Hugh Jackman


„Die Gewalt wird in diesem Film so eingesetzt, dass sie wehtun muss“

08.10.2013
Interview:  Matthias Greuling

Ein Mann nimmt das Gesetz selbst in die Hand: Hugh Jackman in „Prisoners" © Tobis

Mit dieser Aura wäre Hugh Jackman wohl eher nicht zum Sexiest Man Alive gewählt worden: Im neuen Thriller „Prisoners“ (Kinostart: 11. 10.) erlebt man den Australier mit Bart, stechenden Augen und verbittertem Gesicht. Jackman spielt einen religiösen Eiferer und Familienvater, der nach dem Verschwinden seiner Tochter das Gesetz selbst in die Hand nimmt. Beim FilmClicks-Interview in Berlin spricht der Star über seine bislang düsterste Rolle, sein Einfühlungsvermögen für Barack Obama - und warum er überall total verhätschelt wird.


FilmClicks: Mr. Jackman, „Prisoners“ handelt von Kindesentführung und der Selbstjustiz des Vaters. Sie sind ja selbst Vater, wie geht es Ihnen mit so einer Rolle?
Hugh Jackman: Es ist schwierig, so etwas zu spielen, das stimmt. Aber ich denke nicht an meine eigenen Kinder, wenn ich so einen Film drehe. Die Emotionen wären viel zu stark. Man darf als Schauspieler nicht ausschließlich Gefühle aus seinem persönlichen Leben benutzen, das kann einen Film ruinieren. Dennoch: Der Schauspieler in mir liebt die Herausforderung solcher schwierigen Rollen.
 
Dieser Mann namens Keller Dover ist sicher eine Ihrer dunkelsten Rollen bisher. Raten Ihnen die Leute in Ihrer Umgebung eigentlich von solchen Rollen ab und meinen, Sie sollten an Ihr Image denken?
Nein, ich sage es Ihnen ganz ehrlich: Ich hatte mit meinem Agenten noch nie ein Gespräch, in dem es um mein Image ging. Natürlich zeigen wir uns alle immer in gewissen Rollen, wir wollen vor den anderen eine gewisse Wirkung haben, ein Image. Aber als Schauspieler – und darin hat mich mein Agent auch immer bestärkt – sollte es mir darum gehen, so vielseitige, unterschiedliche Rollen zu spielen, wie nur irgend möglich. Mein Agent hat mir sogar zu dieser Rolle geraten.

„Man wird als Schauspieler sehr verhätschelt": Jackman bei der „Prisoners"-Premiere in Berlin © Katharina Sartena

 
Wie stehen Sie zu diesem Mann, der Selbstjustiz übt, anstatt auf die Polizei und die Gerichte zu vertrauen?
Ich liebe diese Figur. Er ist ein trockener Alkoholiker und streng gläubig, das gibt ihm Kraft im Kampf gegen seine Sucht. Er vertraut niemandem und ist jemand, der den Kampf jeden Tag aufs Neue aufnimmt. Er versucht, seine Dämonen unter Kontrolle zu halten. Sein Alltag ist hart für ihn. Er braucht das Gefühl, über sich, sein Leben und seine Familie die Kontrolle zu behalten. Das Schlimme, als seine Tochter entführt ist, ist seine Ohnmacht gegenüber dieser Situation. Er ist sich bewusst, dass ein Satz Gültigkeit hat, den ich mir auf mein Drehbuch schrieb und der von einem Vater stammt, dessen Kind tatsächlich entführt wurde: „Dein Kind wartet auf Dich, in jeder Sekunde. Es wartet nicht auf die Polizei, sondern dass du als Vater durch die Tür kommst und es rettest“. Wie auch immer wir die Situation beurteilen, in der dieser Keller Dover Selbstjustiz verübt – wenn man selbst in so einer Lage ist, geschieht das ohne rationalen Grund. Er handelt sehr instinktiv. Er fragt sich nicht, ob das moralisch in Ordnung ist.
 
Ist der Film „Prisoners“ also ein Plädoyer für Selbstjutiz?
Nein. Der Film sagt auch nicht, dass Gewalt nur mit Gewalt zu bekämpfen ist, sondern, dass es keine richtige Antwort gibt. Der Film wirft Fragen auf, und man muss sich mit diesen Fragen auseinander setzen. Durch so einen Film lernt man verstehen, wie es sein muss, wenn man Barack Obama ist: Er weiß, er hat die Macht, und er geht mit dem Gedanken ins Bett, ob er in Syrien eingreifen soll oder nicht, sehenden Auges, dass beide Möglichkeiten falsch sind. Auf diese Weise berührt mich der Film; er macht große Fragen menschlich.
 
Gibt es einen Unterschied zwischen Gewalt in einem Film wie „Prisoners“ und in einem wie „Wolverine“?
Natürlich. In „Wolverine“ ist die Gewalt sozusagen ein Spektakel. Deshalb gehen die Leute da rein, sie wollen spektakuläre Szenen und Effekte sehen. Die Gewaltdarstellung hat dort eher die Qualität eines Cartoons, der einen nicht wirklich trifft. Man will klatschen und jubeln. Und Filme wie „Wolverine“ richten sich an ein sehr junges Publikum, während das in „Prisoners“ ganz anders ist. Hier ist die Gewalt so eingesetzt, dass sie natürlich wehtun muss. Der Zuschauer soll sich nicht wohlfühlen bei diesem Film.
 
Halb Hollywood rechnet schon damit, dass Sie 2014 für „Prisoners“ für einen Oscar nominiert werden…
Ich erwarte nichts. Alles, was passiert, ist ein Bonus. Ich höre dieses ganze Getratsche nicht wirklich, ich tue einfach so, als gäbe es keine Spekulationen. Das ist der gesündeste Weg, in diesem Job.
 
Wolverine und „X-Men“ - ist das für Sie endgültig vorbei, wie man hört?
Ich glaube, die Entscheidung, ob ich bei „X-Men“ weitermache, ist gar nicht meine Entscheidung. Natürlich werde ich irgendwann nicht mehr Wolverine sein, aber in Wahrheit treffen diese Entscheidungen andere.
 
Sie tourten mit „Prisoners“ durch die halbe Welt, waren jeden Tag in einer anderen Stadt. Nervt Sie das nicht?
Als Schauspieler wird man einfach sehr verhätschelt. Fünf Minuten, bevor ich in diesem Raum zum Interview kam, wusste ich noch nicht einmal, dass ich dieses Interview führe. Das wird mir alles gesagt. Ich habe auch die Garderobe, die ich heute trage, nicht selbst ausgesucht. Ich hatte dafür keine Zeit, also habe ich jemanden angeheuert, der mit meine Kleidung auf PR-Touren zusammenstellt. Jetzt reise ich also mit 30 verschiedenen Outfits durch Europa, und in meinem Hotelzimmer ist jedes Outfit mit einem Schild versehen, auf dem steht, an welchem Tag ich es tragen soll. Sehr easy! Sogar, wenn ich einen Film drehe, sagt mir jeder, was ich zu tun habe. Der Regisseur sagt: Du gehst von da nach da. Dann sagst du das und das. Ich fühle mich wie ein verhätscheltes Baby.