Die Zeit der Frauen

Graues Leben in knallbunten Farben


FilmClicks:
„Die Zeit der Frauen“: Lajjo (Radhika Apte), Bjili (Surveen Chawla) & Rani (Tannishtha Chatterjee) © Thimfilm
DIE STORY: „Die Zeit der Frauen“ ist ein ungemein fesselndes indisches Arthaus-Drama, das gelegentlich die Mittel des Bollywood-Kinos einsetzt, um eine beinharte Geschichte zu erzählen. Im Zentrum steht eine Gruppe von Frauen, die in ihrem Dorf im wüstenhaften Rajasthan Unterdrückung und Erniedrigung, Schläge und männlichen Überlegenheitswahn erdulden müssen.
Rani (Tannishtha Chatterjee) ist zwar erst 32, aber schon seit 16 Jahren Witwe. Also trägt sie tagaus tagein den düsteren Witwen-Ornat. Ihre Lebensaufgabe liegt in der Aufzucht ihres 16-jährigen Sohnes Gulab (Riddhi Sen), der in einer arrangierten Hochzeit mit der 15-jährigen Janaki (Lehar Khan) vermählt wird. Und der sich bald als das gleiche Macho-Ekel entpuppt wie die meisten anderen Männer im Dorf auch.
Lajjo (Radhika Apte) ist verheiratet, leidet aber doppelt. Erstens, weil sie keine Kinder bekommen kann,  und zweitens, weil ihr Mann ein wüster Alkoholiker ist. Seine Auffassung von ehelicher Zweisamkeit sieht vor, Lajjo heftig zu verprügeln, wann immer ihm danach zumute ist.
Bjili (Surveen Chawla), die schönste der drei Schönen, sorgt als Tänzerin des Nachtclubs Dance Company dafür, dass vielen Männern das Blut in Wallung gerät. Und sie sorgt dafür, dass die Erregung wieder abschwillt, denn sie arbeitet auch als Prostituierte. Allerdings ahnt sie, dass ihre Zeit als Königin der Nacht bald enden wird. Schließlich ist sie schon 35 Jahre alt.
Der Film begleitet und beobachtet seine Protagonistinnen bei ihrem Leiden, ihren Träumen, ihrem Zorn und ihrem Grübeln, wie sie eine bessere Basis im Leben finden könnten. Und irgendwann ist „Die Zeit der Frauen“ gekommen. Rani, Lajjo und Bjili nehmen ihr Schicksal selbst in die Hand. Mit einem farbig bemalten Lasten-Dreirad fahren sie los in eine hoffentlich bessere Welt.

Im indischen Patriarchat haben die Frauen zu schweigen © Thim

DIE STARS: Leena Yadav, die Autorin und Regisseurin des Films, studierte Wirtschaft und Kommunikationswissenschaft, bevor sie als Cutterin ins Filmgeschäft einstieg. Bei „Zeit der Frauen“ gelang es ihr, den berühmten US-Kameramann Russell Carpenter zu verpflichten, der für „Titanic“ den Oscar gewann. Carpenters letzte Filme, die bei uns zu sehen waren, sind die Action-Blockbuster „xXx - Die Rückkehr des Xander Cage“ und „Ant-Man“.
Die tollen Frauen und die nicht so toll wirkenden Männer des Ensembles spielen hervorragend, sind aber bei uns weitgehend unbekannt.

Das frohe Finale: Weiblicher Aufbruch in eine bessere Welt © Thim

DIE KRITIK: Graues Leben in knallbunten Farben. „Die Zeit der Frauen“ ist, um einmal damit zu beginnen, ein betörend schöner Film. Der „Titanic“-Kameramann Russell Carpenter nutzte die karge landschaftliche Pracht der Einöde Rajasthans genauso wie die kunterbunte Pracht der indischen Textilien, Möbel und Ausstattungsstücke, um ein visuelles Meisterwerk zu komponieren. Man würde auch dann begeistert zuschauen, wenn dies ein Stummfilm wäre.
Doch „Die Zeit der Frauen“ ist kein Stummfilm - auch wenn es die die Rolle der Frauen in dieser archaischen Männergesellschaft zu sein scheint, zu schweigen und alles zu erdulden, was den Herren so einfällt.
Regisseurin Leena Yadav zeichnet in vielen kleinen präzisen Szenen das Bild eines weiblichen Alltags, der grausam und erschütternd wirkt angesichts der unzähligen Zumutungen, die die Frauen vom schlagkräftigen, aber dümmlichen Patriarchat auferlegt bekommen.
Zugleich macht Leena Yadav aus ihrem Film ein Emanzipationsdrama. Indem sie zeigt, wie die Freundinnen Rani, Lajjo und Bjili langsam offener werden. Und wie sie einander gegenseitig aufmuntern (die zwangsverheiratete Janaki ist bald die Vierte im Bunde), um die unterschiedlichen Zwänge ihrer Existenzen aufzubrechen.
Manchmal spielt der Film Bollywood, wenn ganz hinreißend und herzzerreißend getanzt und gesungen wird. Doch das ist nur Fassade. Denn Regisseurin Yadav benutzt Stilmittel, die im indischen Mainstream-Kino wohl absolut tabu sind: Sie zeigt nackte Haut. Sie gestattet sehr ordinäre, sexuell konnotierte Dialoge auch aus weiblichem Mund. Und sie erweist der Prostituierten Bjili den gleichen Respekt wie den anderen Frauen. Nur die Männer in diesem Film, die haben (fast ausnahmslos) keinen Respekt verdient.
Wenn die Ladies in den letzten Szenen ihr knallbuntes und knatterndes Vehikel in Gang setzen, um dieser Albtraum-Welt ein für allemal zu entfliehen, dann mag das märchenhaft wirken – ein Bollywood Ending, quasi. Aber als finaler Mutmacher in einem faszinierenden ernsten Film funktioniert dieser Aufbruch sehr gut.
 
IDEAL FÜR: Cineasten, die Lust auf einen herausragenden (und visuell überwältigenden) Beitrag zum Weltkino haben.






Trailer
LÄNGE: 117 min
PRODUKTION: Indien / USA / Großbritannien 2015
KINOSTART Ö: 28.04.2017
REGIE:  Leena Yadav
GENRE: Drama
ALTERSFREIGABE: ab 16


BESETZUNG
Tannishtha Chatterjee: Rani
Radhika Apte: Lajjo
Surveen Chawla: Bjili
Lehar Khan: Janaki
Riddhi Sen: Gulab