Festival Cannes 2018

Stars, strenge Regeln und ein Psychothriller

09.05.2018
von  Gunther Baumann, Peter Beddies
Cannes-Jury: Cate Blanchett (re.) und Kristen Stewart (li.) mit ihren Co-Juroren © Katharina Sartena
Penélope Cruz und Javier Bardem waren die Stars des Abends. Cate Blanchett und Kristen Stewart führten die Riege der Juroren an. Auch etliche andere Film-Größen wie etwa Regisseur Martin Scorsese gaben sich die Ehre. Und rund um den Roten Teppich jubelten die Fans: Das Festival Cannes begann am 8. Mai, wie sich’s gehört, mit einer geballten Ladung Glanz & Glamour. Alles wie immer also? Nein: Bei der 71. Ausgabe des wichtigsten Filmfestivals der Welt ist vieles anders geworden.
Neuerungen. Selfie-Verbot auf dem Roten Teppich. Eine Telefon-Hotline zur Meldung von  sexuellen Belästigungen. Strenge Sicherheitskontrollen an allen Eingängen. Und dazu ein puristisches Filmkunst-Programm, das die  Besucher vor allzu viel Star-Rummel verschont: Cannes lässt in diesem Jahr einiges von der Leichtigkeit vermissen,  die dieses strahlende, hysterische und auf alle Fälle filmverliebte Festival sonst immer auszeichnet.
„Festivals sind dazu da, den Ruhm des Autorenkinos zu mehren“, sagte Cannes-Programmchef Thierry Frémaux in einem aktuellen Spiegel-Interview. Diesem Leitmotiv trägt er in diesem Jahr dadurch Rechnung, dass für die eh schon berühmten Stars des Hollywood-Kinos nur wenige  Programmplätze zur Verfügung stehen.
Das Action-Spektakel „Solo – A Star Wars Story“, das am 15. Mai in Cannes seine Weltpremiere erlebt, ist der einzige große Blockbuster im Festivalprogramm.  Der Wettbewerb um die Goldene Palme hingegen wird geprägt von Regisseuren, deren Namen dem breiten Publikum eher kein Begriff sein dürften: Pawel Pawlikowski etwa, Kore-Eda Hirokazu oder Nadine Labaki.
Zehn Regisseure wurden erstmals in den Wettbewerb eingeladen. „Bei der Sichtung der Werke junger Filmemacher hat sich die schöne Gelegenheit ergeben, mutig zu sein“, sagt Thierry Frémaux dazu. Ob der Mut belohnt wird, bleibt abzuwarten. Frémaux: „Ich hoffe, dass die Presse und die Festivalbesucher unserer Intuition folgen und die jungen Triebe des Weltkinos begeistert begrüßen werden."
21 Filme haben im Wettbewerb Chancen auf die Goldene Palme. Einer davon ist der Psychothriller „Everybody Knows“ des zweifachen Oscar-Preisträgers Asghar Farhadi, mit dem das Festival eröffnet wurde. FilmClicks hat das Drama mit Penélope Cruz und Javier Bardem schon mal unter die Lupe genommen – genauso wie „Donbass“, den Ukraine-Kriegsfilm von Sergei Loznitsa, der zum Start der Programmschiene Un Certain Regard ausgewählt wurde.

Penélope Cruz und Javier Bardem im Thriller „Everybody Knows“ © Festival Cannes

Everybody Knows (Todos Los Saben)

Genre: Psychothriller
Regie: Asghar Farhadi (Iran)
Star-Faktor: Hoch (Penélope Cruz und Javier Bardem)
Cannes-Premiere: Eröffnungsfilm im Wettbewerb um die Goldene Palme

Regisseur Asghar Farhadi gewann seine zwei Oscars mit Dramen wie „The Salesman“, die einen analytischen Blick auf die schwierigen Lebensverhältnisse in seiner Heimat Iran werfen. Farhadi dreht aber auch gern außerhalb seiner Heimat; diesmal in Spanien. In „Everybody Knows“ zeigt er eine berauschend üppige Welt, in der viele hinreißend schöne Frauen und stolze Männer ihrer Wege gehen.
Der Plot: Die nach Argentinien ausgewanderte Laura (Penélope Cruz) kehrt mit ihren  zwei Kindern erstmals nach Jahren zu Besuch  in die spanische Heimat zurück. Dort begegnet sie auch ihrer alten Flamme Paco (Javier Bardem). Anlass von Lauras Reise ist eine Hochzeit, doch mitten während des ausgelassenen Fests kommt es zu einem Verbrechen. Lauras Teenager-Tochter wird entführt. In ihrer Verzweiflung bittet Laura ihren Ex Paco um Hilfe. Der tut auch alles, was in seiner Macht steht – wobei ein lange gehütetes Geheimnis die Lage auf einmal in einem ganz neuen Licht erscheinen lässt.
Asghar Farhadi lässt so viel Erotik und Sinnlichkeit in die Story hereinträufeln, als wollte er einen Gegenentwurf zeigen zur Sittenstrenge der muslimischen Welt. Die Kriminalhandlung ist packend aufgebaut. In bester Krimi-Manier darf man miträtseln, wer hinter der Entführung steht. Obwohl der Filmtitel „Everybody Knows“ darauf hindeutet, dass viele der Protagonisten eine Ahnung von den Hintergründen haben, bleibt der Spannungspegel bis zum Finale hoch.
Die spanischen Hollywood-Stars Penélope Cruz und Javier Bardem, die im wirklichen Leben ja verheiratet sind, genießen es sichtlich, einmal wieder in ihrer Muttersprache zu spielen. Sie bringen in allen Höhen und Tiefen das unbändige Temperament auf die Leinwand, das für Spanien so typisch ist. Allerdings gelingt es ihnen nicht, die kleinen Schwächen des Psychodramas zu kaschieren: Die Handlungsstränge und einzelne handelnde Figuren sind nicht frei von Schablonenhaftigkeit.  bau
Kinostart: Noch kein Termin
Kinochancen: Angesichts der spannenden Strory und der großen Namen nicht schlecht
Gesamteindruck: „Everybody Knows“ ist ein vor Temperament sprühender Psychothriller voller Intensität, aber auch mit einigen banalen Momenten.

Verstörende Bilder aus einem hässlichen Krieg: „Donbass“ © Festival Cannes

Donbass

Genre: Drama
Regie: Sergei Loznitsa (Ukraine)
Star-Faktor: sehr niedrig. Die meisten Schauspieler dürfte außerhalb Russlands und der Ukraine kaum jemand kennen
Cannes-Premiere: Eröffnungsfilm der Reihe Un Certain Regard

Sergei Loznitsa ist nicht dafür bekannt, es seinen Zuschauern leicht zu machen. In seinen letzten Filmen „Die Sanfte“ und „Austerlitz“ wandte sich der vielfach preisgekrönte Filmemacher, der seit 2001 mit seiner Familie in Berlin lebt, den Zuständen in russischen Gefängnissen und der Erinnerungskultur in Konzentrationslagern zu - nicht eben die Kost, die der Kinogänger mal eben so nebenbei konsumiert. Auch mit seinem neuen Film „Donbass“ geht Loznitsa wieder dahin, wo es richtig wehtut.
„Donbass“ nimmt den Zuschauer mit an die Grenze zwischen Russland und der Ukraine, ins Donez-Becken. Dorthin also, wo seit Jahren ein Krieg zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Soldaten tobt. Loznitsa zeigt in langen - für ihn typischen - Einstellungen den Alltag des Krieges.
Es wird im Film nicht oder nur sehr selten gekämpft. An diesen Bildern, die man zur Genüge aus den Nachrichten kennt, hat Loznitsa kein Interesse. Der Regisseur lässt uns in einen Spiegel schauen, in dem nur Hässliches zu sehen ist. Die Menschen leiden unter dem Alltag. Die Korruption ist an der Tagesordnung.
Einige Szenen könnten aus einem Buch von Franz Kafka stammen. Etwa. wenn ein junger Unternehmer sein Auto der neuen Regierung überschreiben muss. Und zum „Dank“ soll er noch 150.000 Dollar besorgen. Um die nötigen Anrufe zu tätigen, wird er in einen Raum geführt, in dem ein Dutzend ehemals gut betuchter Männer um ihr Leben telefonieren - auf der Suche nach Geld. Wird das Geld nicht besorgt, ist man automatisch der Feind.
Was Loznitsa ebenfalls nicht verschweigt (weshalb der Film in Moskau sicher nicht auf viel Gegenliebe stoßen wird): „Donbass“ zeigt, wie gelogen und getrickst wird. Der Film beginnt und endet mit Schauspielern, die für die TV-Nachrichten glaubhaft schildern sollen, wie schrecklich der Gegner ist. Der Gegner, das ist übrigens immer der Faschist, für beide Seiten. Für das Ende hat sich Loznitsa eine Wendung wie einen Faustschlag erdacht. Man verlässt das Kino wütend und schwer bewegt.  bed
Kinostart: noch keinTermin
Kinochancen: Im Arthaus-Bereich sicher nicht schlecht. Aber dafür braucht es interessierte Zuschauer mit viel Geduld
Gesamteindruck: Dieser Report aus der Hölle eines fast schon vergessenen Krieges geht unter die Haut