Ruth Beckermann über ihren Film „Waldheims Walzer“


„Ein wichtiger Wendepunkt in Österreichs Geschichte“

05.10.2018
Interview:  Gunther Baumann

Ruth Beckermann: Ihre Dokumentation „Waldheims Walzer“ ist Österreichs Beitrag für die Oscars 2019 © Filmladen

Als Kurt Waldheim 1986 antrat, um österreichischer Bundespräsident zu werden, zählte die junge Wiener Filmemacherin Ruth Beckermann zu jenen Bürgern, die gegen diese Kandidatur protestierten – und sie hielt ihre Eindrücke von Demonstrationen und Diskussionen auch mit der Kamera fest. Das Material ist jetzt ein Fundament von Ruth Beckermanns neuem Film „Waldheims Walzer“, in dem sie die Waldheim-Affäre mit Videobildern und Interviews, die um 1986 entstanden, aus heutiger Sicht neu aufbereitet. „Waldheims Walzer“ wird als Beitrag Österreichs ins Oscar-Rennen 2019 geschickt.  Ruth Beckermann im FilmClicks-Interview: „Rückblickend finde ich, dass die Debatte ein wichtiger Wendepunkt in der österreichischen Geschichte war. Niemand würde zum Beispiel heute noch sagen, dass Österreich das erste Opfer von Nazi-Deutschland war.“


FilmClicks: Frau Beckermann, Dokumentarfilme, die zurückliegende Ereignisse beleuchten, haben oft einen zeitlichen Anlass. Das ist bei „Waldheims Walzer“ nicht der Fall. Die Wahl von Kurt Waldheim zum österreichischen Bundespräsidenten liegt 32 Jahre zurück. Warum haben Sie gerade jetzt einen neuen Film über die Waldheim-Affäre herausgebracht?
Ruth Beckermann:  Ein persönlicher Grund liegt in der Tatsache, dass ich Videomaterial wiederentdeckt habe, das ich 1986 während der Waldheim-Debatte drehte. Aber sonst gibt es keinen besonderen Anlass, kein Jubiläum oder so etwas. Viele Leute haben sich dafür interessiert, wie ich diese Zeit damals selbst erlebt habe – und ich begann mich dafür zu interessieren, wie das größere Bild der Waldheim-Affäre  aus heutiger Sicht aussieht. Ich habe mit „Waldheims Walzer“ schon vor fünf Jahren begonnen, doch die Arbeit dann unterbrochen, um „Die Geträumten“ zu drehen. Vielleicht habe ich gespürt, dass etwas in der Luft liegt. Da „Waldheims Walzer“ jetzt zu einer Zeit fertig wurde, in der in den USA Donald Trump im Amt ist und in Österreich die neue Regierung, kam der Film wahrscheinlich zum richtigen Zeitpunkt. Hätte ich zwischendurch nicht „Die Geträumten“ gemacht, wäre „Waldheims Walzer“ vielleicht zu früh gekommen.
 
War es leicht oder schwer, das Videomaterial aus der Zeit um 1986 zusammenzutragen?
Es war keine investigative Recherche: Niemand hat etwas zurückgehalten; das Material kann man anschauen.  Als Basis diente mir das ORF-Archiv. Dann habe ich mich daran erinnert, welche ausländischen TV-Stationen damals in Wien aktiv waren. Auch dort habe ich recherchiert. Manche Kataloge sind online, man kann das Material im Internet sehen. Es war kein Problem, das Material zusammenzutragen – das Problem lag dann eher in dessen Fülle. Ich habe Tausende Stunden von Beiträgen gesehen und begann dann mit 200 Stunden Material, die ich in komprimierter Form bestellt habe, zu arbeiten. Für die Vorbereitungen habe ich zum Beispiel alle ORF-Newssendungen aus dem Jahr 1986 gesehen,  dazu Club-2- oder Inlandsreport-Sendungen, die sich mit dem Thema Waldheim beschäftigten.
 
Hat diese konzentrierte Auseinandersetzung mit dem Thema Ihren Blick auf die Waldheim-Affäre verändert?
Nein, es hat meinen Blick eher bestätigt. Mit einigen Nuancen. Natürlich war ich damals engagiert und wollte alles tun, damit Waldheim nicht gewählt wird.  Rückblickend sehe ich die Debatte in einem größeren Zusammenhang und finde, dass dies ein wichtiger Wendepunkt in der österreichischen Geschichte war; vor allem im Selbstbild der Österreicher.  Niemand würde zum Beispiel heute noch sagen, dass Österreich das erste Opfer von Nazi-Deutschland war; das kann man sich gar nicht mehr vorstellen. Manchmal sage ich – natürlich ironisch –, dass  wir Kurt Waldheim fast dankbar dafür sein müssen, dass  dieses Kartenhaus, was Österreich und die Nazi-Vergangenheit betrifft, damals zerbrochen ist. Mitte der Achtziger Jahre war die Zeit allerdings reif dafür, dass sich Österreich der Aufarbeitung seiner Geschichte stellte. Wäre nicht Waldheim der Anlass, so wäre es ein anderer gewesen.  In Deutschland wurde diese Diskussion schon 1968 geführt. In Österreich nicht.


 
Sehen Sie Parallelen zwischen der Waldheim-Debatte und der heutigen politischen Situation in Österreich?
Ich bin heute pessimistischer als 1986. Damals ging es um die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Landes. Heute geht es um die Gegenwart und Zukunft. Beide Regierungsparteien benutzen autoritäre Ideen, die wir in den 1980er und 1990er Jahren zurückgedrängt haben. Damals hatten wir keine Angst vor einer offenen Gesellschaft. Doch  heute arbeitet die Regierung mit der Angst und ist bestrebt, alles zuzumachen.  Damals gab es einen Kampf der Erinnerungen mit vielen Diskussionen und Projekten. Erstmals wurde über die Juden als Opfer gesprochen. Heute gedenkt man mit Leichtigkeit der Opfer des Nationalsozialismus, doch zugleich werden Menschen ausgegrenzt und verunglimpft. Etwa wie im Fall des FPÖ-Politikers Gudenus und des von ihm in Terrorunterstützungs-Nähe gerückten Flüchtlings. Es erinnert mich an Nazi-Hetze, einen Menschen namentlich herauszugreifen, um ihn als Repräsentanten einer Gruppe zu beschimpfen. Noch dazu ist es falsch. Das ist sehr gefährlich, weil es rasch gelingen kann, das Böse und den Hass in den Menschen zu wecken.
 
Gibt es eine Wirkung, die Sie wünschen, die „Waldheims Walzer“ auf das Publikum haben könnte?
Schon: Kritisch denken. Niemandem etwas glauben. Alles hinterfragen.  Jeder soll versuchen, sich seine eigene Meinung zu bilden. Ich hoffe zum Beispiel, dass viele Schüler den Film sehen werden, und soweit ich weiß, haben etliche Schulen ihr Interesse an einer Vorführung bereits angemeldet.
 
Warum sieht man in „Waldheims Walzer“ nur Material aus den Achtziger Jahren, aber keine neuen Interviews aus der Gegenwart?
Ich wollte zwar in meinem Text aus dem Off meinen Standpunkt und meine Erzählung anbieten, aber ansonsten keine Vorgaben liefern, wie man die Geschehnisse von damals aus heutiger Sicht interpretieren soll. Das sollen die Zuschauer selber machen.  Obendrein war es eine formale Herausforderung, nur mit Archivmaterial zu arbeiten. Es ist sehr einfach, heute Interviews zu machen und alte Bilder dazwischen zu schneiden. Ich finde, das ist ein abgenutztes Fernseh-Format.
 
Österreich hat „Waldheims Walzer“ als Beitrag des Landes für den Oscar des besten fremdsprachigen Films nominiert. Wie wichtig ist Ihnen das?
Ich habe mich noch nicht sehr damit beschäftigt. Es ist schön, dass diese Nachricht gerade jetzt kommt, wo „Waldheims Walzer“ im Kino anläuft. Das ist dann vielleicht für manche Leute ein zusätzlicher Grund, sich den Film anzuschauen.  Die Nominierung ist außerdem eine Auszeichnung für den Dokumentarfilm als Genre – es ist das erste Mal, dass hier die Wahl nicht auf einen Spielfilm fiel. Und politisch gesehen finde ich es natürlich auch nicht schlecht.   
 



Kritik
Waldheims Walzer
Die Regisseurin Ruth Beckermann schuf mit „Waldheims Walzer“ einen persönlichen und analytischen Rückblick auf die Waldheim-Affäre, die 1986 international Schlagzeilen machte. Mehr...