Und in der Mitte, da sind wir

Leben und Schweigen auf dem Lande


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Zwei Punks vom Lande: Die britische Fahne lockt, doch schon der Nachbarort ist zu weit weg © Filmladen
DIE STORY: Die Doku „Und in der Mitte, da sind wir“ lenkt den Blick auf Ebensee – ein Städtchen, das im Salzkammergut irgendwie die Arschkarte gezogen hat. Anderswo wurde Salz gewonnen (Hallstatt); man schwebte in Operettenseligkeit (Bad Ischl) oder man pflegt bis heute eine konservative Bürgerlichkeit (Gmunden). Und in der Mitte, da ist Ebensee: Seit dem 17. Jahrhundert die Arbeiterstadt dieser Idylle. 1943 bauten die Nazis das KZ Ebensee. Mehr als 8.400 Häftlinge starben in dem Nebenlager des KZ Mauthausen.
2009 machte Ebensee rund um den Globus Schlagzeilen. Rechtsradikale Jugendliche mischten mit „Sieg Heil“- und „Heil Hitler!“-Rufen eine Gedenkfeier im ehemaligen Konzentrationslager auf. Aus Soft Guns ertönten Schüsse. Eine französische Reisegruppe reiste schockiert ab.
Dieser Vorfall hat den Filmemacher Sebastian Brameshuber (er stammt aus Gmunden) zu seiner Dokumentation inspiriert. Ein Jahr lang folgte er Teenagern aus Ebensee. „Und in der Mitte, da sind wir“ handelt von ihrem Alltag, ihren Träumen, ihren Berufen. Und natürlich von der Frage, ob sich ein Vorfall wie 2009 wiederholen könnte. „Nein“, lautet der Tenor. Ein Grund zum Aufatmen? Nicht unbedingt. Die Ebenseer im Film sagen nicht, dass ein Umdenken stattgefunden hat. Sie sagen:  „Heute sind die Gedenkfeiern sehr gut abgesichert.“

Punk mit Gamsbarthut und Ratsche: Michael © Filmladen

DIE STARS: „Und in der Mitte, da sind wir“ ist der zweite abendfüllende Dokumentarfilm des 33-jährigen Oberösterreichers Sebastian Brameshuber, der sich von Beginn seiner Karriere an international einen Namen machte. Sein Erstling „Muezzin“ kam 2009 beim Festival Karlovy Vary heraus. Die Ebensee-Doku hatte im Februar 2014 bei der Berlinale Weltpremiere. Die Protagonisten des Films sind natürlich keine Stars. Michael Erhardt, Andreas Mitterndorfer, Ramona Trauner und David Bammer  aus Ebensee schaffen es aber sehr eindringlich, die Ansichten – und die Sprachlosigkeit – von Jugendlichen vom Lande auf die Leinwand zu bringen.
 
Gut an der Gitarre - aber auch beim Paintball-Schießen: Andi © Filmladen

DIE KRITIK:
Andi spielt eine prächtig raue Rockgitarre. Genauso gern spielt er allerdings mit einem Gewehr. Michi deckt bei seinem Gastronomie-Job im Landwirtshaus akkurat jeden Tisch. Privat gibt er sich wilder: „Ich hoffe halt, ich bin ein Punk.“ Ramona würde sich gern ein Piercing in die Lippe stechen lassen. Ihre Mutter ist dagegen. Ramona möchte Friseurin werden. Dagegen hat die Mutter nichts. David schaudert es manchmal, wenn er an frühere Eskapaden zurückdenkt: „Ich war einmal rechtsextrem“. Jetzt kleidet er sich ebenfalls lieber als Punk.
Ebensee in Oberösterreich. Vier Jugendliche, vier Momentaufnahmen. Die Protagonisten von „Und in der Mitte, da sind wir“ könnten von überall stammen. Sie sind Suchende, wie alle Teenager; mal störrisch, mal bockig, mal sprudelnd kreativ. Doch zugleich müssen sie mit der Tatsache zurecht kommen, dass ihre Heimatstadt wegen ihrer Nazi-Vergangenheit ein, sagen wir, schwieriges Image hat. „Man sollt‘ doch irgendwo des oft a irgendwo wieder ruhen lassen“, formuliert einer der Väter; jeder rechten Gesinnung unverdächtig.
Doch es waren die Rechten – Neonazis für die einen, Lausbuben für die anderen -, die es 2009 mit ihrem Sturm auf die Gedenkfeier wieder einmal verhinderten, dass Ebensee  heute als nur als Tourismus-Ort wahrgenommen wird. Als Schauplatz des (Amateur)-Filmfests „Festival der Nationen“ oder des „Ebenseer Glöcklerlaufs“, der zum UNESCO-Kulturerbe zählt.
Der KZ-Gedenkstollen steckt wie eine (am liebsten) vergessene Wunde im Körper von Ebensee. „Das ist ein Loch im Berg, mehr sieht man eh nicht“, sagt einer. „Die Touris sollen (zur Gedenkstätte des KZ) Mauthausen fahren, da sehen sie ein bissl mehr“, sagt Ramona. Sie meint das nicht böse. „Dass man gegen die Nazis ist, ist wichtig“, hat Michi gelernt, im Hinblick auf seine Karriere als Punk.
Regisseur Sebastian Brameshuber folgt seinen Protagonisten mit geduldigen, stillen Einstellungen (Kamera: Klemens Hufnagl), in denen sich die Gedanken entfalten können und die Bilder auch. Das langsame Tempo erzeugt keinen langsamen Film, sondern es entfacht einen Sog, dem man sich als Zuschauer nicht entziehen mag. Das Schweigen der Kids ist genauso beredt wie ihre Worte.

Irgendwann will sie weg aus Ebensee: Ramona © Filmladen

„Und in der Mitte, da sind wir“ rückt auch die Ereignislosigkeit des jugendlichen Landlebens ins Bild: Mal schaut man den Arbeiten auf einer Baustelle zu, mal fährt man mit einem Mini-Moped in einer Garage im Kreis. Bewegung gibt es gelegentlich durch die Züge der ÖBB, die wie eine Aufforderung zum Aufbruch durch den Film huschen. Aufbruch, Ausbruch? „Scheiß Zug“, sagt dann der Michi. Schon Gmunden, keine 15 Kilometer entfernt, ist ihm zu weit weg. Nur Ramona denkt anders: „Ich ziehe einmal weg von hier, das ist fix.“
Fazit: „Und in der Mitte, da sind wir“ ist eine Doku, die mit einfachen Mitteln größte Intensität erzeugt. Sebastian Brameshuber drehte ein manchmal beklemmendes und manchmal erheiterndes Jugend- und Stadtporträt, das große Allgemeingültigkeit besitzt, jedoch aus Gründen der besseren Verständlichkeit (Ebensee ist eine Dialekt-Insel) mit deutschen Untertiteln ins Kino kommt. Die Frage, ob der Nazi-Wahn auch heute noch Chancen hätte, bleibt natürlich ungeklärt: Vermutlich nicht. Ganz ausschließen kann man’s aber auch nicht.
 
IDEAL FÜR: die große Gemeinde der Fans starker Dokumentarfilme.






Trailer
Interview
Heimat, Gitarren und Gewehre
Sebastian Brameshuber, 33, schuf mit „Und in der Mitte, da sind wir“ einen der eindrucksvollsten Dokumentarfilme des Jahres. Im FilmClicks-Interview schildert er, was ihn daran reizte, eine Gruppe von Teenagern aus Ebensee  mit der Kamera zu begleiten. Mehr...
LÄNGE: 91 min
PRODUKTION: Österreich 2014
KINOSTART Ö: 13.06.2014
REGIE:  Sebastian Brameshuber
GENRE: Dokumentation
ALTERSFREIGABE: ab 12