Jean-Pierre Améris über seine Komödie „Familie zu vermieten“


„Meine Stimme ist das Kino“

17.04.2016
Interview:  Matthias Greuling

„Familie zu vermieten“: Jean-Pierre Améris (li.) mit Benoit Poelvoorde und Virginie Evira © Polyfilm

Regisseur Jean-Pierre Améris berichtet in seinen Filmen gerne von Außenseitern, denen sich plötzlich eine Chance im Leben bietet. Der Franzose hat bereits 15 Spielfilme inszeniert, zuletzt das Drama Die Sprache des Herzens über ein verschlossenes taubblindes Mädchen. Jetzt ist seine Komödie Familie zu vermieten im Kino angelaufen. Wir trafen Améris zum Gespräch über seine Filme in Paris.


FilmClicks: Monsieur Améris, es heißt, Sie schöpfen für Ihre Filme zuallererst aus sich selbst. Sind Sie ein einsamer Mann?
Jean-Pierre Améris: (lacht) Da ich bei den meisten meiner Filme auch selbst das Drehbuch schreibe, fließt da natürlich immer viel Persönliches ein. Dinge, die ich selbst erlebt habe, oder über die ich gelesen habe. Selbst in „Die Sprache des Herzens“ gab es solche autobiografische Szenen, obwohl diese Geschichte so gar nichts mit meinem Leben zu tun hat.
 
Gibt es auch bei Familie zu vermieten diesen ernsten Anspruch, oder sehen Sie Komödien mehr als Mittel zur Zerstreuung?
Nein, das ist genauso wie bei einem Drama. „Familie zu vermieten“ ist erst meine zweite Komödie. Aber der Film ist auch autobiografisch. Es gibt da einen roten Faden, der sich durch alle meine Filme zieht: Ich erzähle gerne über Menschen, die eher introvertiert sind, die anders sind, als die anderen, die aber plötzlich eine Möglichkeit finden, sich ihrer Umwelt zu öffnen. Das ist eine Eigenschaft, die ich selbst auch habe. Schon als Jugendlicher war ich eher verschlossen meinen Mitmenschen gegenüber. Ich hatte das große Glück, dass ich meine Liebe zum Kino entdeckte, denn im Kino geht es in erster Linie um die Kommunikation zwischen Menschen. Deshalb interessiert mich der Moment so sehr, in dem es Menschen das erste Mal schaffen, mit ihrer Umwelt in Kontakt zu treten. Denken Sie an „Die Sprache des Herzens“, darin ging es um ein taubes und blindes Mädchen, das unfähig zur Kommunikation war. Erst die Nonne Marie schafft es, sich ihr anzunähern – und das Mädchen öffnet sich. Für genau diese Momente mache ich Filme. Und im übertragenen Sinn erzählte „Die Sprache des Herzens“ meine eigene Geschichte.

Améris: „Ich erzähle gern über Menschen, die anders sind als die anderen“ © Katharina Sartena

Das klingt, als nutzten Sie das Kino zur privaten Therapie
Ich habe meine Stimme durch das Kino gefunden, das ist wahr. Ich sehe das heute bei vielen jungen Menschen, die ziellos durchs Leben irren: Ihnen gibt man die Chance nicht, ihre Talente zu entdecken. Jeder hat doch ein spezifisches Talent, aber man muss es auch finden können. Da sollte man in der Jugendarbeit ansetzen, finde ich. Solche Dinge fließen ständig in meine Arbeit mit ein. In „Familie zu vermieten“ gibt es mit Violette eine Figur, die dankbar ist, dass Paul-André ihr den Hinweis auf ihr wahres Talent gibt.
 
Komödien sind am schwierigsten zu machen, sagt man. Stimmt das?
Wenn ich könnte, würde ich noch viel mehr Komödien drehen, denn ich liebe dieses Genre, vor allem die Klassiker aus den USA von Frank Capra oder Ernst Lubitsch. Aber ich glaube, als Komödien-Autor ist man viel einsamer als wenn man ein Drama schreibt, weil man da mit seinen Gedanken viel mehr allein gelassen wird, was die eigenen Gags betrifft. Man kann sich nie sicher sein, ob sie wirklich funktionieren. Werden die Leute lachen? Ist das wirklich lustig, was ich schreibe? Man kann das auch nicht wirklich testen, finde ich.
 
Es kommt hierbei eben immer aufs richtige Timing an, oder?
Ja, genau. Und das geschieht dann meistens im Schnitt - wenn alles abgedreht ist. Deshalb kann man erst dann testen, ob es funktioniert. Auch die Musik setzt noch einmal eine ganz neue Dimension für Komödien obendrauf. Man findet meist erst im Schneideraum das Vertrauen zur Tonlage des Films, zu seinem Rhythmus, zu den Dialogen und dem Tempo. Man muss dabei wahrhaftig erzählen, sonst geht’s daneben.
 
Die meisten Schauspieler sagen: Eine Komödie muss man unbedingt bitterernst spielen, sondern funktioniert sie nicht.
Exakt, genau das deckt sich auch mit meinen Erfahrungen. Was uns zum Lachen bringt, ist, dass die Figuren in Komödien es sehr ernst meinen mit ihrer Situation. Nehmen Sie Depardieu oder Pierre Richard - die beiden sind großartige Komödianten, weil sie die Rollen sehr ernst nehmen und wie ein Drama anlegen. Und es stimmt auch, dass der Humor erst mit der Präsenz der Schauspieler zündet, sobald die Chemie passt.



Kritik
Familie zu vermieten
„Familie zu vermieten“ ist eine typisch französische Komödie mit zwei Stars aus Belgien. Benoît Poelvoorde und Virginie Efira spielen zwei Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, die auf ungewöhnliche Art zu einer Familie werden. Mehr...