Filmfest Venedig 2017

Goldener Löwe für „The Shape Of Water“ von Guillermo del Toro

09.09.2017
von  Gunther Baumann, Peter Beddies
Der Mann mit dem Goldenen Löwen: Guilermo del Toro („The Shape Of Water“) © Fiilmfest Venedig
Goldener Löwe für Star-Regisseur Guillermo del Toro und sein Fantasy-Abenteuer  „The Shape of Water“: Die Jury unter Annette Bening verlieh den Hauptpreis des Festivals Venedig für einen Film, der große Chancen hat, zum Publikums-Hit zu werden. Mit Charlotte Rampling oder Regisseur Martin McDonagh wurden auch andere sehr prominente Filmkünstler geehrt. Mit „The Insult“, „Jusqu’à la garde“, „Foxtrot“ oder „Lean On Pete“ stehen Filme in der Gewinnerliste, die ihren Weg im Arthaus-Zirkel machen werden. Bei der Auswahl für den Wettbewerb 2017 hat sich das Festival am Lido selbst übertroffen. Das Starterfeld war so stark, dass viele feine Filme und Filmkünstler leer ausgingen, die in anderen Jahren Anwärter auf Gold gewesen wären. Ohne zu enttäuschen, hatten Filmemacher wie George Clooney („Suburbicon“), Alexander Payne („Downsizing“) oder die Chinesin Vivian Qu („Angels Wear White“) diesmal keine Chance auf einen Preis.


Goldener Löwe: Guillermo del Toro („The Shape of Water“).
Die Werke des mexikanischen Fantasy-Meisters  Guillermo del Toro („ich bin 52, wiege 300 Pfund und habe zehn Filme gemacht“) drehen sich häufig um Monster. Das gilt auch für „The Shape of Water“. Es geht um ein drachenmenschenartiges Wesen, das die Aufmerksamkeit einer stummen und versponnenen jungen Frau namens Elisa (Sally Hawkins) weckt. Allerdings ist Elisa bei weitem nicht die einzige, die sich um die Kreatur kümmert. Die besitzt offenbar Fähigkeiten, die fürs Militär hochinteressant sind. Denn die Amerikaner – der Film spielt 1962 während des Kalten Krieges – halten das Wesen in einem geheimen Labor der Streitkräfte versteckt und die Russen spionieren ihm hinterher. „The Shape of Water“ ist ein verwunschenes Fantasy-Märchen mit erlesen schönen Bildern und makellosen Kostümen. Dass Guillermo del Toro die Story nicht einfach in eine Zauberwelt gestellt hat, sondern mit einem Thema der Zeitgeschichte  verknüpfte, das verleiht dem Film (Kinostart: 15. Februar 2018) eine wichtige zusätzliche Qualität.


 
Silberner Löwe für die beste Regie und Leone del Futuro für den besten Erstlingsfilm: Xavier Legrand („Jusqu’à la garde“).  Der Franzose Xavier Legrand lieferte den berührendsten (Doppel-)Auftritt bei der Preisverleihung am Lido. Als ihm nach dem „Leone del Futuro“ auch noch der Regie-Preis im Wettbewerb überreicht wurde, konnte er seine Emotionen nicht länger zurückhalten: Mit tränenfeuchten Augen stand er auf der Bühne.  „Jusqu’à la garde“ ist der erste Spielfilm des 38-Jährigen, der erst einmal als Schauspieler Karriere machte, bevor er sich der Regie zuwandte. In seinem Drama geht es um ein Ehepaar, das nach der Scheidung einen erbitterten Sorgerechts-Streit um den gemeinsamen Sohn beginnt. Legrand: „Ich wollte einen politischen Film drehen, einen Kriegsfilm – vielleicht sogar einen Horrorfilm.“


 
Großer Preis der Jury: Samuel Maoz („Foxtrot“). „Der Foxtrot ist ein Tanz mit vielen Schritt-Variationen, bei dem man stets wieder zum gleichen Ausgangspunkt zurückkommt“, sagte der israelische Filmemacher Samuel Maoz, als er sich in Venedig für den Großen Preis der Jury bedankte. In seinem Film „Foxtrot“ geht es freilich nicht um den Tanz, sondern um die Erschütterungen, die der Nahost-Konflikt für die Bürger mit sich bringt. Maoz erzählt in drei Kapiteln von der Trauer und vom Wahnsinn des nicht enden wollenden Konflikts. Jedes Mal geschieht etwas, das der ganzen Geschichte eine völlig neue Richtung gibt. Zwischendrin wird mal hemmungslos gelacht oder mitten in der Steppe getanzt. Und dann herrscht wieder Schwermut, die einem das Herz zusammenschnürt.


 
Spezialpreis der Jury: Warwick Thornton („Sweet Country“). Der Filmtitel „Sweet Country“ deutet auf eine zuckersüße Story hin, doch das Gegenteil ist der Fall.  Der australische Regisseur Warwick Thornton schuf einen fesselnden Aussie-Western, in dem es um Rassismus und Gier, um Glaube und Vergebung geht. Sam Neill spielt einen frommen Farmer irgendwo im australischen Outback, der auch dann noch zu seinem engsten Gehilfen, einem Aborigine, steht, als der in Notwehr einen Eindringling erschossen hat. Weil der Tote ein Weißer ist, sind das Militär und der Staat mit aller Macht hinter dem Schützen her. Der könnte sich im Wüstenstaub zwar für alle Zeit aus dem Staube machen, kehrt nach einer erfolgreichen Flucht aber freiwillig in das Provinznest zurück, wo ihm der Prozess gemacht werden soll. Denn er vertraut auf ein faires Verfahren und ist obendrein überzeugt, dass er keine Schuld auf sich geladen hat. Zu Recht? Das enthüllt der Showdown des famosen Films, der hoffentlich bei uns einen Verleih finden wird.    


 
Coppa Volpi für die beste Darstellerin: Charlotte Rampling („Hannah“).  Das extrem stille und zugleich intensive Drama „Hannah“ lebt vor allem von seiner Hauptdarstellerin. Charlotte Rampling drückt dem verrätselten Film von Regisseur Andrea Pallaoro ihren einzigartigen Stempel auf. Rampling spielt eine bittere alte Dame, die mit einer schweren Last umgehen muss, die ihr auf der Seele liegt. Worum es dabei geht, enthüllt die Story nur in winzigen Schritten. Die große Stärke des kammerspielartigen Films ist es nun, dass sich alles Leiden im Gesicht der Hannah widerspiegelt. Es ist ein Drama über das Leiden von Menschen in Beziehungen, die ausbaden müssen, was ihr Partner angerichtet hat. Die Rolle wurde für Charlotte Rampling geschrieben und sie füllt sie bewundernswert mit Leben. „Hannah“ wird bei der Viennale (19. Oktober – 2. November) erstmals in Österreich gezeigt. Charlotte Rampling war bei der Preisverleihung am Lido spürbar ergriffen: „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was es mir bedeutet, diesen Preis in Italien zu empfangen – dem Land meiner künstlerischen Inspiration, seitdem ich mit 22 Jahren erstmals hierher kam.“


 
Coppa Volpi für den besten Darsteller: Kamel El Basha („The Insult“).  „Ich hätte etwas Kleineres erwartet“, sagte der Libanese Kamel El Basha, als man ihm bei der Biennale-Gala die mächtige Coppa Volpi, den Darstellerpreis, in die Hand drückte. Im Grunde hat El Basha in Venedig aber wohl überhaupt keine Auszeichnung erwartet, denn sein Auftritt in der Groteske „The Insult“ ist seine erste professionelle Filmrolle überhaupt – freilich nach einer langen Karriere am Theater. Kamel El Basha spielt in „The Insult“, dem Überraschungs-Hit des Festivals (Österreich-Premiere demnächst bei der Viennale), einen sturköpfigen libanesischen Palästinenser, der sich wegen einer Nichtigkeit mit einem ebenso sturköpfigen libanesischen Christen streitet. Wenn aus der trivialen Angelegenheit ein gigantischer Volksgruppen-Konflikt wird, in den sogar der Staatspräsident eingreift, kommt man als europäischer Zuschauer aus dem Staunen nicht mehr heraus – und hat wieder etwas Neues über den Nahen Osten gelernt.


 
Marcello-Mastroianni-Preis für den besten jungen Darsteller: Charlie Plummer  („Lean On Pete“).  Es gibt wohl keinen Festival-Beobachter in Venedig, der dem Newcomer Charlie Plummer den prestigeträchtigen Mastroianni-Preis nicht gönnt. Der 18-jährige New Yorker Plummer spielt im oft tieftraurigen, zugleich aber herzerwärmenden Road Movie „Lean On Pete“ von Andrew Haigh den jungen Außenseiter Charley, der alles dafür tun würde, irgendwo Anschluss und eine Heimat zu finden. Doch immer wieder muss er Zurückweisung hinnehmen (auch wenn da meist kein böser Wille dahintersteckt). Charlie Plummer agiert voller Charme und Beharrlichkeit auf einer Höhe mit prominenten Mitspielern wie Steve Buscemi oder Chloe Sevigny. Besondere Sensibilität zeigt er im Umgang mit dem Titelhelden. „Lean On Pete“ ist der Name eines ausrangierten Rennpferds, das von Charley vor dem Abdecker gerettet wird. Und weil Charley nicht reiten kann, trotten der Junge und das Ross dann Seite an Seite durch die Botanik des Nordwestens der USA.  


 
Preis für das beste Drehbuch: Martin McDonagh („Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“). Der Drehbuch-Preis ist irgendwie die logische Auszeichnung für Martin McDonagh. Denn der Brite, der sich mit „Brügge sehen… und sterben?“ in der Filmwelt etablierte, ist nicht nur ein cooler Regisseur, sondern auch ein sehr erfolgreicher Dramatiker. Viele Festival-Insider (darunter das FilmClicks-Team) hätten es aber gern gesehen, wenn McDonagh mehr bekommen hätte als den logischen Preis. Zum Beispiel den Goldenen Löwen. „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ ist erstens mit einem perfekten Drehbuch ausgestattet und zweitens ein Thriller, der nur so explodiert vor Melancholie, Witz und greller Action. Frances McDormand agiert atemraubend als emotional gebrochene Mutter, die die Polizei provoziert, damit die endlich den Vergewaltiger und Mörder ihrer Teenager-Tochter findet. Und Woody Harrelson ist zum Niederknien gut als smarter, cooler und zugleich liebevoller Polizeikommandant, der auch ein tragisches Geheimnis in sich trägt. Auch, wenn es jetzt nur zum Drehbuchpreis gereicht hat: „Three Billboards“ wird wohl noch etliche Auszeichnungen sammeln. Und bevor die Awards Season losgeht, läuft der Thriller Ende Oktober bei der Viennale.
 
74. Filmfestspiele Venedig 2017
Die Preisträger


Wettbewerb
Goldener Löwe: Guillermo del Toro (Mexiko) für „The Shape Of Water“
Silberner Löwe (beste Regie): Xavier Legrand (Frankreich) für „Jusqu’à la garde“
Großer Preis der Jury: Samuel Maoz (Israel) für „Foxtrot“
Spezialpreis der Jury: Warwick Thornton (Australien) für „Sweet Country“
Coppa Volpi (bester Darsteller): Kamel El Basha (Libanon) für „The Insult“
Coppa Volpi (beste Darstellerin): Charlotte Rampling (Großbritannien) für „Hannah“
Marcello-Mastroianni-Preis (bester Nachwuchs-Darsteller): Charlie Plummer (USA) für „Lean On Pete“
Bestes Drehbuch: Martin McDonagh (Großbritannien) für „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“
Goldener Ehren-Löwe für die Karriere: Robert Redford & Jane Fonda
 
Sektion Orrizonti
Bester Film: Susanna Nicchiarelli (Italien) für „Nico, 1988“
Beste Regie: Vahid Jalilvand (Iran) für „Bedoune Tarikh, Bedoune Emza“ („No Date, Nol Signature“)
Spezialpreis der Orrizonti-Jury: Véréna Paravel (Frankreich) und Lucien Castaing-Taylor (Großbritannien) für „Caniba“