Sebastian Brameshuber


Heimat, Gitarren und Gewehre

16.06.2014
Interview:  Gunther Baumann

Sebastian Brameshuber: „Ich wollte Farben und Licht in eine Grauzone bringen“ © Michael Schöppl

Auch in der Sprachlosigkeit kann große Aussagekraft liegen. Regisseur Sebastian Brameshuber schuf mit dem Jugend- und Stadt-Porträt „Und in der Mitte, da sind wir“ eine der eindrucksvollsten Dokumentationen des Jahres. Im FilmClicks-Gespräch erläutert der 33jährige Oberösterreicher seinen Film, in dem Teenager aus Ebensee im Salzkammergut – der Ort ist seit einer Neonazi-Attacke im Jahr 2009 imagemäßig belastet – ihre Sicht auf die Welt, das Leben und das ehemalige KZ Ebensee schildern.


„Und in der Mitte, da sind wir“: Jugendliche in Ebensee im Salzkammergut © Filmladen

FilmClicks: Wie entstand Ihre Doku „Und in der Mitte, da sind wir“?

Sebastian Brameshuber: Ich bin in Gmunden, also in der Nähe von Ebensee, aufgewachsen. Der Neonazi-Vorfall dort im Jahr 2009 lieferte die Initialzündung zum Film. Elf Jugendliche trafen sich damals während der Gedenkfeiern in den Stollenanlagen, die zum KZ Ebensee gehörten. Sie haben den Besuchern aufgelauert; sie schossen mit Soft Guns auf eine französische Gruppe und schrien Nazi-Parolen wie „Sieg Heil“ und „Heil Hitler“. Es war ein martialischer Auftritt, der dann für viel internationale Berichterstattung sorgte.
 
Wie haben Sie den Skandal wahrgenommen?
Ich hatte danach den Eindruck, dass der Vorfall einerseits als Attacke vom rechten Rand und andererseits als eine Art Lausbubenstreich eingeordnet wurde – also so, dass man sich als Bürger wieder wohlfühlen konnte, weil man mit diesen Gruppen nichts zu tun hatte.  Mir kam es allerdings bei der Beobachtung des Prozesses gegen die Täter in Wels und bei meinen Recherchen so vor, dass man das nicht als Randphänomen abtun kann. Die Attacke schien mir aus der Mitte der Gesellschaft zu kommen. Aus diesen Gedanken entstand die Idee, mit einem Film Jugendliche zu suchen und zu begleiten, die mir repräsentativ erscheinen für den Ort und seine Gesellschaft. Eines meiner Ziele war es, Farbe und Licht in diese Grauzone zu bringen.
 
Haben Sie nicht daran gedacht, die Beteiligten an der Neonazi-Aktion zu porträtieren?
Nein.  Für mich war es  nicht das Spannende, retrospektiv oder investigativ über den Vorfall zu erzählen. Ich wollte der Frage nachgehen, ob so etwas noch einmal passieren könnte, und die gesellschaftlichen Strukturen offenlegen. Das wollte ich mit Jugendlichen machen, die nicht im Verdacht stehen, an solchen Aktionen beteiligt zu sein.
 
Und? Könnte so eine Neonazi-Attacke in Ebensee wieder passieren?
Zum Glück gibt es eine sehr eindeutige Gesetzeslage. Den Beteiligten wurden 2009 klar die Grenzen aufgezeigt. Es gab entsprechende Verurteilungen oder auch Freisprüche, und das hat Nachwirkungen. In der Form von 2009 wird sich so etwas nicht mehr ereignen, zumindest nicht in absehbarer Zukunft.  Die Gesetze verändern aber nicht das Grundproblem. Es hat mich interessiert, nachzuschauen, wo die Jugendlichen - oder die Gesellschaft insgesamt - der Schuh drückt.  Ich hoffe, dass mein Film zur Diskussion anregt. Man könnte ja auch sagen: Die Jugendlichen, die 2009 an dem Vorfall beteiligt waren, leben in einem Umfeld, in dem die Nazi-Vergangenheit verdrängt wird. Und mit ihrer Aktion forderten sie ein, dass wieder darüber gesprochen wird.
 
„Und in der Mitte, da sind wir“ hat drei Haupt-Protagonisten. Mit wie vielen Jugendlichen haben Sie vor dem Dreh gesprochen und warum wurden dann gerade diese drei ausgewählt?
Interviewt haben wir etwa 60 Leute. Ich habe dann Probedrehs gemacht und es hat sich sukzessive auf die drei eingeschränkt, die im Film vorkommen. Und ein vierter kam während des Drehs noch hinzu. Die drei Hauptfiguren: Michael steht für Heimatbewusstsein und Brauchtum - manchmal übertriebenes Heimatbewusstsein. Er ist einer, der überhaupt nicht weg will von Ebensee. Andreas ist ein Junge, der zwei Dinge gern in der Hand hält – einerseits eine Gitarre, andererseits ein Gewehr. Dieser Gegensatz, dieser Widerspruch hat mich interessiert. Ramona kam deshalb dazu, weil sie in der Siedlung wohnt, die auf dem ehemaligen KZ-Gelände errichtet wurde. Sie kam mir sehr ängstlich und in sich gekehrt vor, hat aber gerade dadurch eine starke filmische Qualität: mit ihrer Stille, in der man mehr sieht und spürt als das, was sie  sagt. In ihrer Gestik, ihrer Haltung fühlt man viel von der Orientierungslosigkeit, die im ganzen Film bemerkbar ist.
 
Lag dem Dreh eine Art Scripted Reality zugrunde oder haben Sie die Protagonisten einfach drauflos reden lassen?
Es gab keine Scripted Reality und auch kein Drehbuch, aber ein Dreh-Konzept. Wir haben vor jedem Dreh-Block recherchiert und Themen ausgewählt; wir wussten, wo die Kamera steht und wo die Personen. Dann haben wir uns bemüht, die Aufnahmen möglichst konzentriert zu Bilde und zu Ton zu bringen. Es ist bei den Jugendlichen nämlich nicht immer leicht, einige Minuten Konzentration aufrecht zu erhalten. Ich hatte natürlich eine gewisse Vorstellung davon, welche Bilder ich im Film haben wollte. Die Locations, an denen ich drehen würde, habe ich mir relativ genau überlegt. Wenn dann vielleicht etwas spontan passiert ist, hatte ich rasch die Locations zur Hand, die zu den Situationen gepasst haben.
 
Wie kamen Sie auf den Titel „Und in der Mitte, da sind wir“?
Es gibt ein Lied namens „Ebenseer Blues“, gespielt von der Schützenmusik vom Tirolerwirt, einem Gasthaus in Ebensee. Das Lied kennt jeder dort. Es beschreibt die geografische Situation: Oben is Ischl, unten is Gmunden, und in der Mitte, da sind wir. Aber für mich beschreibt es auch die Mitte zwischen Kindheit und Erwachsensein, zwischen Anspruch und Wirklichkeit – viele Mitten, in denen sich diese Jugendlichen befinden. Das fand ich so treffend, dass ich das Zitat als Filmtitel auswählte.



Kritik
Und in der Mitte, da sind wir
Sebastian Brameshuber porträtiert in der Doku „Und in der Mitte, da sind wir“ Jugendliche aus dem Städtchen Ebensee im Salzkammergut, das 2009 durch eine Neonazi-Aktion international ins Gerede kam. Mehr...