Diagonale 2018

Die Preisträger: „Murer“ ist Österreichs Spielfilm des Jahres

17.03.2018
von  Gunther Baumann
Diagonale-Gewimnner: Christian Frosch („Murer“, r.) & Nikolaus Geyrhalter („Die bauliche Maßnahme“) © Diagonale
Start-Ziel-Sieg für Regisseur Christian Frosch bei der Diagonale 2018. Sein Nazi-Prozess-Drama „Murer“, mit dem das Austro-Filmfest am 13. März eröffnet wurde, erhielt am 17. März den Großen Diagonale Preis für den besten Spielfilm des Jahres. Den Titel der besten Dokumentation holte Nikolaus Geyrhalter mit der Brenner-Grenzzaun-Reportage „Die bauliche Maßnahme“. Großen Grund zur Freude hatten  die DarstellerInnen von Katharina Muecksteins Coming-of-Age-Drama „L’Animale“ und von Stefan A. Lukacs‘ Polizeifilm „Cops“: Beide Ensembles wurden ex aequo mit dem Diagonale-Schauspielpreis ausgezeichnet. FilmClicks präsentiert alle PreisträgerInnen - und die Begründungen der Juroren.
Großer Diagonale-Preis für den besten österreichischen Spielfilm
Stifter: Land Steiermark, The Grand Post & Mischief Films
Dotation: 21.000 Euro
Gewinner: Christian Frosch für „Murer – Anatomie eines Prozesses“
Filmthema: „Murer“ spielt 1964 in Graz und handelt vom Prozess gegen den steirischen SS-Mann Franz Murer (Karl Fischer), genannt der „Schlächter von Wilna“, der wegen seiner Taten während des Zweiten Weltkriegs unter  Mordanklage stand – und trotz erdrückender Beweise freigesprochen wurde.
Die Jury: „Dieser Film ist wichtig, eine minutiöse Auseinandersetzung mit Österreichs Vergangenheit und ihrer Wirkmacht bis ins Heute. Zugleich aber sticht er als ästhetische Erfahrung heraus, ist vielschichtig und psychologisch komplex und brillant gespielt. Ein wirklich großer Gerichtsfilm – ganz ohne Helden, aber voller Porträts der Conditio humana.“

Großer Diagonale-Preis für den besten österreichischen Dokumentarfilm
Stifter:
Land Steiermark, The Grand Post & Mischief Films
Dotation: 21.000 Euro
Gewinnerin: Nikolaus Geyrhalter für „Die bauliche Maßnahme“
Filmthema: Brennpunkt Brenner: Nikolaus Geyrhalter beobachtet die Ankündigungen des offiziellen Österreich, 2016 am Brenner eines Grenzzaun zu errichten, um die Einreise von Migranten zu verhindern. Und er lässt viele Bürger aus der Grenzregion zu Wort kommen, die vom Zaun überwiegend rein gar nichts halten. Das Material für den Maschendrahtzaun, erfährt man im Film, wird bis heute am Brenner gelagert. Aufgestellt wurde der Zaun jedoch nie.  
Die Jury: „Viel ist zurzeit von ‚denen da oben‘ und ‚denen da unten‘ die Rede. Der Film, den wir auszeichnen, entscheidet sich für ‚die da unten‘ – nicht in einem sozialromantischen Sinne, sondern einem buchstäblichen. Er bleibt auf dem Boden und trifft dort Menschen, sieht ihnen zu, hört ihnen zu. ‚Die da oben‘ werden hingegen zu einer schrillen, hysterischen Tonspur – einer Tonspur, deren Echo durch ganz Europa hallt und doch dort unten, wo der Film ist, nicht hohler nachklingen könnte.“
 
Diagonale-Schauspielpreis
Dotation: 2 x 3.000 Euro
Stifter: Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden (VdFS)
Gewinner: Die SchauspielerInnen von „L’Animale (Regie: Katharina Mueckstein) und von „Cops“ (Regie: Stefan A. Lucacs)
Filmthema „L’Animale“: Katharina Mueckstein hat sich für ihren zweiten Spielfilm „L’Animale“ eine raue Coming-of-Age-Geschichte ausgedacht, in der nicht nur Teenager, sondern auch Erwachsene plötzlich vor unerwarteten Wendungen stehen.
Filmthema „Cops“: Ein Blick in die Welt einer österreichischen Polizei-Spezialeinheit. Christian ist in Ausbildung bei der Wega, sein Alltag von Testosteron, Kampf und Gruppendruck geprägt. Als er in vermeintlicher Notwehr einen Mann erschießt, wird er von den Kollegen als Held gefeiert. Die Außenwelt jedoch reagiert kritisch.
Die Jury: „Um ein Zeichen zu setzen für die darstellerische Vielfalt und für eine Generation von Schauspielerinnen und Schauspielern, die mit sichtbar großer Lust am Spielen gesellschaftlich wichtige Themen setzt, haben wir beschlossen, den Preis für die beste darstellerische Leistung diesmal nicht an Einzelpersonen, sondern an die Ensembles von ,L’Animale‘ und ,Cops‘ zu vergeben.“

Pluch-Preis: Kathrin Resetarits mit Sebastian Brauneis (l.) und Timothy Bidwell © Diagonale

Thomas-Pluch-Drehbuchpreis
Stifter: Bundeskanzleramt Kunst und Kultur
Dotation: 12.000 Euro
Gewinnerin: Kathrin Resetarits für „Licht“ (Regie: Barbara Albert)
Filmthema: „Licht“ erzählt vom authentischen Fall der blinden Wiener Pianistin Maria Theresia Paradis, die um 1775 eine Publikumsattraktion war, jedoch ihre Kreativität verlor, als sie ihr Augenlicht zurückgewann.
Die Jury: „Dieses Buch hat uns überzeugt durch seine glaubhaften, präzisen Dialoge, durch seine Feinfühligkeit und den besonderen Humor, sowie durch seine kinematographische Kraft und Sinnlichkeit. Wir spüren den Schmutz in der Küche, das Jucken der Perücken auf der trockenen Kopfhaut, und die Last der tonnenschweren Kleider. Mit gefühlter Leichtigkeit entführt uns die Autorin in ein anderes Jahrhundert. Wir sehen hier ein immenses kreatives Talent mit großer Vorstellungskraft und freuen uns schon auf das nächste Buch dieser Autorin.“
 
Thomas-Pluch-Drehbuchpreis / Spezialpreis der Jury
Stifter: Bundeskanzleramt Kunst und Kultur
Dotation: 7.000 Euro
Gewinner: Clemens J. Setz, Sebastian Brauneis und Nicholas Ofczarek für „Zauberer“ (Regie: Sebastian Brauneis)
Filmthema: Ein Episodenfilm nach einer Kurzgeschichte von Clemens J. Setz. Eine Schulärztin entführt einen Buben. Ein Psychiater will seiner blinden Frau die Welt darreichen und ein Schüler schreibt seine Nummer für Sexdienste an eine Toilettenwand: Alles Strategien gegen die Einsamkeit.
Die Jury: Die Jury: „Wir sehen hier eine Art, zu erzählen, die sich nicht um Konventionen und Erwartungen schert, sondern radikal einer inneren Stimme folgt. Hier erzählt jemand seine Geschichte genauso, wie er will. Wir wollen diese Waghalsigkeit unterstützen und möchten die Autoren zu weiteren so mutigen Drehbüchern auffordern.“
 
Thomas-Pluch-Preis für kurze oder mittellange Kinospielfilme
Stifter: Bundeskanzleramt Kunst und Kultur
Dotation: 3.000 Euro
Gewinner: Timothy Bidwell für „Der Ausflug“
Die Jury: „Unter vielen starken Einreichungen sticht für uns ein Drehbuch heraus, das einen minutiösen Blick auf zwischenmenschliche Beziehungen wirft. Wir steigen in einer unauffälligen Alltagssituation in die Geschichte ein und verlassen den Film in höchster Eskalation. Lange wird nicht enthüllt, welche Richtung eingeschlagen wird – mit einem präzisen Gespür für Spannung wird die subtile Vereinnahmung durch ein System erzählt.“

 
Carl-Mayer-Drehbuchpreis – Hauptpreis
Stifter: Stadt Graz
Dotation: 14.500 Euro
Gewinnerin: Johannes Höß und Clara Stern für das Treatment von „Hacklerstrich“
Die Jury: „Alex und Nicu stehen täglich am Arbeiterstrich. Ihre enge Freundschaft macht vieles besser, miteinander ertragen sie unfaire Arbeitgeber, schlechte Jobs und durchgelegene Matratzen im Achtbettzimmer. Unter dem Druck der Verhältnisse kommt es zum Loyalitätskonflikt. Erst jetzt bemerken die beiden, wie nahe sie einander sind. Den Autoren gelingt es, Menschen in einem fein gesponnenen Netz von Abhängigkeiten zu zeigen, allerdings vertrauen sie den Figuren zu wenig, um zu einem schlüssigen Ende zu kommen.“
 
Carl-Mayer-Drehbuchpreis – Förderungspreis
Stifter: Stadt Graz
Dotation: 7.200 Euro
Gewinner: Tizza Covi für das Treatment von „Artikel 640“
Die Jury: „Vera, eine erfolglose Schauspielerin, lebt im Schatten ihres verstorbenen Vaters, einem Italowestern-Star. Überdrüssig unzähliger Schönheitsoperationen und oberflächlicher Beziehungen treibt sie durch die römische High-Society. Als sie bei einem Verkehrsunfall ein Kind verletzt, baut sie eine aus ihrer Sicht intensive Beziehung zu dem neunjährigen Buben und dessen Vater auf. Die Geschichte öffnet eine emotionale Dimension, die so noch nicht auserzählt ist.“           
 
Diagonale-Preis für Innovatives Kino
Stifter: Stadt Graz & Golden Girls Filmproduktion
Dotation: 9.000 Euro
Gewinner: Johann Lurf für „*“
Die Jury: „Johann Lurf fügt in seiner kolossalen Arbeit Bilder von nicht weniger als 550 Filmen aus allen Epochen der Filmgeschichte zusammen, wobei er nur jene Sequenzen aussuchte, die einen sternengefüllten Nachthimmel zeigen, ungestört von terrestrischen Elementen. Die daraus resultierende cinematische Reise über mehr als 90 Minuten ist wahrhaft transzendental.“
 
Diagonale-Preis für den besten Kurzspielfilm
Stifter: Innen/Aussen/Nacht & The Grand Post
Dotation: 5.500 Euro
Gewinner: Bernhard Wenger für „Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin“
Die Jury: „Wir zeichnen einen Film aus, der uns vor allem mit seinem außergewöhnlichen und stillen Humor überzeugt hat. Er spielt an einem Ort, an dem Bademäntel wie Schuluniformen getragen werden und Entspannung zur Pflicht wird. In einem Wellnesshotel in den österreichischen Bergen steht Protagonist Aron nach einem Streit
plötzlich alleine da. Mit geringem Nachdruck und auffallendem Desinteresse beginnt er, nach seiner Freundin zu suchen. Dabei begegnen ihm Klischees und Situationen, die man als leidenschaftlicher Wellnessurlauber nicht hinterfragt, sondern mit skurriler Ernsthaftigkeit zelebriert.“
 
Diagonale-Preis für den besten Kurzdokumentarfilm
Stifter: Diözese Graz-Seckau
Dotation: 4.000 Euro
Gewinnerin: Kristina Schranz für „Ars modiendi oder Die Kunst des Lebens“
Die Jury: „,Der Sinn des Lebens ist, dass man seine Sache durchzieht‘, sagt die
Protagonistin Rosemarie Aschenbach am Ende des preisgekrönten
Films. Und sie weiß, wovon sie redet. Mit 93 ist sie immer noch aktive
Studentin und arbeitet gerade an ihrer Doktorarbeit über den Tod, weil
– wie sie selbst sagt – ,wohl keine näher dran ist als sie selbst‘. Ein Film, der sowohl Herz als auch Verstand berührt.“
 
Diagonale-Preis der Jugend-Jury für den besten Nachwuchs-Film
Stifter: Land Steiermark und Kodak
Dotation: 7.000 Euro
Gewinner: Bernhard Wenger für „Entschuldigung, ich suche den Tischtennisraum und meine Freundin“
Die Jury: „Der Film gibt uns auf ironisch-lustige Weise Einblick in die scheinbar isolierte Welt des Protagonisten und vermittelt uns mit einer selbstverständlichen Leichtigkeit das Gefühl einer beruhigenden Unruhe. Stets seinem Farbkonzept treu bleibend, überzeugt der Film mit gut strukturierten, fast sterilen Bildern. Mit Humor, Ästhetik und der Liebe zum Detail in der Bildsprache hat uns der Film überzeugt.“ 

Diagonale-Preis Bildgestaltung
Stifter: Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden
Dotation: 2 x 3.000 Euro
Gewinner Spielfilm: Mariel Baqueiro für „Hagazussa“ (Regie: Lukas Feigelfeld)
Die Jury: „Die Kamera fängt die eindrucksvollen und einzigartigen Drehorte so ein, dass eine dichte, außergewöhnliche und außergewöhnlich düstere Atmosphäre entsteht. Sie versetzt uns tief hinein in eine doppeldeutige, zugleich natürliche und übernatürliche Filmwelt, voll von Aberglauben und mysteriösen Zeichen.“
Gewinner Dokumentation: Serafin Spitzer für „Gwendolyn“ (Regie: Ruth Kaaserer)
Die Jury: „Wenn man ein Leben in einem Film begleitet, dann muss auch die Kamera leben – gehen, wenn gegangen wird, stehen, wenn stehen geblieben wird, und träumen, wenn die Gedanken der Protagonistin aus dem Bildausschnitt hinauswandern. Für eine scheinbar mühelose und doch überaus sorgfältige und empathische Kameraarbeit möchten wir Serafin Spitzer auszeichnen.“   
 
Diagonale-Preis Schnitt
Stifter: Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden
Dotation: 2 x 3.000 Euro
Gewinnerin Spielfilm: Niki Mossböck für „Licht“ und „Life Guidance“
Die Jury: „Ein historischer Film angesiedelt im Wien des 18. Jahrhunderts einerseits, eine dystopisch verschobene Vision unserer Gesellschaft anderseits: Diese Editorin hat ihr außerordentliches Handwerk gleich in zwei Projekten der Selektion gezeigt, und sie führt uns in beiden scheinbar mühelos durch spannungsvolle Handlung und abstrakte Konzepte zugleich.“
Gewinnerin Dokumentation: Joana Scrinzi für „Gwendolyn“ und „Nicht von schlechten Eltern“
Die Jury: „Der Schnittpreis geht an eine Editorin, die uns in diesem Jahrgang gleich zwei sehr unterschiedliche Welten öffnet – die uns an der Hand nimmt und in diese Welten führt, ohne dass wir uns gedrängt fühlen. Die sowohl in einem Kraftraum als auch unter schreienden Babys unsere Neugier und unser Mitgefühl geweckt hat.“
 
Diagonale-Preis Sounddesign
Stifter: Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden
Dotation: 2 x 3.000 Euro
Gewinner Spielfilm: Niklas Kammertöns für „Hagazussa“ (Regie: Lukas Feigelfeld)
Die Jury: „Das auffällig originelle Sounddesign ist entscheidend für die so schaurige wie mehrdeutige Atmosphäre dieses Films, die Tonebene reflektiert die Dunkelheit in der Psyche der Charaktere, sie fügt sich zugleich außerordentlich genau in das künstlerische Gesamtbild des Films.“
Gewinner Dokumentarfilm: Sergey Martynruk für „Zu ebener Erde“ (Regie: Birgit Bergmann, Steffi Franz & Oliver Werani)
Die Jury: „Den Lebensadern einer Stadt nachzuspüren und Menschen, die sich dieser Stadt jeden Tag aufs Neue ausliefern, einen Atem und einen Pulszu geben, das ist die Leistung des Sounddesigns im Film ,Zu ebener Erde‘. Wir können jeden Schritt und jede U-Bahnfahrt, jedes Verschwinden im Unterholz auch klanglich erfahren. So vermittelt sich unaufdringlich,
aber umso intensiver ein Gefühl dafür, wie es ist, auf der Straße zu leben.“
 
Diagonale-Preis Szenenbild und Kostümbild
Stifter: Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden
Dotation: 2 x 3.000 Euro
Gewinner Szenenbild: Paul Horn für „Phaidros“ (Regie: Mara Mattuschka)
Die Jury: „Dieser Film zeigt uns eine ganz atmosphärische Welt mit regelrechter Lust am überraschenden Detail und variiert dabei spielerisch Elemente ganz unterschiedlicher Genres.“
Gewinner Kostümbild: Peter Paradies „Phaidros“ (Regie: Mara Mattuschka)
Die Jury: „Die Kostüme verleihen diesem Film außerordentlich viel exzentrische Persönlichkeit. Performance steht im Zentrum dieses kunstvollen Projekts und die Kostüme verkörpern diesen Geist.“
 
Preis außergewöhnliche Produktionsleistungen
Dotation: 2 x 10.000 Euro
Stifter: VAM Verwertungsgesellschaft für audiovisuelle Medien
Gewinner: RitzlFilm für“Die beste aller Welten“
Gewinner: minifilm für „Hilfe, ich hab meine Eltern geschrumpft“





Kritik
Murer - Anatomie eines Prozesses
Österreich und seine Nazi-Vergangenheit: Regisseur Christian Frosch schildert in „Murer – Anatomie eines Prozesses“ den Fall des in der UdSSR verurteilten Kriegsverbrechers Franz Murer, der 1963 bei einem Gerichtsverfahren in Graz von der Mordanklage freigesprochen wurde. Mehr...