Barbara Pichler


Diagonale 2014: „Ein spannender Jahrgang“

16.03.2014
Interview:  Gunther Baumann

Diagonale-Intendantin Barbara Pichler: „Festivals werden für Filmschaffende immer wichtiger“ © Diagonale

Diagonale-Intendantin Barbara Pichler leitet heuer zum sechsten Mal  das Festival des österreichischen Films. Für die Diagonale 2014 (18. bis 23. März) verspricht sie einen sehr spannenden Jahrgang, aus dem für sie viele „außergewöhnliche Dokumentationen“ hervorstechen. 106 Filme treten im Diagonale-Wettbewerb an. Im FilmClicks-Interview berichtet Barbara Pichler über die Trends im österreichischen Kino, über den steinigen Weg, die Filmkultur gleichberechtigt neben die traditionelle Hochkultur zu stellen – und darüber, warum es bei der Diagonale keinen roten Teppich gibt.


Die Diagonale zeigt 2014 insgesamt 196 Filme, 106 davon im Wettbewerb. Das ist ein erstaunlich hoher Output für das Filmland Österreich.
Barbara Pichler: Bei diesen Zahlen sind natürlich sehr viele Kurzfilme dabei, das verzerrt ein bisschen die Wahrnehmung. Für den Wettbewerb, der das aktuelle Filmschaffen in Österreich repräsentiert,  wurden aus rund 500 Einreichungen 106 Filme ausgewählt.  Wir zeigen also etwa ein Fünftel der Jahresproduktion.

Graz im Diagonale-Schmuck: Das Festival läuft vom 18. bis 23. März © Diagonale

Im Zentrum des Interesses stehen die Langfilme: 15 Spielfilme und 23 Dokumentationen.
Produziert wird noch deutlich mehr – sonst würden wir unsere 500 Einreichungen nicht zusammenbringen.  Aber plus/minus 20 Langfilme pro Kategorie ist das, was eine Jury verkraften kann. Der Wettbewerb hat damit quasi ein natürliches Limit. Das ergibt keine lückenlose, doch eine vergleichsweise breite Darstellung des österreichischen Kinos.
 
Wie ist der aktuelle Jahrgang geworden?
Grundsätzlich finde ich das Angebot sehr spannend. 2013 war ein besonders starkes Spielfilm-Jahr – da liegt es in der Produktions-Logik, dass es heuer ein paar Spielfilme weniger gibt. Bei den Dokumentationen haben wir einen außergewöhnlich starken Jahrgang. Wie jedes Jahr stellt sich die Frage: Wie ist es möglich, dass in einem so kleinen Filmland wie Österreich so viele Filme entstehen, die man für ein Festival ernsthaft in Erwägung ziehen kann?
 
Und? Wie ist dieser hohe Output möglich, aus Ihrer Sicht?
Von der Seite der Künstler her gibt es, zusätzlich zu den arrivierten Filmemachern,  eine Anzahl an sehr begabten Nachwuchs-Filmschaffenden, die gerade anfangen, sich massiv bemerkbar zu machen. Dann hat Österreich ein sehr gesundes Selbstverständnis der individuellen künstlerischen Positionen. Das ist über Jahrzehnte gewachsen. Das beginnt mit Haneke und Seidl und führt fort über die Autoren, die sich seit den Neunziger Jahren einen Namen machten – Glawogger, Beckermann, Murnberger, Prochaska, um ein paar Namen zu nennen. Die Jungen arbeiten da nahtlos weiter, auch im innovativen Bereich, selbst wenn sich der etwas abseits von der allgemeinen Publikums-Wahrnehmung anspielt.  All diese Leute profitieren von dem Fördersystem, das in Österreich vorhanden  ist. Auch wenn die Fördermittel vielleicht manchmal etwas ungleich verteilt sind, wird das Innovative ebenso als förderungswürdig wahrgenommen wie das Dokumentarische oder der Spielfilm.
 
Wie stellt sich das in Zahlen dar?
In Summe, aus allen Töpfen, stehen dem österreichischen Film pro Jahr ungefähr 60 Millionen Euro an Förderungsmitteln zur Verfügung. Das ist ein Fördersystem, das nicht Alles, und nicht alles gut, aber doch Vieles ermöglicht. Man sollte diese Vielfalt nicht leichtfertig aufs Spiel setzen: Innovatives Kino, das einem breiten Publikum schwerer zu vermitteln ist als zum Beispiel eine Komödie, trägt international unglaublich viel zum Ruf des Filmlandes Österreich bei.
 
Die Diagonale ist das schöne Schaufenster für das, was während des Jahres im österreichischen Film geschieht. Kann das Festival auch Karrieren befördern?
Ich denke, dass Festivals immer wichtiger für die Filmschaffenden werden. Sie sind oft die Haupt-Ausstellungsflächen für Filme. Da gehört die Diagonale dazu und sie hat als nationales Festival zuhause noch einen besonderen Stellenwert. Die Bedeutung der Festivals wächst auch deshalb, weil sich das Durchschnittsangebot im Kino einschränkt.  Festivals übernehmen einen Teil der Funktion, die früher Programmkinos und Filmclubs innehatten. Deshalb gibt es bei den Filmschaffenden so ein unglaubliches Bedürfnis, zu Festivals zu kommen. Natürlich kann man heute alles ins Netz stellen. Doch nicht für jede Produktion ist das die geeignete Form – und auch im Netz muss man erst Aufmerksamkeit erreichen und ein Publikum finden. Ein Festival kann diese Aufmerksamkeit natürlich besser fokussieren und in den Dienst der Filme stellen. Außerdem: Ganz egal, wie viele Verwertungsmethoden es für Filme abseits des Kinos gibt – ich kenne keine Regisseurin und keinen Regisseur, die nicht den Moment haben wollen, einen Film auf der großen Leinwand im direkten Kontakt mit einem Publikum zu zeigen. 

Im Wettbewerb: Kurzfilm „Requiem For A Robot“ von Christoph Rainer © Diagonale

Trotz aller – auch international – anerkannten Qualität ist der Marktanteil österreichischer Filme im Inland bescheiden. 2012 betrug er gerade mal 3,6 Prozent aller verkauften Kinokarten. Woran liegt das?
Das hat viele Gründe. Einer davon zum Beispiel ist das beschränkte Budget vieler Filme, wodurch nicht viel Geld für Werbung und Vermarktung zur Verfügung steht. Das Kino ist heute ein Aufmerksamkeitsmarkt – ohne Geld geht’s dort nicht. Amerikanische Blockbuster haben eine Präsenz in diesem Aufmerksamkeitsmarkt, der vielen anderen Filmen verwehrt ist. Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass Österreich traditionell total auf klassische Hochkultur ausgerichtet ist, nämlich Literatur, Oper und klassische Musik. Von dort zu einer Filmkultur zu kommen, die als gleichwertig erachtet wird – das bedeutet langwierige und nachhaltige Arbeit. Diese Arbeit ist in den letzten Jahren durch die großen internationalen Erfolge österreichischer Filme natürlich stark unterstützt worden. Trotzdem ist der Weg noch weit. Film ist für die meisten Menschen – auch jene, die regelmäßig und gern ins Kino gehen - einfach Freizeitspaß und Unterhaltung. Das ist in Ordnung. In der Wahrnehmung eines breiteren Publikums zu verankern, dass Film noch etwas ganz anderes leisten kann – da stehen wir am Anfang. Auch wenn sich die Einstellung zum Film als Kunstform in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt hat.
 
Sollten junge Filmemacher auch kommerziell denken oder können sie sich ganz auf ihre Filmkunst konzentrieren?
Das österreichische Kino lebt davon, dass es eine sehr große Bandbreite hat - vom Autorenfilm zum Mainstream-Spielfilm. Dass das Publikum nur wenig von dieser Bandbreite zu sehen bekommt, ist ein Manko. Junge Leute, die in die Filmbranche einsteigen wollen, haben es wahnsinnig schwer – ganz egal, wofür sie sich entscheiden. Allerdings haben es die Etablierten auch nicht leicht; sie kämpfen.  Der Tipp an junge Filmschaffende kann, so banal es klingt, nur lauten: Versucht, das zu realisieren, was euch selber interessiert. Aber macht es nur, wenn ihr wirklich unbedingt Filme machen wollt. Denn wenn ihr glaubt, die Filmszene sei wahnsinnig glamourös, dann macht lieber etwas anderes.   
 
Hat das Filmemachen in Österreich etwas Glamouröses?
Das würde ich stark bezweifeln. Aber das gilt für die ganze Welt. Einen Film zu drehen, ist wahnsinnig anspruchsvoll und anstrengend; sogar dann, wenn man nicht unter finanziell schwierigen Bedingungen arbeitet.  Das, was glamourös ausschaut, ist ja eigentlich nur die Vermarktung, etwa bei Festivals, mit Blitzlichtern und rotem Teppich. Wenn einen das interessiert, sollte man lieber in die PR gehen.
 
Gibt’s bei der Diagonale einen roten Teppich?
Nein. Wir haben sehr viele, auch sehr renommierte Gäste, aber ein Star-System ist in Österreich höchstens in Anfängen vorhanden. Uns ist es lieber, unsere Gäste treten in einen Diskurs mit dem Publikum. Das ist produktiver als einen roten Teppich auszulegen.
 
Die Diagonale kommt im Schnitt auf rund 25.000 Besucher, ist aber natürlich ein regional begrenztes Event in Graz. Wäre es sinnvoll, Spitzenfilme des Festivals auf eine Art Diagonale-Tournee durch Österreich zu schicken?
Das gab es schon, es ist aber an den hohen Kosten gescheitert. Ich würde so eine Tournee sehr schön finden, doch sie ist aus unserem Budget nicht finanzierbar. Das müsste als Extraprojekt gefördert werden – doch ich kann mir derzeit nicht vorstellen, dass so etwas realisierbar ist. Wir versuchen einen anderen Weg: allen Kulturinstitutionen, die bei uns anfragen, österreichische Filme zu vermitteln. So, wie etwa beim Sommerkino Niederösterreich, wo es ein Diagonale-Programmfenster gibt. Da auch viele Leute aus dem Verleih-Bereich zur Diagonale kommen, sind wir so etwas wie eine Vermittlungs-Plattform für österreichische Filme – auch ins Ausland.
 
Wie hoch ist denn das Budget der Diagonale?
Das schwankt zwischen 1,2 und 1,3 Millionen Euro. Ungefähr die Hälfte davon sind Förderungen der öffentlichen Hand. Das restliche Geld kommt aus unterschiedlichen Quellen: Eigene Einnahmen, Sponsoren und Unterstützung durch Institutionen.  Ich glaube, viele Leute unterschätzen den Aufwand, den es erfordert, eine einwöchige Veranstaltung zu organisieren.
 
Was ist das Teure an einem Filmfestival?
Alles. Ein Festival zu machen, ist – wenn man Wert auf eine professionelle Abwicklung legt -  ein unglaublich kleinteiliger und arbeitsintensiver Prozess.  Wir brauchen sehr spezialisierte Mitarbeiter, doch wir sind im Kulturbetrieb weit, weit entfernt von dem, was diese Leute in der freien Wirtschaft bekommen für ihre Jobs. Und das, obwohl die Diagonale zu den glücklicheren Festivals in Österreich gehört, was das Budget betrifft.  Wie zumeist im Kulturbereich gilt: Hier sind nur Leute tätig, die aus Interesse dabei sein wollen. Fürs Geld macht das keiner.

Diagonale-Trailer: „every body“ von Michaela Grill © Diagonale

Noch einmal zurück zur Programm-Auswahl: Gibt es Filmemacher, die Ihnen und dem Diagonale-Team kritisch gegenüberstehen – weil sie beim Festival nicht vorkommen?
Natürlich. Das liegt in der Natur der Sache. Es gibt immer mehr Filme, die gemacht werden, als Filme, die wir tatsächlich zeigen können. Festivals leben auch von der Idee, dass es eine Auswahl gibt. Dass es dann trotzdem weh tut, wenn ein Film nicht gezeigt wird, oder wenn er nicht so gut ankommt, wie das intendiert war, dann ist das völlig nachvollziehbar. Ich kenne keinen Festival-Macher, der nicht den Moment hasst, in dem man zu einem Film nein sagen muss. Weil einem völlig klar ist, wie viel Herzblut und Energie in jedem Film stecken. Trotzdem führt kein Weg daran vorbei, dass Selektion nötig ist.
 
Wie viele von den 500 Filmen, die zur Diagonale 2014 eingereicht wurden, haben Sie gesehen?
Ich sehe alle Filme.  Vor diesem Festival haben wir wirklich gekämpft, denn die Minuten-Anzahl, die eingereicht wird, wächst jedes Jahr. Es gibt eine Tendenz zu längeren Arbeiten.  Vor 15 Jahren hatte ein Kurz-Spielfilm zwischen zehn und 25 Minuten – jetzt sind es eher 25 bis 50 Minuten. Die Sichtungsphasen sind anstrengend – auch deshalb, weil ein großer Teil der Filme knapp zur Deadline produziert wird und nicht schon im Oktober vorliegt.  Außerdem wächst die Zahl der Filme, mit denen man sich ernsthaft beschäftigen muss. Das ist schön – in der Organisations-Logistik aber manchmal ganz schön schwierig.
 
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ERRATUM: In einer Printfassung dieses Interviews, die im Diagonale-Sonderheft des FilmClicks-Partnermagazins „celluloid“ erscheint, ist irrtümlich zu lesen, dass Barbara Pichler in diesem Jahr zum siebten Mal die Diagonale leitet. Richtig ist: Die Diagonale 2014 ist das sechste Festival der Intendanz von Barbara Pichler.