Leonardo DiCaprio


„Eine Gesellschaft, die auf Habgier beruht, hat keine Zukunft“

15.01.2014
Interview:  Anna Wollner

Leonardo DiCaprio in und als „The Wolf of Wall Street“: Entfesseltes Porträt eines Finanz-Hais © Universal Pictures

Seinen (zweiten) Golden Globe hat er nun. Ob jetzt, im vierten Anlauf, auch der ersehnte Oscar folgen wird? Leonardo DiCaprio ist in Hollywood jedenfalls der Mann der Stunde. Im Thriller „The Wolf of Wall Street“ von Martin Scorsese (jetzt im Kino) liefert er das aberwitzige Porträt eines durch Gier, Geilheit und Drogen angetriebenen Finanz-Hais, der auf Kosten seiner Investoren Millionen über Millionen in die eigenen Taschen stopft. Filmclicks trifft DiCaprio zwei Tage vor der Golden Globe-Verleihung in einem Londoner Luxushotel. Er empfängt leger in Jacket, Hemd, Jeans und Sneakers in einer Suite und erzählt über Reichtum, Geld, Gier – und natürlich den Oscar.


FilmClicks: Ist nach „The Wolf of Wall Street“ nun die Zeit für Ihren ersten Oscar gekommen?
Leonardo DiCaprio:  Keine Ahnung.  Ich habe schon vor langer Zeit aufgehört, solche Sachen vorherzusagen. Es wäre natürlich wundervoll, wenn „The Wolf of Wall Street“  die Aufmerksamkeit bekommt, die er verdient. Um ehrlich zu sein, werden heutzutage nicht mehr viele Filme dieser Art gemacht.  Ein amerikanisches Epos über Hedonismus und Gier. Die großen Studios haben heute kein Interesse mehr an solchen Filmen. Doch was den Oscar betrifft:  Ich habe es aufgegeben, verstehen zu wollen, wie Kritiker und Publikum ticken. Ich mache einfach nur das Beste, was ich kann.
 
 
Beim Interview in London: Leonardo DiCaprio mit FilmClicks-Redakteurin Anna Wollner

In „The Wolf of Wall Street“ geht’s um die unbändige Gier nach Geld. War Geld jemals eine Versuchung für Sie?
Nein. Ich habe noch nie einen Film angenommen, weil ich scharf aufs Geld war.
Hollywood ist ein sehr hedonistischer Platz. Ich war schon immer wie Nick Carraway aus dem Großen Gatsby. Gleichzeitig drin und irgendwie auch draußen. Ich habe es beobachtet und mitgemischt. Aber ich habe mich nie in Versuchung bringen lassen.
 
Was bedeutet Ihnen selbst Reichtum?
Mein Lebensstil ist weit entfernt von dem Lebensstil im Film. Wir werden natürlich alle vom Geld verführt. Aber die Leute im Film sind auf der dunklen Seite der Versuchung angekommen. Ich kenne viele, die dieser Versuchung immer wieder erliegen. Es ist ein Teufelskreislauf. Sobald man einen gewissen Wohlstand erreicht hat, sehnt man sich nach mehr. Im US-Parteiensystem bin ich ja, das ist kein Geheimnis, Demokrat. Ich glaube daran, dass besser gestellte Leute mit Macht und Geld die Verantwortung haben, auch zurückzugeben zu können und so ihren Dienst an der Gesellschaft leisten. Ich wollte, dass dieser Film ein warnendes Beispiel abgibt.
 
Verstehen Sie die alltäglichen Vorgänge an der Börse?
Nein. Aber das muss ich auch nicht. Als Martin Scorsese „Wie ein wilder Stier“ gemacht hat, hatte er keine Ahnung vom Boxen. Bei „Aviator“ wusste er nichts übers Fliegen. Hier  wussten wir so gut wie nichts über die Wall Street.
 
Am Set: Regissuer Martin Scorsese mit Leonardo DiCaprio und Margot Robbie © Universal Pictures

Selbst nach den Dreharbeiten haben Sie nichts gelernt?
Natürlich habe ich zur Vorbereitung mit echten Brokern gesprochen und viel über den Markt gelernt. Aber ich bin da eher wie das Publikum. Ich richte mich im Film direkt an den Zuschauer und trichtere ihm ein, dass es gar nicht so sehr um Details geht, sondern einfach nur darum, dass ich etwas  Illegales mache und mir damit eine goldene Nase verdiene.
 
Sie kehren hier als Schauspieler ihre dunkle Seite heraus. Wo kommt das her?
Überraschenderweise wurde es von Tag zu Tag einfacher. Ich habe komplett ohne moralischen Kompass gehandelt. Ich musste mich vor keinem rechtfertigen, habe am Set nur darüber nachgedacht, was für mich gut ist. Mit dieser Haltung wird man schnell zum Monster.
 
Gab es einen Schlüsselmoment für diese Verwandlung?
Das Drehen der Motivations-Reden. Da habe ich wirklich verstanden, wie der Finanzhai Belfort Jordan, den ich spiele, sich gefühlt haben muss. Scorsese hat mir Platz geschaffen, auf Entdeckungstour zu gehen und zu improvisieren. Er hat mir eine Bühne gegeben mit all den Statisten um mich herum, die mir zujubeln sollten. Ich wusste, dass sie dafür bezahlt werden, aber ich habe gefühlt, was Belfort gefühlt haben muss. Als würde ich einen Kult anführen. Als sei ich ein Rockstar. Die Leute haben mich angeschaut und nach einem Führer gesucht. Das waren Gänsehautmomente.
 
 
Glauben Sie, dass eine Gesellschaft, die hauptsächlich auf Habgier beruht, eine Zukunft hat?
Nein, definitiv nicht.
 
So pessimistisch?
Schauen Sie sich doch mal um. Der Zustand der Welt ist beängstigend. Selbst nach 2008 und dem großen Finanz-Crash leben die Leute immer noch über ihren Möglichkeiten. Es gibt eine große Kluft zwischen Arm und Reich und diese Kluft wird immer größer.  Es muss sich etwas ändern, vor allem in den oberen Etagen.  Im Moment sind wir unterwegs in die falsche Richtung.
 
Ihr Rollenvorbild Belfort Jordan hat im Film nicht nur ein Faible für Millionen, sondern auch für Kokain. Haben Sie eine Ahnung, wie viel Kilo Koks Sie bei den Dreharbeiten gesnifft haben?
Keine Ahnung. Aber irgendwann hat es richtig weh getan und ich hatte Nasenbluten.
 
Was für Koksersatz haben Sie benutzt?
Oh,  das muss ich unbedingt noch mal meinen Schauspieler-Kollegen Jonah Hill fragen. Ich vergesse es immer. Entweder war es Vitamin B oder Vitamin D-Pulver für Babies. Auch wenn es nur Placebos waren, habe ich mich danach immer besser gefühlt. Es hat Energien freigesetzt. Zum Glück. Denn einige der Drogen-Szenen waren einfach nur wahnwitzig.
 
Konnten Sie für diese Szenen auf eigene Drogen-Erfahrungen zurückgreifen?
Ich habe die Welt der Drogen ziemlich früh kennengelernt – und konnte ihr nichts abgewinnen. Ich bin in Los Angeles in einer Gegend groß geworden, in der Drogen auf der Tagesordnung standen. Es war keine gute Gegend. Ich wusste früh, dass ich Schauspieler werden will und dabei aufs Ganze gehen muss. Da blieb keine Zeit für Drogen.
 
 



Kritik
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