Untitled

Michael Glawogger und sein Blick auf die Welt


FilmClicks:
„Untitled“: Michael Glawoggers Blick auf die Welt lässt seine Protagonisten auf die Welt blicken © Filmladen
DIE STORY: „Untitled“ ist der letzte Film von Michael Glawogger. Der Regisseur reiste im Dezember 2013 mit einem kleinen Team aus Österreich ab, um einen „Film ohne Namen“ zu drehen.
Das Doku-Projekt sollte auf einer Weltreise entstehen, für deren Dauer ein ganzes Jahr veranschlagt war. Glawogger, Kameramann Attila Boa und Tonmann Manuel Siebert drehten auf dem Balkan und in Italien, in Nordwest- und Westafrika. Vier Monate und 19 Tage lang. Dann war Schluss.
Michael Glawogger hatte sich im westafrikanischen Liberia mit einer besonders aggressiven Form der Malaria infiziert. Ein Heimtransport war bereits organisiert. Zu spät: Der Filmemacher starb am 22. April 2014, erst 54 Jahre alt, auf dem Flughafen von Monrovia.
Bereits während der Reise hatte Glawogger Bildmaterial an seine langjährige Cutterin Monika Willi geschickt,  die daraus kleine „Quicktime-Movies“ machte. In Abstimmung mit Glawogger sollte so eine stilistische Form für das nach allen Seite offene Filmprojekt gefunden werden.
Nach dem Tod des Filmemachers und einer Zeit des Innehaltens hat Monika Willi nun aus dem nachgelassenen Bildmaterial, aus Texten Glawoggers und aus der Filmmusik von Wolfgang Mitterer „Untitled“ montiert. Es entstand ein Film, der, so sagt Monika Willi, „bei einem anderen Lauf des Schicksals ein ganz anderer hätte sein können oder sollen. Doch es ist wie es ist.“  
Er kehrte vom „Untitled“-Dreh nicht zurück: Michael Glawogger (1959 - 2014) © Filmladen Trimmel

DIE STARS: Der gebürtige Grazer Michael Glawogger, Jahrgang 1959, etablierte sich 1998 mit „Megacities“ als Dokumentarfilmer von internationalem Rang – eine Position, die er mit Dokus wie „Workingman’s Death“ (2005) oder „Whores‘ Glory“ (2011) weiter ausbaute. Glawogger war zugleich ein erfolgreicher Spielfilm-Regisseur, der mit rauen Werken wie „Nacktschnecken“ (2004) oder „Slumming“ (2006) beeindruckte. „Das Vaterspiel“, Glawoggers Verfilmung von Josef Haslingers gleichnamigem Bestseller, wurde 2009 mit dem Großen Preis der Diagonale ausgezeichnet.
Die Filmeditorin Monika Willi, gebürtige Innsbruckerin, arbeitete mit Michael Glawogger schon bei „Workingman’s Death“, „Contact High“ und „Whores' Glory“ zusammen. Michael Haneke engagierte sie für den Schnitt großer Filme wie „Die Klavierspielerin“, „Das weiße Band“ oder „Liebe“. Auch bei Hanekes kommendem Film „Happy End“ sitzt Monika Willi wieder im Schneideraum. Zuletzt arbeitete sie mit Josef Hader bei „Wilde Maus“ zusammen. „Untitled“ ist ihre erste Co-Regie.
 
Balkan-Szene mit Schaf und kriegszerstörtem Haus © Filmladen

DIE KRITIK:
Am 3. Dezember 2013 lud Michael  Glawogger Journalisten zu einem winterlichen Besuch in seinem Garten im niederösterreichischen Pitten. Er wollte seinen „Aufbruch ins Ungewisse“ feiern; den Drehbeginn für „Untitled – Der Film ohne Namen“. Das kühne Projekt war als das „Vorher und Nachher einer Weltreise“ geplant.
Seine Absichten formulierte Glawogger damals so: „Dieser Film soll ein Bild der Welt entstehen lassen, wie es nur gemacht werden kann, wenn man keinem Thema nachgeht, keine Wertung sucht und kein Ziel verfolgt. Wenn man sich von nichts treiben lässt außer der eigenen Neugier und Intuition.“
Nun ist so etwas leichter gesagt als getan: Ein Film verlangt nach Form und Struktur, will er nicht ins Beliebige abgleiten. Das kleine „Untitled“-Team fand bald nach seiner Abreise ein Stilmittel namens Serendipity, das Kameramann Attila Boa so beschrieb: „Serendipity war unsere einzige Richtlinie. Eine Mischung aus Erwartung, dass etwas kommen wird, und dem Umarmen des Zufalls, wie auch immer er eintreten möge“.
Aus all dem ist nun Michael Glawoggers „Untitled“ in der Fassung von Monika Willi entstanden: Ein ungeheuer treibender, bewegungsstarker Film, der tausenderlei Bilder von der Welt und ihren Bewohnern am Betrachter vorbeiziehen lässt.
Glawogger, der Beobachter, findet Menschen, die oft Suchende sind: Suchende nach Glück, nach ein wenig Geborgenheit, oder auch nach dem Aufbruch zum großen Abenteuer.  „Untitled“ zeigt kein ästhetisches, beruhigendes Bild der Welt. Postkartenschöne Motive sieht man hier nicht.
Die Kamera streift durch kriegsvernarbte Balkandörfer. Sie folgt einer Ziegenherde, die auf einer gigantischen Müllhalde nach Nahrung sucht. Oder sie beobachtet junge Männer, die artistisch Fußball spielen, obwohl  sie nicht mehr alle ihre Gliedmaßen besitzen (Amputation nach Kriegseinsatz?).  
Kurzum: „Untitled“ ist kein bebildertes Journal des Luxus und der Moden geworden, sondern ein Film, der auf die Kehrseiten blickt, auf die Armut, auf Zerstörung und unerfüllte Träume. Zugleich aber, und das ist ein Kunststück, versinkt das Werk nicht in Melancholie, sondern beschert Bilder vom prallen Leben. Denn „Untitled“ zeigt auch den Mut und die Energie  von Menschen, die sich wegen ihres schlechten Startplatzes im Leben nicht davon abhalten lassen, ihre Tage mit Fröhlichkeit und Elan in Angriff zu nehmen.
Michael Glawoggers unvollendete Filmerzählung wurde von Monika Willi zu einer in allen Farben schillernden Collage montiert, die den Betrachter mitreißt und fasziniert. „Untitled“ ist schnell und mit feinem Rhythmusgefühl geschnitten. Wolfgang Mitterers pulsierende Musik unterstützt das Geschehen und setzt oft auch markante Kontrapunkte. Birgit Minichmayr zitiert als Erzählerin aus den Gedanken, die Glawogger während seiner Reise niederschrieb.
Fazit: „Untitled“  lädt zu einer Filmreise der ungewöhnlichen Art, die trotz ihrer tragischen Entstehungsgeschichte reich ist an Mut- und Muntermachern aller Art. Die Doku liefert nicht ein Bild der Welt, sondern deren viele. Und jedem Zuschauer bleibt es überlassen, das Gesehene für sich persönlich selbst zu interpretieren.
 
IDEAL FÜR: Verehrer der Filme von Michael Glawogger und für Kinogänger, die den offenen Blick auf die Welt schätzen.






Trailer
LÄNGE: 107 min
PRODUKTION: Österreich 2017
KINOSTART Ö: 31.03.2017
REGIE:  Michael Glawogger, Monika Willi
GENRE: Dokumentation
ALTERSFREIGABE: ab 12


BESETZUNG
Birgit Minichmayr: Erzählerin

Interview
„Es war mir wichtig, dass das Publikum um den tragischen Ausgang dieser Reise weiß“
Die Schnittmeisterin Monika Willi erzählt im Interview über ihre Arbeit an Michael Glawoggers letztem Projekt „Untitled“, das sie nach dem tragischen Tod des Regisseurs im Jahr 2014 nun als Ko-Regisseurin vollendete. Mehr...