Jürgen Vogel


„Wer gern Achterbahn fährt, sollte ,Stereo' anschauen!“

15.05.2014
Interview:  Gunther Baumann

Ein sympathischer Macho, der das ruhige Leben und Motorräder liebt: Jürgen Vogel in „Stereo“ © Filmladen

Deutschlands Filmstar Jürgen Vogel spielt im spannungsgeladenen Thriller „Stereo“ einen Mann, der  mit seiner Freundin und deren Tochter ein ruhiges Leben auf dem Lande führen möchte. Doch bald kommt heraus, dass dieser Erik auch eine dunkle, gewalttätige Seite hat. Oder ist er gar ein bisschen verrückt? Plötzlich wird Erik von einem gewissen Henry (Moritz Bleibtreu) begleitet, der für alle anderen Menschen freilich unsichtbar bleibt. Jürgen Vogel spricht im FilmClicks-Interview über seine Rolle, über Thriller und seine Lust an schrägen Filmprojekten.


FilmClicks: Herr Vogel, Ihre Filmfigur, der Motorrad-Mechaniker Erik, begegnet in „Stereo“ auf einmal einem Mann namens Henry, den nur er sehen kann und sonst niemand. Was ist da los mit Erik? Ist das ein beginnendes schizophrenes Krankheitsbild?
Jürgen Vogel: Für Erik ist der Mann Realität. Er begreift ja auch erst im Laufe der Zeit, dass nur er den Mann sehen kann. Gut, man kennt solche Situationen aus anderen Filmen – aber was dann passiert, das ist die eigentliche Überraschung. Maximilian Erlenwein, der Regisseur und Drehbuchautor, hat eine Geschichte geschrieben, die etwas sehr Menschliches und Berührendes hat. Denn was hinter dem Erscheinen dieses Henry steckt, das ist überhaupt nicht abgehoben oder schizophren. Sondern etwas sehr Normales. Etwas, wonach wir uns alle sehnen. Erik hat Sehnsucht nach einem Leben mit Familie und Geborgenheit. Doch er wird von dem eingeholt, was er wirklich ist und was er vorher gelebt hat.
 
Sie spielen einen Mann zwischen Extremen: Zu Beginn ist ihr Erik fast spießig in seinem Traum von der heilen Welt. Doch dann stellt sich heraus, dass auch sehr viel Gewalt in ihm steckt. War es schwierig, diese zwei Pole in einer Figur zu vereinen?
Nein, es war nicht schwierig, ich fand beides spannend und superinteressant. Nur kommt es selten vor, dass diese Eigenschaften in einer Figur vereint werden. Das gefiel mir total gut am Drehbuch. Auch was mit Moritz Bleibtreu geschieht, als Gegenfigur, die ebenfalls eine Veränderung durchmacht, fand ich superspannend. Die Story von „Stereo“ ist sehr clever und intelligent gestrickt. Und voll von Überraschungen. „Stereo“ ist ein Film, bei dem es am besten ist, wenn man fast nichts weiß, wenn man das Kino betritt. Deswegen winde ich mich ein bisschen, wenn ich etwas über die Geschichte erzählen soll: Der Film ist ein Trip, eine Rutsche, auf der man sitzt. Und dann rutschst du, und es wird schnell und geht ganz schön ab. Der Film ist wie ein Abenteuerspielplatz, auf dem man alles mal ausprobieren darf. So sollte man das als Zuschauer sehen.
 
Was würden Sie denn sagen, wenn Sie an der Kinokasse stehen und die Werbetrommel für „Stereo“ rühren?
Ich würde die Leute fragen, wer gern Achterbahn fährt. Die, die das geil finden, die würde ich in den Film lenken. Und die, die sagen, ach ne, mir wird schlecht, wenn es schnell wird, das mag ich nicht, denen würde ich sagen, guckt mal, da vorne, da ist noch so ein Familienfilm, geht mal da rein.
 
Der Film ist nicht nur schnell – er schaut auch sehr gut aus.
Richtig, dabei ist „Stereo“ eine Low-Budget-Produktion. Wir hatten nur 2,6 Millionen Euro – das ist die Hälfte von dem, was normalerweise ein deutscher Film kostet. Und bei einer Romantic Comedy, da kann man locker mit sieben oder acht Millionen rechnen. „Stereo“ sieht aber überhaupt nicht billig aus. Wir hatten alles an technischem Equipment zur Verfügung, was man sich nur vorstellen kann. Unser Kameramann Ngo The Chau ist nicht nur sehr gut, sondern auch sehr beliebt in der Szene. Also haben uns die Equipment-Firmen einen guten Kurs gemacht.
 
Warum hat es so lange gedauert, dass Sie gemeinsam mit Moritz Bleibtreu spielen?
Das fragen Sie uns?  Vielleicht wäre es leichter, wenn es mehr Genre-Filme geben würde. Aber Moritz und ich gemeinsam in einer romantischen Komödie? Gut, das kann auch geil sein, doch für diese Filme haben wir unsere Pappenheimer. „Stereo“ war für uns interessant, weil es ein Film ist, der sich was traut. Und Projekte, die scheitern können, bei denen man verlieren kann – bei denen kann man auch  ein bisschen was gewinnen. Als Schauspieler leiden wir ja unter der Monokultur, wenn immer das Gleiche produziert wird. Deswegen haben Moritz und ich ja auch schon kleine, schmutzige Filme gedreht. Um irgendwie den Markt breiter zu machen und Zeichen zu setzen. „Stereo“ ist auch so etwas – und zugleich sehr unterhaltsam. Low Budget bedeutet mehr Freiheit, Energie und Möglichkeiten. Während Mainstream oft zu Kompromissen führt. Und viele Geldgeber, das heißt auch Zensur, sag‘ ich jetzt mal so, etwas übertrieben. Wir müssen nicht sechs Millionen Zuschauer haben mit „Stereo“. Wir haben uns ein bisschen Rock`n`Roll geleistet. Das ist cool.
 
Im Showdown hatte ich den Eindruck: Je mehr Blut fließt, umso größer werden die Gefühle der Figuren. Als ob Männer erst dann so richtig aus sich herausgehen können, wenn sie in einer Blutlache liegen…
Schöne Beschreibung! Keine Ahnung, ob das stimmt oder nicht – aber ich finde, es klingt auf jeden Fall total gut. Wenn Sie das so sehen, ist das fein. Es ist ja auch so im Film, dass am Schluss alle Emotionen zusammenkommen. Wenn man genau weiß, wo die wunden Punkte der Figuren liegen.
 
Sie sind einer der produktivsten deutschen Schauspieler. Sitzt da nicht manchmal ein kleiner Mann neben Ihnen – nämlich eine der vielen Rollen, die Sie schon gespielt haben? Ist es für Sie immer leicht, Realität und Fiktion auseinanderzuhalten?
Also, wir Schauspieler haben eh eine Macke. Wenn ich nicht Schauspieler wäre, und ich würde mit meinen Gedanken und damit, wie ich so ticke, zum Psychiater gehen – dann kriege ich auf jeden Fall ein Gutachten. Da bin ich mir sicher. Multiple Persönlichkeitsstörung. Narzisstische Persönlichkeitsstörung. Borderliner. Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt: Das ist ja alles in einem drin.
 
Irgendwie haftet Ihnen ja das Image eines Außenseiters an…
Sehr gut. Das finde ich ein gutes Label. Ich mag das sehr. Man muss ja den Leuten nicht erklären, wie es wirklich ist. Das wäre uninteressant. Grundsätzlich versuche ich, alles mit Würde zu spielen. Und für mich ist jeder, den ich spiele, ein Mensch. Egal, was er getan hat.
 



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