Gerhard Polt , Frederick Baker


„Und Äktschn!“ mit Gerhard Polt: Eine Laien-Schar auf Hitlers Spuren

03.02.2014
Interview:  Gunther Baumann

„Und Äktschn!“: Gerhard Polt als Amateur-Regisseur mit Robert Meyer und Gisela Schneeberger © Austrianfilm

Star-Kabarettist Gerhard Polt ist erstmals seit neun Jahren wieder einem Kinofilm zu sehen. In „Und Äktschn!“ spielt er einen Amateurfilmer namens Hans Pospiech, der es sich in den Kopf gesetzt hat, mit einer Laienschar einen Film über den privaten Adolf Hitler zu drehen. Natürlich geht die Angelegenheit ziemlich grotesk daneben, doch man darf neben Polt ein bayrisch-österreichisches Klasse-Ensemble dabei bewundern, so dilettantischwie nur möglich zu agieren. Robert Meyer, der Direktor der Wiener Volksoper, wird genötigt, den Hitler-Bart anzukleben und den „Oasch aus Braunau“zu verkörpern, Gisela Schneeberger wird zu Eva Braun. Und Michael Ostrowski spielt mit hinreißend öligem Charme einen Sparkassendirektor. FilmClicks sprach mit Gerhard Polt und Regisseur Frederick Baker (die beiden schrieben gemeinsam das Drehbuch) über diese Kino-Groteske der ungewöhnlichen Art.


Gerhard Polt mit Regisseur Frederick Baker © Gunther Baumann

Sie sagten vor Drehbeginn, dass „Und Äktschn“ ein „bitterböses Porträt kleinbürgerlicher Abgründe“ werden sollte. Trifft das auf den Film nun zu?

Gerhard Polt: Jein. Man sagt mir oft nach, dass ich sehr böse Menschen darstelle. Aber was bedeutet der Begriff böse? Mir geht es eher um die Frage, ob das Menschen sind, denen ich begegnen möchte – entweder, weil sie brillant sind, oder weil sie mich in ihrer Mittelmäßigkeit interessieren. Einen brillanten Kopf interessant zu machen, ist nicht schwer. Aber einen Unscheinbaren so dazustellen, dass man mit dem mitgeht… Auch wenn so ein Mensch mit Scheuklappen durch die Welt geht und irgendeine Obsession hat, muss er ein Sympathieträger sein. Sonst schalte ich ab und denke, was soll ich mit dem Idiot. Das bringt es auf den Punkt: Die Figuren, die wir in „Und Äktschn“ darstellen, sind eigentlich nicht unsympathisch, alle nicht, auch der, der den Hitler spielt, nicht. 
 
Auch der nicht?
Der Hitler in Wirklichkeit war phasenweise mit Sicherheit auch nicht unsympathisch, denn sonst wäre er nicht der Hitler geworden. Das ist schlicht so. Denn wenn er nur unsympathisch gewesen wäre, dann hätten ihn die Leute… dann hätte es andere gegeben. Das finde ich interessant: Menschen, die sympathisch sind, können auch gefährlich sein. Man könnte  sagen, dass das böse ist.  
 
Sind Sie der Meinung, die Worte sympathisch und gefährlich sind Geschwister?
Polt: Auf alle Fälle. Der Unsympath ist erst einmal nicht gefährlich, denn der wird aussortiert. Wenn bestimmte Leute gleich von Haus aus bösartig wirken, und damit unsympathisch sind – die kommen meistens nicht weit.
Frederick Baker: Ich erinnere mich: In London, als Terroristen enttarnt wurden, da sagten die Nachbarn, der war so ruhig und hat gegrüßt. Die U-Bahn-Bomber in London galten als nette junge Burschen, und vor den Attentaten haben sie Cricket gespielt. Englischer als Cricket geht nicht. Das Böse tarnt sich.
Polt: Der Teufel hat immer eine Maske, sagt man, und wir wissen alle, der Teufel steckt im Detail. Er benutzt das Detail, um bösartig zu sein. 
 
„Und Äktschn!“ ist ein Film über einen Amateurfilmer, der ein Hitler-Porträt drehen will. Welcher dieser Handlungsstränge war zuerst da: Der Amateurfilmer oder das Hitler-Porträt?
Polt: Um etwas über Hitler zu erzählen, brauchten wir eine bestimmte Perspektive. Wir wollten nicht Hitler, den Dämon, das Monster oder die Witzfigur zeigen, sondern wir wollten ihm über Laien und Dilettantentum näherrücken. Weil wir der Meinung sind, all diese Figuren der Nazi-Zeit waren eigentlich mittelmäßige Dilettanten, die im Grunde über großes Stammtischgeplauder nicht hinweggekommen sind. Da ist nicht ein einziger wirklich brillanter Gedanke, der nicht schon dagewesen wäre. Es gab nichts Neues, auch im Vortrag nicht. Jetzt komme ich wieder zu dem Punkt, dass diese Leute, diese mittelmäßigen Leute,  auch irgendwie sympathisch waren. Das musste so sein, denn sonst wäre es nicht gelungen, dass ihnen andere nachlaufen, und zwar Leute, die weitaus besser gebildet und viel gescheiter waren. So, dass man sich fragen musste, wie ist das denn möglich.  
 
Haben Sie eine Antwort, warum es den Nazis gelang, die Massen zu begeistern?
Polt: Jetzt kommen wir zu der Geschichte, die unser Film im Endeffekt nicht löst, die auch wir bis heute nicht lösen: Was ist Ausstrahlung? Was ist Autorität? Was ist Charisma? Schon in der Schule haben wir alle erfahren, es gibt Lehrer, die kommen rein, sagen nix, und alle sind still. Und es gibt andere Lehrkörper, die müssen rumbrüllen, doch die Kinder sind nicht still. Warum ist das so? Das ist ein Mysterium geblieben. Hitler war kein großer Redner, und er hat relativ stümperhaft den Mussolini vorm Spiegel nachgeahmt. Alles war mittelmäßig. Und die Eva Braun war ein Tschapperl, eine Durchschnittsperson. Er hat sie auch immer versteckt. Diese Hilflosigkeit… der Hitler muss selber verwundert gewesen sein, dass die Leute alle nach ihm schreien.
 
All das deutet darauf hin, die Hitler-Geschichte steht im Mittelpunkt Ihres Films.
Polt: Analog zur Mittelmäßigkeit Hitlers spiele ich einen mittelmäßigen Menschen, der nichts Gescheites zuwege bringt, doch eine Leidenschaft hat, das Filmen. Dabei geht er seinen Weg und hat auch noch die Fortune, dass ihm das finanziert wird.  Er hat Erfolg, aber was er produziert, ist Mittelmaß.
Baker: Eher weniger als Mittelmaß. Wir haben den Amateurfilmer genommen, weil das Medium Film mit der Diktatur im 20. Jahrhundert sehr verstrickt ist. Stalin, Mussolini, Goebbels, Hitler, Riefenstahl – sie alle haben Film geliebt.
 
Man könnte einwenden, dass Hollywood ganz wesentlich von jüdischen Immigranten aus Europa geprägt wurde, die in der Traumfabrik begannen, Märchen und Geschichten zu erzählen – als Gegenentwurf zur Verwendung des Films in der Diktatur.
Polt: Im Endeffekt ist der Film natürlich ein Vehikel, mit dem man so oder so umgehen kann. Der Film ist erst einmal neutral. Wir lassen meine Figur, den Pospiech, sagen, dass es keine Realität außerhalb des Films gibt. Das ist ja heute so: Was nicht im Film vorkommt oder im Fernsehen, das existiert nicht. Ich wurde zum Beispiel schon gelegentlich gefragt, ob ich aufgehört habe. – Warum? – Ja, man sieht Sie gar nicht mehr im Fernsehen! -  Darauf antworte ich, Sie, ich lebe noch, und wenn Sie ein Theaterfan wären, täten Sie mich vielleicht einmal auf einer Bühne sehen. Zurück: Ein anderer Satz, der in „Und Äktschn!“ vorkommt, lautet:  Wenn man den Peter Ustinov nicht hätte, dann wüsste man nicht, wer der Nero war. Ich behaupte mal, unser fast aller Vorstellung von diesem Nero ist von Peter Ustinov geprägt, da waren Jahrzehnte an Geschichtsunterricht in den Schulen vergeblich.
 
Sind Sie selber ein Amateurfilmer?
Polt: Nein. Ich hatte nie einen Filmprojektor und habe auch die Urlaubsfilme nie selber gemacht. Auch wenn ich x-mal Zeuge von Abenden wurde, an denen man dann die Tante Luzi sieht, wie sie an der Adria Federball spielt. Das musste ich über mich ergehen lassen.
Baker: Als ich 2010 meine Dokumentation „Widerstand in Haiderland“ machte, wurde mir sehr viel Material von Amateurfilmern zur Verfügung gestellt.  Das war sehr spannend, von der Bildsprache zum Teil spannender als das, was ich mit einem BBC-Team als Profi gedreht habe. 
 
Herr Polt, das Porträtieren von durchschnittlichen Zeitgenossen ist ein Kennzeichen Ihrer Kunst. War das eine Idee von Ihnen oder hat sich das langsam entwickelt?
Polt: Das hängt damit zusammen, dass ich persönlich nicht sehr viele reiche Leute oder exponierte Leute, etwa in der Politik, kenne. Die Menschen, denen ich begegne, sind oft, sage ich mal, normale Leute mit normalen Lebensweisen. Die schauen, dass das Kind einen guten Posten bekommt, dass sie ihre Rente rechtzeitig kriegen oder dass sie wieder mal ihr Schlafzimmer ummöblieren. Im Grunde eine endlose Kette von Banalitäten, der ich auch angehöre. Aber die Sehnsüchte, die diese Leute haben, und die Möglichkeiten! Da gibt es zum Beispiel die Geschichte von einem Feuerwehrmann aus einem ganz kleinen Ort, der ist mit seinen Feuerwehr-Kollegen nach Australien geflogen. Ich fragte ihn, was war das Ergebnis. Ja, war schön, antwortete er, warm, ziemlich heiß, und mir ham gegrillt mit denen. Mit der Partner-Feuerwehr. – Und dann, was habt’s noch gemacht? – Ja,  wir waren noch irgendwo, das war ganz schön. Und dann ist er wieder heimgeflogen, nach fünf Tagen.
 
…und damit ist Ihr Sketch im Grunde schon fertig. Aber kehren wir noch einmal zu Ihrer Frage nach dem Wesen von Charisma zurück. Da könnten Sie ja auch bei sich selbst eine Antwort suchen.
Polt: Nein, das kann ich nicht. Wenn ich das Glück habe, dass mir bei meinen Auftritten Menschen zuhören, dann kann ich wenig dazu sagen, weil ich es selber nicht weiß, warum das so ist. Es hat keinen Sinn, darüber nachzudenken. Entweder, man ist interessant für andere, oder eben nicht.
Baker: Gerhard hat ein Charisma. Beim Test-Screening von „Und Äktschn!“ in München war die allererste Einstellung zu sehen: Gerhard radelt durch die Nacht. Da haben die Leute schon angefangen, zu lachen. Sie haben das Radl gehört, sie haben ihn gesehen, und da war’s schon aus.



Kritik
Und Äktschn!
„Und Äktschn!“, der neue Film von und mit Gerhard Polt, ist eine groteske Grübelei über die Mittelmäßigkeit und ihre mitunter sehr schlimmen Folgen. Mehr...