Viennale

Retrospektive im Filmmuseum: 28 Mal Lachen mit Jerry Lewis

18.10.2013
Der Titel ist Programm: Jerry Lewis (li.) in „The King of Comedy“ von Martin Scorsese (1983) © Filmarchiv Austria
28 Spielfilme, dazu TV-Clips aus der „Colgate Comedy Hour“ und die Doku „Bonjour Mr. Lewis“: Das ist die Viennale-Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum in Wien, bei der kein Auge trocken bleiben wird. Denn es geht um Jerry Lewis, der von den Fünfziger Jahren an für Jahrzehnte den Stil der Kino-Komödien prägte. Die Retrospektive läuft vom 18. Oktober bis zum 24. November. Tickets  gibt es an den Viennale-Kassen und im Filmmuseum in der Albertina.  Dort ist auch der prächtige Band „Retrospektive Jerry Lewis“ zu erwerben. Das Filmmuseum hat zu der Werkschau einen Begleittext verfasst, der Wesen und Werk von Jerry Lewis optimal auf den Punkt bringt. Deshalb geht FilmClicks jetzt erstmals vom ehernen Grundsatz ab, nur eigene Texte der Redaktion zu veröffentlichen: Für den folgenden Beitrag erteilen wir dem Filmmuseum das Wort.
Vierteljahrhundert. Der heute 87jährige Schauspieler-Produzent-Regisseur Jerry Lewis steht wie wenige andere für ein Vierteljahrhundert Nachkriegskomödie – mit ihrer neurotischen Mischung aus verlorenen Illusionen und Hoffnung wider alle Vernunft. Er war „The Stooge“ (1952) und der „Errand Boy“,  (1961), er sah sich als „Ladies Man“  (1961) und als „Nutty Professor“ (1963), er war Kind „You_re Never Toot Young, 1955) und Kämpfer gegen Hitler („Which Way To The Front?“, 1970). Danach war er, und ist es noch, der „King of Comedy“ (1983).
 
Dennoch ist auch die Zeit, in der Lewis’ Filme und Fernsehshows zum europäischen Kern-Repertoire der haltlosen Heiterkeit zählten, schon wieder ein Vierteljahrhundert vorbei. Bis 1990 ungefähr waren sie Teil einer kollektiven Sozialisation: Man wuchs auf mit seinen Clownerien, Grimassen, Travestien und lernte so, schon in jungen Jahren, allerhand über das Zwiespältige zwischenmenschlicher Beziehung. Denn die denkwürdigen sadomasochistischen Psychospielchen, die er und sein langjähriger Partner Dean Martin in Kinoperlen wie Norman Taurogs „You’re Never Too Young“ oder Frank Tashlins „Artists and Models“  (1955) miteinander trieben, waren durchaus beunruhigend. Man spürte, dass dieses in jeder Hinsicht ungleiche Gespann aus „Rat Pack“-Gott und Neurosenbündel mehr eine Not- und Zeit-, denn Lebensgemeinschaft war – hier hatten sich zwei gefunden, deren Miteinander eher über geteilte Antipathien als eine innere Verbundenheit funktionierte.

Dean Martin und Jerry Lewis in „Living It Up“ (1954) © Filmmuseum

Der gemeinsame Feind war eine durch die Selbstdisziplinierungs-Zwänge der Nachkriegszeit und die Weltherrschaftsansprüche des Kalten Kriegs definierte Kultur. Ihr hielten Martin & Lewis den Zerrspiegel vor. In Hochform – z.B. in „The Stooge“, „The Caddy“ (1953) oder „Living It Up“ (1954) verkörperten der smart-lässige Genussmensch Dean Martin und der linkisch-zerstörerische Schussel Jerry Lewis den Amerikanischen Alptraum in seinen gellend-schreiendsten Schattierungen.
 
Solo-Geniestreich. Auf die Dauer konnte das allerdings nicht gut gehen: nach Tashlins kapitalem „Hollywood or Bust“  (1956) trennten sich ihre Wege. Obwohl Lewis mit seiner ersten Regiearbeit „The Bellboy“(1960) auch gleich einen Solo-Geniestreich vorlegte, prägte ihn der Verlust seines more or less significant other stärker, als er selbst je zugeben wollte. Einer seiner bedeutendsten Filme, die sardonisch perverse „Jekyll & Hyde“-Variation „The Nutty Professor“, lässt sich als intime Reflexion über die Jahre mit Dean Martin verstehen: Häme und Bosheit sind hier unentwirrbar verstrickt mit einem dumpf pochenden Gefühl von Verlorenheit, einer Art Phantomschmerz. Lewis konnte sich danach, in Pirandello-haften Filmen wie „The Family Jewels“ (1965) oder „Three On A Couch“ (1966), so oft aufspalten und vervielfältigen, wie er wollte – er blieb stets allein. Horror vacui.

Grandioses Regie-Debüt: Jerry Lewis inszenierte sich selbst in „The Bellboy“ (1960) © Filmmuseum

Frank Tashlin – Animationsfilm-Genie, Kinderbuch-Visionär und Gesellschafts-Skeptiker – wurde früh zu Lewis’ bevorzugtem Regisseur.Das zeigt ihre fast zehn Jahre währende Serie von Glanztaten – z.B. „The Geisha Boy“ (1958), „Cinderfella“ (1960), „Who’s Minding The Store“ (1963) und „The Disorderly Orderly“ (1964) – ebenso wie die Lehrerfunktion, die Tashlin in Lewis’ anrollender Regiekarriere innehatte.

Eine Jekyll & Hyde-Story: Jerry Lewis in „The Nutty Professor“ (1963) © Filmmuseum

Lewis-Kult. Auch für den legendären Jerry-Lewis-Kult in der europäischen Cinephilie der 50er und 60er Jahre war Tashlin zentral: Die Wertschätzung seines Schaffens verstärkte das Interesse an Lewis. Die transatlantischen Scharmützel tobten dann vor allem um Lewis, dessen im Gestus juvenile, im Geiste Juvenal’sche Lust am Spiel mit dem kulturell „Minderwertigen“ selbst aufgeschlosseneren Kritikern in den USA oft verborgen blieb (hier hatte man aufgrund seiner Bühnen- und TV-Auftritte auch ein anderes, eher vonWortwitz und zynischem Hipstertum geprägtes Lewis-Bild). Die vom Surrealismus inspirierten Kreise der französischen Filmkritik sahen in Tashlin und Lewis hingegen Beispiele für eine vulgäre, aberdoppelbödige Populärkultur: Mit ihr konnten geistige Verkrustungen aufgebrochen und Einsichten in die toten Winkel der Gesellschaft gewonnen werden.
 
Die frühen 1960er Jahre werden meist als Hochphase des Lewis’schen Genies apostrophiert: Von „The Bellboy“ bis „Family Jewels“, deren gestalterische Virtuosität und psychologisch frostige Tiefe filmhistorisch kaum Vergleichbares kennt, war er einer der größten Regisseure aller Zeiten. Aber wie es sich für einen wahren Pantheon-Auteur gehört, erweisen sich die scheinbaren Nebenwerke oft als besser und langlebiger, als die Überlieferung besagt. Die Filme der Martin & Lewis-Periode mögen inszenatorisch oft konventionell sein, doch das verstärkt letztlich ihren ätzend-anarchisch-transgressiven Humor.

Eine ungeheuerliche Kriegsgroteske: „Which Way To The Front?“ © Filmmuseum

Rückzug. Lewis’ Satiren und Mummenschanze der späten 60er Jahre wiederum sind gezeichnet von immer schlimmerer Verzweiflung – die Filme werden zerschossener, die Witze kälter und kruder; Höhepunkt dieser Periode ist passenderweise eine ungeheuerliche Kriegsgroteske: „Which Way to the Front?“ Nach „The Day The Clown Cried“ (1972), dem wohl unvollendeten, nie öffentlich gezeigten Drama um einen Clown im KZ, der mit seinen Narreteien die Kinder von ihrer baldigen Vernichtung ablenken soll, zog sich Lewis aus dem Kino zurück.
 
„Hardly Working“  (1980) und „Smorgasbord“ (1983) waren in ihrem farcenhaften Gegenwarts-Widerwillen nicht so sehr Comeback-Versuche als grantige Lebenszeichen – während seine Parforce-Performancesin Martin Scorseses „King of Comedy“ (1983) und Peter Chelsoms „Funny Bones“  (1995) ahnen lassen, welcher Abgrund schwarz und tief in Jerry Lewis gähnt.

Das komplette Programm der Retrospektive mit allen Beginnzeiten findet sich auf www.filmmuseum.at und auf www.viennale.at