Filmfest Venedig 2019

Joaquin Phoenix und das traurigste Lachen der Welt

31.08.2019
von  Gunther Baumann, Peter Beddies
Joaquin Phoenix: Seine Glanzrolle in „Joker“ könnte ihm eine Oscar-Nominierung einbringen © Katharina Sartena
Das Filmfest Venedig erlebte am 31. August die Premiere eines neuen Genres: Des Arthaus-Comic-Films. Joaquin Phoenix und Regisseur Todd Phillips erzählen in „Joker“ die Geschichte, wie ein verstörter, einsamer Mann aus Gotham City zum Joker wird, dem späteren Gegner von Batman. „Joker“ und sein grandioser Hauptdarsteller Joaquin Phoenix wurden am Lido mit Beifallsstürmen gefeiert. Der düstere und spektakuläre Film läuft am 10. Oktober im Kino an.  
Vorgeschichte. Kaum zu glauben: Der Joker, der gefährlichste Schurke im Universum von DC Comics, hatte bisher keine Vorgeschichte – er war einfach da und lieferte sich grimmige Duelle mit Batman. In „Joker“, dem Film, bekommt er nun erstmals eine Biografie. „Er ist ein Mann im Clownkostüm, dessen Ziel es immer war, den Menschen als Komödiant Freude zu schenken“, sagt Regisseur und Drehbuch-Coautor Todd Phillips. „Doch er hat ein paar falsche Entscheidungen  getroffen. Und weil er nicht bekommt, was er will, schlägt er einen ganz anderen Weg ein.“
 
Am Set: Joaquin Phoenix mit Regisseur Todd Phillips © Nico Tavernise

Den Film  zu realisieren, sei ein hartes Stück Arbeit gewesen, erzählte Todd  Phillips bei der „Joker“-Weltpremiere in Venedig. „Wir mussten erst viel Überzeugungsarbeit beim Verlagshaus DC Comics leisten. Doch dann hat man uns alle Freiheiten gelassen. Bei der Gestaltung der Figur gab es keine Grenzen und keine Vorschriften.“
 
Körper und Geist. Der Joker dieses Films sollte einen schwierigen Geist und zugleich einen drahtigen Körper besitzen. Das setzte Joaquin Phoenix unter Druck, der für die Rolle mehr als 20 Kilo abnahm. „Es macht einen verrückt, wenn man in kurzer Zeit so viel Gewicht verliert“, sagte Phoenix beim Pressegespräch in Venedig.
 
Verrückt ist ein gutes Stichwort, denn sein Joker  ist ein höchst labiler Charakter, der sieben verschiedene Medikamente schluckt, um im Gleichgewicht zu bleiben. Joaquin Phoenix: „Ich wollte seine Macken aber so gestalten, dass Psychotherapeuten nicht gleich auf den ersten Blick rauskriegen, worunter er leidet.“
 
Die größte Macke des Joker ist sein unangenehmes, meckerndes Lachen, das er nicht mehr stoppen kann, sobald es beginnt. „An dem Lachen arbeitete ich schon, bevor ich das Drehbuch las“, sagt  Joaquin Phoenix.  „Aber irgendwann hatte ich das Gefühl, ich bringe das nicht zusammen. Also bat ich Todd, mit mir zu üben.  Es dauerte lange, bis ich dieses Lachen gefunden hatte.“
 
Begegnung zweier Stars: Robert De Niro und Joaquin Phoenix © Nico Tavernise

I
n einer kleinen, aber wichtigen Rolle als TV-Moderator ist Robert De Niro in „Joker“ an Bord, der den Look und die Atmosphäre des Films gleich mit zwei seiner großen Arbeiten mitprägte: „Taxi Driver“ und „King Of Comedy“.  Regisseur Todd Phillips:  „Wir hatten tonnenweise  Material, das uns als Inspiration diente – von ,Einer flog übers Kuckucksnest‘ bis ‚Serpico‘.  Vkisuell wollte ich zeigen, wie sich New York um 1980 anfühlte. Deshalb haben wir den Film auch in New York gedreht.“   

Hier nun die erste FilmClicks-Kritik:
 
Joker
Genre: Drama 
Regie: Todd Phillips  (USA)
Stars: Joaquin Phoenix, Robert de Niro, Zazie Beetz
Venedig- Premiere: Im Wettbewerb um den Goldenen Löwen 
 
Ein leichtes Leben hat Arthur Fleck (Joaquin Phoenix), der spätere Joker, bisher nicht gehabt. Er lebt mit seiner schwerkranken Mutter 1981 in einem kleinen Appartement in Gotham City. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Clown auf der Straße oder im Krankenhaus. Sein Traum ist es, eines Tages als Stand-Up-Comedian Erfolg zu haben. Aber davon ist Arthur weit entfernt. Nur er selbst bricht immer wieder scheinbar  grundlos in Lachen aus. Ein derartig trauriges Lachen, das zum Teil aus dem Rachen herausgebellt wird, hat es im Kino noch nicht gegeben. Das traurigste Lachen der Welt!
 
Wenn der Joker lacht, löst er keine Freude aus © Nico Tavernise

Eines Tages scheint sich das Blatt zu wenden. Arthur öffnet einen Brief seiner Mutter und erfährt, dass er eventuell Anspruch auf ein Vermögen hat. Und der beste Talkshow-Host der Stadt - ein kleiner aber schöner Auftritt von Robert de Niro - lädt ihn in seine Sendung ein. Aber schon bald werden die Gemütsschatten von Arthur wieder länger. Und der Zuschauer merkt: Den Bildern dieser Geschichte kann man nicht trauen.
 
Als das Projekt „Joker“ angekündigt wurde, waren die Fans sehr angetan von der Nachricht, dass Joaquin Phoenix die Titelfigur spielen würde. Und die Vorfreude ist berechtigt. Denn Phoenix porträtiert hier nicht irgendeinen Superschurken – nach den sehr intensiven zwei Kinostunden stellt sich eher die Frage, ob dieses seelische Wrack jemals einem Batman gewachsen sein wird. Vielmehr zeigt der mehrfach für einen Oscar nominierte Ausnahmeschauspieler Phoenix, wie vielschichtig man so einen für das Medium Comic erfundenen Charakter anlegen kann.
 
Regisseur Todd Phillips („Hangover“-Serie) lässt alle Nebensächlichkeiten beiseite und richtet den gesamten Film auf seinen Hauptdarsteller aus. Natürlich ist es schon mal eine Leistung, wie sehr sich Phoenix für die Rolle auf ein wahrscheinlich ungesundes Niveau heruntergehungert hat. Aber das wirklich Faszinierende an diesem Film ist das Gesicht von Joaquin Phoenix. Immer wieder geht die Kamera ganz dicht an den Kopf von Arthur heran. Jederzeit kann der Wahnsinn sich Bahn brechen, das große Töten beginnen. Eine Oscar-Nominierung als bester Hauptdarsteller dürfte jetzt schon sicher sein.
 
Todd Phillips hatte es im Vorfeld angekündigt: Dieser „Joker“-Film, der ja thematisch zur großen Batman-Saga gehört, wird anders sein als alles, was man bisher gesehen hat. Das stimmt zum großen Teil. Denn mit der üblichen familientauglichen Blockbuster-Welle hat dieser Film nicht das Geringste zu tun.

Ein unerfüllter Traum: Der Joker würde gern als Komödiant Karriere machen © Nico Tavernise

Hier geht es um einen psychisch schwer gestörten Menschen, der im Grunde nur Lachen und Freude in die Welt bringen will. Da man ihm den Zugang zu dieser Welt aber verweigert, schafft er sich seine eigene und bricht auf grausame Weise in die Welt der Anderen ein. Es gibt einige wenige Gewalt-Szenen. Was dazu führt, dass der Film in den USA erst ab 17 Jahren freigegeben ist. Und das ist auch völlig in Ordnung. Denn „Joker“ fühlt sich eher wie ein mit dröhnender Musik vollgepacktes Arthaus-Drama an. Und zwar eines, das nur für Erwachsene gedacht ist.   (bed) 
 
Kinostart: 10. Oktober 2019 
Publikums-Chancen: Hoch
Gesamteindruck: Extrem düsterer Ausflug nach Gotham City, bei dem eindrucksvoll gezeigt wird, wie Batmans Gegenspieler Joker verlernt, an das Gute im Menschen zu glauben