Der Letzte der Ungerechten

Zwischen Hammer und Amboss


FilmClicks:
Claude Lanzmann (li.) und und Benjamin Murmelstein 1975 beim Interview in Rom © Filmladen
DIE STORY:  Die Doku „Der Letzte der Ungerechten“ ist ein faszinierendes Zeitdokument. Der französische Regisseur Claude Lanzmann porträtiert den Wiener Rabbi und Funktionär Benjamin Murmelstein (1905 – 1989), der von den Nazis 1943 ins Ghetto Theresienstadt deportiert und dort 1944 als sogenannter „Judenältester“  eingesetzt wurde.  Der Film basiert auf einer elfstündigen Interview-Serie, die Lanzmann 1975 mit Murmelstein führte. Man begegnet einer schillernden Persönlichkeit: Murmelstein verhandelte ab 1938 als Mandatar der Kultusgemeinde mit Adolf Eichmann über die Emigration österreichischer Juden, von denen 121.000 das Land verlassen konnten. In Theresienstadt bemühte er sich dann, so erzählt er,  den bis zu 50.000 Bewohnern des Ghettos das Überleben zu sichern. Doch nach Kriegsende wurde er zur umstrittenen Person; man bezichtigte ihn der Kollaboration mit den Nazis. „Der Judenälteste nach dem Krieg stößt überall an. Bei den Deutschen und bei den Juden“: So lautet sein resigniertes Resümée im Film.
DIE STARS:  Regisseur Claude Lanzmann 1985 wurde als Regisseur der neunstündigen Dokumentation „Shoah“ berühmt, für die er  elf Jahre lang Überlebende des Holocaust befragt hatte.  Auch die Interviews mit  Benjamin Murmelstein, der nach dem Krieg in Italien lebte, fanden im Zuge dieser Recherche statt. Doch Lanzmann verwendete das Material damals nicht: „Ich konnte die Murmelstein-Gespräche nicht einbauen, ohne den Film auf 20 Stunden zu verlängern“.  Dass  aus den faszinierenden Zwiegesprächen nun, Jahrzehnte später, noch ein Film wurde, ist nicht zuletzt dem Wiener Produzenten Danny Krausz (Dor Film) zu verdanken,  der das Projekt „Der Letzte der Ungerechten“ energisch vorantrieb.
KURZKRITIK: Claude Lanzmanns Film macht das Grauen und die Mordlust der Nazi-Diktatur auf sehr direkte Art erlebbar. Die Kamera zeigt Zeichnungen von damals und Ansichten aus Theresienstadt von heute. Die Kommentare von  Benjamin Murmelstein – einem analytischen Denker und glanzvollen Erzähler – füllen die Bilder mit Inhalten:  Als Judenältester war der Wiener so etwas wie der Bürgermeister des Ghettos. Ein Funktionär,  der sich bemühen musste, im stillen Widerstand gegen die (aber auch in Verhandlungen mit der) Diktatur so etwas wie Normalität entstehen zu lassen. Eine kaum lösbare Aufgabe: „Als Judenältester“, sagt Murmelstein, „stand man immer zwischen Hammer und Amboss. Man konnte vieles abmildern, aber es traf einen jeder Schlag.“
Die Doku liefert einzigartige Einblicke in den Alltag jener Menschen, die jeden Tag damit rechnen mussten, zu Opfern der Todesmaschinerie  der Nazis zu werden.  Und aus Benjamin Murmelsteins Worten wird auch der kalte Wahnwitz der Diktatur deutlich, die den Mord an Millionen Menschen organisierte wie einen Verwaltungsakt. Mit einer Länge von 218 Minuten ist „Der Letzte der Ungerechten“ ein Film, der vom Zuschauer viel Geduld und volle Konzentration fordert.  Doch der Erkenntnisgewinn ist diesen Einsatz wert.
IDEAL FÜR: alle, die sich für die Zeitgeschichte sowie für die Taten und Leiden unserer Vorfahren-Generationen interessieren.  Und die nicht der Meinung sind, dass man den Mantel des Schweigens über die Verbrechen der Nazi-Zeit breiten sollte.






Trailer
LÄNGE: 218 min
PRODUKTION: Österreich, Frankreich 2013
KINOSTART Ö: 22.11.2013
REGIE:  Claude Lanzmann
GENRE: Dokumentation
ALTERSFREIGABE: ab 16


BESETZUNG
Benjamin Murmelstein: