Der Mann, der Niki Lauda zum Kino-Helden machte
02.10.2013
Interview:
Gunther Baumann
Ohne ihn hätte es „Rush“, das Kinodrama über Niki Lauda, nie gegeben: Der Brite Peter Morgan hatte die Idee zu dem Formel-1-Film, und er schrieb auch das Drehbuch dazu. Der gebürtige Londoner Morgan, 50, Sohn eines deutsch-polnischen Elternpaares, sammelte mit den Drehbüchern zu „The Queen“ und „Frost/Nixon“ schon zwei Oscar-Nominierungen ein. Mit seiner Frau Lila Schwarzenberg und fünf Kindern lebt er seit Jahren in Wien. Im (auf Deutsch geführten) FilmClicks-Interview erzählt Morgan, einer der renommiertesten Filmautoren der Welt, über das Drehbuchschreiben, die Oscars, die deutsche Sprache und seine Wahlheimat Wien. Und darüber, warum er mit seinen Geschichten nicht „Mitte Bahn“, also Mainstream, ist, sondern „Ecke Bahn“.
Peter Morgan, Sie sind Wahl-Wiener und haben einmal gesagt, Sie schreiben gern Filme über Themen aus der Gegend, in der Sie leben. Wie sind Sie da auf Niki Lauda und „Rush“ gekommen?
Peter Morgan: Niki ist ein alter Freund meiner Frau Lila. Wir trafen uns während des Urlaubs in Ibiza und ich fragte ihn, wie wär’s mit einer Geschichte. Meine Perspektive war die Story der Rivalität von Lauda und James Hunt, und das hat Niki sofort gefallen. Wir entwickelten dann eine Partnerschaft und haben uns über einen Zeitraum von 18 Monaten 30 oder 40 Mal getroffen.
Offenkundig gefiel Ihre Geschichte nicht nur Lauda sehr gut, denn „Rush“ wurde ja als große Produktion realisiert.
Ich habe zunächst kein Geld für das Drehbuch bekommen, weil ich es für mich selbst schrieb. Als es dann um das Casting und um die Auswahl des Regisseurs ging, hatte ich die Macht, zu bestimmen, dass Nikis Szenen mit deutschsprachigen Schauspielern gedreht werden. Das finde ich sehr wichtig, aber es macht das Projekt für die Amerikaner weniger attraktiv. Denn es bedeutet, dass ein dort unbekannter Schauspieler wie Daniel Brühl die Hauptrolle bekommt, statt zum Beispiel eines Christian Bale.
Wie wird der Film in den verschiedenen Ländern denn angekündigt?
Das ist interessant. Beim Filmfest Zürich wurde der Film jetzt als Niki-Lauda-Biografie vorgestellt – als ob James Hunt gar nicht existierte. In Amerika wird der Film über Chris Hemsworth verkauft, der James Hunt spielt. In England wiederum geht es nur um die James-Hunt-Geschichte.
Ist „Rush“ ein teurer Film geworden?
Ich habe den Film als Charakter-Drama geschrieben, weil ich annahm, dass wir mit Darstellern wie Daniel Brühl höchstens ein Budget von fünf oder vielleicht zehn Millionen Euro bekommen würden. Damit hätten wir keine großen Renn-Szenen realisieren können. Als dann Regisseur Ron Howard einstieg, veränderte das die Situation, denn plötzlich dachten die Leute, vielleicht könnte der Film doch kommerziell sein. Es ist eine Wissenschaft, so etwas zu berechnen. Die Leute sagten, so, wir haben Ron Howard, ein Drehbuch von Peter Morgan, Daniel Brühl, Chris Hemsworth und die Formel 1. Was ist das wert? In Italien sagte man dann, wir zahlen vier Millionen, in Deutschland sechs, in England sieben und in Amerika 15 Millionen. So ging das dahin, bis wir schließlich ein Budget von 47 Millionen Dollar hatten. Für eine Hollywood-Produktion ist das wenig. Österreich ist an der Produktion nicht beteiligt.
„Rush“ wurde bei der Amerika-Premiere beim Festival Toronto gefeiert. Seitdem hört man immer wieder Oscar-Gerüchte.
In Toronto wird immer viel geredet. Da muss man erst warten, bis sich der aufgewirbelte Staub wieder gelegt hat, zumal man ja bis Anfang Dezember nicht weiß, wer alles im Spiel ist. Ich finde aber, dass Daniel Brühl nominiert werden sollte, seine Leistung ist einmalig. Auch Kamera, Schnitt oder Sound wären mögliche Kategorien für eine Nominierung.
Mir fällt noch eine Kategorie ein: Bestes Drehbuch!
Ganz ehrlich: Dies ist ein Drehbuch, mit dem ich nicht angeben kann. Wenn man ein Buch wie „The Queen“ schreibt, dann hat man hochintelligente Figuren, die wunderschöne Worte gebrauchen können. Man kann viele Bonmots schreiben, und alle sagen, oh, was für ein schönes Drehbuch. Bei „Rush“ haben die Männer keine Gelegenheit, so zu reden. Es würde blöd klingen, würde ein Formel-1-Fahrer plötzlich so sprechen wie Cicero. Ich bin aber sehr stolz auf die Struktur dieses Buchs. Ich habe das ganze Stück geschrieben wie ein Rennen. Hunt und Lauda fangen beide ganz jung an in Crystal Palace, und James gewinnt. Dann überholt ihn der Niki, er geht zu BRM und borgt viel Geld von der Raiffeisen-Bank. James hört das und zwingt seine Mannschaft, dass die auch in die Formel 1 geht. Und so weiter. Es war mein geheimes Vergnügen, diese Geschichte über Rennfahrer wie ein Rennen zu schreiben.
Von „The Queen“ über „Frost/Nixon“ bis „Rush“ – woher kommt Ihre Lust, Filme über reale Persönlichkeiten zu schreiben?
Das war nicht geplant – ich hätte früher auch nie gedacht, dass ich einmal Drehbuchautor werde. Einmal angenommen, ich hätte Medizin studiert mit dem Ziel, ein guter Arzt zu werden. Man macht als Arzt eine Operation und dann eine zweite, und eines Tages macht man eine besonders erfolgreiche Operation an einem Ellbogen. Plötzlich ist man ein Ellbogen-Spezialist und die Leute fliegen ein, um den Ellbogen-Menschen zu treffen. Irgendwann kratzt man sich am Kopf und denkt, jetzt bin ich 50 Jahre alt und wollte eigentlich allgemeine Medizin machen, aber ich operiere nur noch Ellbogen. Ungefähr so lief das bei mir im Film. Ich schreibe gern über reale Personen, ich würde aber auch gern andere Sachen machen. Doch das akzeptieren viele Leute nicht. Wenn ich ein Western-Projekt hätte, würde die Frage kommen, was weiß der Mann von Western? Nun, genauso viel wie der nächste Schriftsteller.
Könnte man also sagen, Sie sind auf reale Stoffe festgelegt wie ein Action-Star auf Action-Filme?
Ja. Einerseits ist es wunderschön, so ein Markenzeichen zu haben, denn die meisten Leute im Filmgeschäft wissen, wer ich bin und was ich gemacht habe. Das ist eine Ehre, die nur wenige Drehbuch-Autoren haben. Es gibt aber auch eine Schattenseite.
Wie sind Sie denn Drehbuch-Autor geworden?
Fast niemand will zuerst Schriftsteller werden. Wenn es ums Theater ging, dachte ich als junger Mann an Regie oder ans Schauspiel. Dass ich Autor wurde, hat sich einfach so ergeben. Ich hatte nie den Wunsch, Schriftsteller zu werden, und als ich in meinen Zwanzigern zu schreiben begann, standen viele andere Möglichkeiten offen: Ich hätte auch noch Pilot oder Arzt werden können. Erst ab 40 merkt man, oh, ich bin eigentlich auf eine Tätigkeit festgelegt. Man lernt mit jedem Jahr, das vorbeigeht: Ach so, ich bin Ehemann. Oh, ich bin Vater. Oh je, wer hätte das gedacht – ich bin Vater von vielen Kindern. Ich bin Wiener! Das Leben ist voller Überraschungen. Hätte man gewusst, was später kommt, würde man sich erschießen. Es ist doch so wichtig im Leben, zu wissen, dass man alles Erdenkliche tun könnte.
Finden Sie also, Sie hätten heute, als weltweit anerkannter Autor, weniger offene Möglichkeiten als mit 20 Jahren?
Viel weniger. Jetzt kann ich nur noch das tun, was ich mache. Wollte ich heute Pilot werden, würden mich die Leute auslachen. Würde ich als Autor aufhören und beschließen, Rechtsanwalt zu werden, käme die Frage: Warum? Spinnst du?
Sie sagten vorhin, Sie seien Wiener. Wie haben Sie denn ihre österreichische Frau Lila Schwarzenberg kennengelernt?
Das war in England. Unter Freunden. Ich bin deutschsprachig aufgewachsen, und sie war die erste Frau, die ich schön fand und mit der ich mein großes Geheimnis teilen konnte, dass ich Deutsch kann. Bis dahin waren die einzigen zwei Menschen, mit denen ich deutsch sprach, meine Eltern. Ich bin 1963 geboren, und in meiner Jugend musste man in England noch verstecken, dass man deutschsprachig war. Es gab noch ein riesiges Misstrauen den Deutschen gegenüber. Auch Niki Lauda wurde anfangs in der Formel 1 von den Engländern immer verarscht: Hier kommt der Hunne! In jener Zeit war das Deutschland-Bild der Engländer noch von Filmen über den Zweiten Weltkrieg geprägt.
Zurück zum Thema Film. Die meisten Drehbücher folgen ja strengen formalen Regeln, mit ihrer Drei-Akt-Struktur und den Plot Points, bei denen sich die Handlung dreht. Haben Sie das studiert?
Nein. So etwas mag wichtig sein für Produzenten und für Leute, die vom Schreiben nichts verstehen. Damit sie eine Sprache haben, um mit Schriftstellern zu reden. Auch für mich ist die Struktur eines Drehbuchs wichtig, aber ich denke nie in Akten. Eine Geschichte kommt einfach, und ich überlege, wo könnte diese Geschichte am besten anfangen und wo am besten enden.
Sie scheinen das Privileg zu haben, dass Ihre Bücher so verfilmt werden, wie Sie von Ihnen geschrieben wurden.
Das gilt nur, wenn ich Bücher ohne Bezahlung auf eigenes Risiko schreibe. Wenn ich für ein Projekt bezahlt werde, verliere ich sofort all meine Macht. Falls Sie mich beauftragen würden, ein Buch für Sie zu schreiben, dann würde ich wahrscheinlich mehr verlangen als die meisten anderen Schriftsteller. Mit dem Einverständnis allerdings: Sobald ich einen Euro von Ihnen bekomme, ist das Ihre Party. Soll die Arbeit meine Party sein, dann muss ich auch das ganze Risiko übernehmen. Das bedeutet, ich arbeite sechs Monate ohne Einkommen. Aber ich habe fünf Kinder! Da schwitzt man schon ein bisschen.
Wirklich? Über die Hollywood-Autoren gibt es doch das Klischee, dass sie zwar viel leiden müssen, aber auch sehr gut bezahlt werden. Da ist oft von Millionensummen die Rede.
Ja. Das trifft aber nur dann zu, wenn man etwas schreibt, das Millionen verdient. Doch meine Filme verdienen keine Millionen. Bis jetzt zeigt die Geschichte, dass ich ein sehr unkommerzieller Schriftsteller bin. Ich habe zum Beispiel erwartet, dass „Rush“ sehr viel Geld verdient und lauwarme Kritiken bekommt. Doch wir haben megagute Kritiken – und das Box Office ist lauwarm. Auch wenn ich etwas Kommerzielles schreibe, bin ich nicht Mitte Bahn, bin ich nicht Mainstream. Selbst wenn ich Mitte Bahn sein möchte. Ich bin Ecke Bahn. I’m not down the middle. Even if I think I’m down the middle, I‘m not down the middle.
Sie waren aber zuletzt in ein großes Blockbuster-Projekt involviert – beim Bond-Thriller „Skyfall“.
Das war ganz kurz und enttäuschend. Ich wollte unbedingt an dem Film arbeiten. Dass Judi Dench als M in „Skyfall“ stirbt, war meine Idee, und ich wurde für meine Ideen auch bezahlt. Doch Sam Mendes, der Regisseur, wollte mit jenem Autor arbeiten, mit dem er immer kooperiert.
Es war zu hören, dass Sie nach etlichen Jahren in Wien wieder mit Ihrer Familie nach London übersiedelt sind. Haben Sie sich dort schon wieder gut eingelebt?
Wir sind nach fünf Wochen schon wieder nach Wien zurückgekehrt: Die Kinder hatten alle Heimweh und vermissten ihre Freunde. Das wäre natürlich besser geworden, wenn wir erst einmal ein Jahr in London geblieben wären. Aber um die Schulplätze für sie zu behalten, haben wir uns entschieden, rasch wieder zurückzukommen. Lila und ich sind noch ein bisschen unter Schock. Doch für sechs Menschen in meiner Familie ist es ohne Zweifel viel besser und einfacher, wieder in Wien zu sein. Für mich bedeutet es natürlich einen gewissen Aufwand. Aber wir haben es bis jetzt in Wien gut gefunden, und wir werden es hier weiterhin gut finden.