gedenktag in Sarajevo, exakt 100 Jahre nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand: Dieses Ereignis steht im Zentrum des Dramas „Smrt U Sarajevu / Tod in Sarajevo“ des Oscar-Preisträgers Danis Tanovic („No Man’s Land“).  
 
Der bosnische Filmemacher lässt in einem Luxushotel in Sarajevo drei Geschichten parallel ablaufen, wobei die Grenzen zwischen Fiktion und Realität immer wieder verschwimmen.
 
Oben auf dem Dach des Hotels dreht das Fernsehen an diesem  28. Juni 2014 eine Gedächtnis-Sendung, in der Historiker zu Wort kommen – und ein zorniger junger Mann, der groteskerweise den gleichen Namen trägt wie der Attentäter von einst: Gavrilo Princip. In einer Suite bereitet sich der französische Schauspielstar Jacques Weber auf einen Auftritt mit dem Bühnentext „Hotel Europa“ von Bernard-Henry Lévy vor. Zu ebener Erde versucht derweil der Hoteldirektor, ein Fiasko zu verhindern: Die Belegschaft seines Hauses hat seit zwei Monaten kein Geld mehr bekommen und will ausgerechnet an diesem Tag streiken.
 
„Tod in Sarajevo“ ist ein energiegeladenes und druckvolles Drama. Ein strahlender Film, der allerdings kein strahlendes Bild unserer Gegenwart zeichnet. Die alten Konflikte – vom Sarajevo-Attentat bis zum Jugoslawien-Krieg – sind noch nicht verarbeitet. Die Annäherung des Balkans an die EU ist eine mehr als holprige Angelegenheit: Das gemeinsame Haus Europa sieht aus dieser Perspektive ziemlich windschief aus.
 
Regisseur Danis Tanovic gewann übrigens schon zum zweiten Mal den Großen Preis der Jury. Die gleiche Auszeichnung erhielt er bei der Berlinale 2013 für das Drama „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“.

Der philippinische Regisseur Lav Diaz: Silberner Bär für „Neue Perspektiven“ © Berlinale

Silberne Bären. Neben dem Großen Preis der Jury vergaben Meryl Streep und ihre Co-Juroren – unter ihnen die Schauspieler Clive Owen, Alba Rohrwacher und Lars Eidinger – noch  sechs weitere Silberne Bären. Der philippinische Regisseur Lav Diaz erhielt dabei den „Preis für einen Spielfilm, der neue Perspektiven eröffnet“. Oops! Eine der wesentlichen Perspektiven seines Historien-Epos „A Lullaby To The Sorrowful Mystery“ ist die Tatsache, dass der Film eine Ewigkeit dauert. Mit einer Spielzeit von acht Stunden und zwei Minuten stellte dieses „Lullaby“ wohl einen neuen Festival-Weltrekord auf.

Beste Darstellerin: Trine Dyrholm (M.) in „Die Kommune“ © Berlinale

Den Darstellerinnen-Preis für die Dänin Trine Dyrholm in der Thomas-Vinterberg-Komödie „Die Kommune“ haben wir schon eingangs erwähnt. Als bester männlicher Darsteller  wurde der Tunesier Majd Mastoura ausgezeichnet. Er spielt die Hauptrolle in „Hedi“, einem Film, der die Brücke vom Privaten (einer Romanze) zum Politischen (die neu gewonnene Freiheit in Tunesien) schlägt.
 
Teddy.  Am Rande der Berlinale hatte auch ein Filmteam aus Österreich Anlass zur Freude. Das Beziehungsdrama „Kater“ von Händl Klaus wurde als bester Spielfilm mit dem Teddy, dem schwul-lesbischen  Filmpreis, ausgezeichnet.

Die Preisträger
Goldener Bär für den besten Film: „Fuocoammare“ von Gianfranco Rosi (Italien)
Silberner Bär (Großer Preis der Jury): „Smrt U Sarajevu / Tod in Sarajevo“  von Danis Tanovic (Bosnien-Herzegowina)
Silberner Bär (Alfred-Bauer-Preis für einen Spielfilm, der neue Perspektiven eröffnet): „A Lullaby To The Sorrowful Mystery“ von Lav Diaz (Philippinen)
Silberner Bär (Beste Regie): Mia Hansen-Love für „L‘Avenir“ (Frankreich)
Silberner Bär (Beste Darstellerin): Trine Dyrholm (Dänemark) für „Die Kommune“
Silberner Bär (Bester Darsteller):  Majd Mastoura (Tunesien) für „Hedi“
Silberner Bär (bestes Drehbuch): Tomasz Wasilewski (Polen) für „United States of Love“
Silberner Bär (herausragende künstlerische Leistung): Mark Lee Ping-Bing (China); Kameramann bei „Crosscurrent“
Goldener Ehrenbär für das Lebenswerk: Michael Ballhaus (Deutschland)
Goldener Bär für den besten Kurzfilm: „Balada de um Batraquio“ von Leonor Teles (Portugal)
Bester Erstlingsfilm: „Hedi“ von Mohamed Ben Attia (Tunesien)
Teddy Award für den besten schwul-lesbischen Spielfilm: „Kater“ von Händl Klaus (Österreich)