Berlinale 2018

Reale Dramen, packend verfilmt

20.02.2018
von  Peter Beddies
„Das schweigende Klassenzimmer“: Eine Solidaritätsaktion von Schülern wird zur Staatsaffäre © Berlinale
Die Berlinale ist in ihrem Selbstverständnis ein politisches Festival. Da passen Dokudramen über reale Ereignisse gut ins Konzept. Zwei gelungene Produktionen dieses Genres, die bald schon bei uns im Kino anlaufen, hatten jetzt beim Festival  Premiere. „Das schweigende Klassenzimmer“ schildert eine aus heutiger Sicht grotesk anmutende Affäre aus der jungen DDR. In „7 Tage in Entebbe“  geht’s um einen gelungenen Einsatz des israelischen Militärs, das 1976 die Passagiere einer Air-France-Maschine befreiten, die von Terroristen nach Uganda entführt worden war.  
„Das schweigende Klassenzimmer“: Alle antreten! Dicke Luft an der Schule © Berlinale

Das schweigende Klassenzimmer

Genre: Dokudrama
Regie: Lars Kraume (Deutschland)
Star-Faktor: Neben großen Namen der deutschen Szene wie Ronald Zehrfeld, Michael Gwisdek, Burghart Klaußner und Jördis Triebel begegnet man Talenten wie Leonard Scheicher, Tom Gramenz und Anna Lena Klemke
Berlinale-Premiere: In der Reihe Berlinale Special
Das Drama „Das schweigende Klassenzimmer“, das auf realen Ereignissen beruht, spielt im Jahr 1956 in der jungen DDR.
Die Ausgangslage: Die Stimmung in dem vor nicht einmal sieben Jahren gegründeten ostdeutschen Staat ist alles andere als gut. Doch im Sommer 1956 riecht es nach einem neuen Freiheitsgeist in Osteuropa. In Ungarn begehren die Bürger gegen die regierenden Sozialisten auf. Für einen Moment in der Weltgeschichte sieht es so aus, als würde Moskau dies geschehen lassen.
Wer sich in der DDR über die Ereignisse informieren wollte, der konnte das damals nicht in den staatlich gelenkten Medien tun. Man musste - was bis 1961 möglich war - mit dem Zug nach West-Berlin fahren. Und sich dort zum Beispiel im Kino die Wochenschau  ansehen.
Die Abiturienten Theo (Leonard Scheicher) und Kurt (Tom Gramenz) aus Stalinstadt (heute Eisenhüttenstadt) haben in „Das schweigende Klassenzimmer“ genau das getan. Die Bilder aus Budapest treffen sie tief. Also beschließen sie etwas - aus heutiger Sicht - völlig Normales. Sie organisieren Protest.
Als an einem Schultag der Unterricht beginnen soll, schweigt die Klasse aus Solidarität mit den Ungarn für zwei Minuten. Ein Affront, den die Schule erst hinnehmen will. Aber aus dem Vorfall wird ein Skandal. Mehr und mehr Bedenkenträger - bis hin zum DDR-Bildungsminister (Burghart Klaußner) - schalten sich ein. Die Schüler sollen ihre Tat bereuen und die Rädelsführer benennen. Wenn dies nicht geschieht, droht der gesamten Klasse der Ausschluß vom Abitur.
„Das schweigende Klassenzimmer“ hat alles, was einen guten Historienfilm ausmacht. Die sehr liebevolle Ausstattung nimmt den Zuschauer mit in den grauen DDR-Alltag des Jahres 1956. Die Schauspieler, besonders die jungen, spielen hinreißend.
Die Geschichte würde man aus heutiger Sicht nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen, wäre nicht belegt, dass sich all das wirklich so zugetragen hat. Und über all dem schwebt ein zeitloser Geist, der den Film mühelos ins Heute transportiert. Dass Kinder und Jugendliche für Fehler der Erwachsenen einstehen müssen, daran wird sich auch in tausend Jahren nicht viel  ändern.
Kinostart: 2. März 2018
Kinochancen: hoch - diese Geschichtsstunde ist packend und überhaupt nicht wie von gestern erzählt.
Gesamteindruck: Eine verängstigte Regierung verbietet Jugendlichen das Denken. Toll bebildert und straff erzählt - sollte in jeder Schule zu sehen sein.
 
„7 Tage in Entebbe“: Rosamund Pike und Daniel Brühl als Terroristen © Berlinale

7 Tage in Entebbe

Genre: Entführungs-Drama
Regie: José Padilha (Brasilien)  
Star-Faktor: Stark besetzt mit prominenten Darstellern wie Daniel Brühl, Rosamund Pike und Eddie Marsan                                                     

Berlinale-Premiere: Im Wettbewerb um den Goldenen Bären
Die „7 Tage in Entebbe“ sind in der Gegenwart ein wenig ins kollektive Vergessen geraten. Ganz im Gegensatz zu den Monaten und Jahren nach den Ereignissen auf dem Flughafen der ugandischen Stadt.
Im Sommer 1976 hatte eine Gruppe palästinensischer und deutscher Terroristen (sie selbst nannten sich Freiheitskämpfer) ein Air-France-Flugzeug mit israelischen Passagieren gekapert. In Entebbe stand die Maschine dann eine Woche. Es wurde viel verhandelt, bevor israelische Elitesoldaten das Gelände stürmten. Kein halbes Jahr danach gab es den ersten stargespickten amerikanischen Kinofilm, viele folgten.
In den letzten Jahren hat es keinen Versuch mehr gegeben, die Ereignisse von damals für ein jetzt jüngeres Publikum zu erzählen. Regisseur José Padilha – der vor genau zehn Jahren mit „Tropa de Elite“ die Berlinale gewann – ist für diesen Job genau der richtige Mann.
In Spielfilmen, aber auch Serien wie „Narcos“, versteht er es ausgezeichnet, die Balance zu halten zwischen der Unterhaltung des Publikums und der Wissensvermittlung.
Was ist genau damals passiert? Warum wurde die Maschine entführt? Wer steckte dahinter und wieso konnte Israel nicht mit den Entführern verhandeln?  Warum wirken diese Tage in der internationalen Politik immer noch nach? Nach einer Stunde und 47 Minuten geht man sehr gut unterhalten und um einiges schlauer aus dem Kino.
Die Schauspieler sind allesamt sehr gut besetzt. Wobei der Brite Eddie Marsan als Shimon Peres (damals Israels Verteidigungsminister) herausragend ist. Aber auch Daniel Brühl als deutscher Terrorist Winfried Böse (die immer stärken werdenden Skrupel lässt Brühl grandios sichtbar werden) und Rosamund Pike (die für diese Rolle sehr gut Deutsch gelernt hat) überzeugen auf ganzer Linie.                
Kinostart: 4. Mai 2018
Kinochancen: durchwachsen, das Publikum geht zurzeit selten in historische politische Stoffe
Gesamteindruck: Ein rasanter Rückblick auf die Ereignisse im Juni 1976, der zudem packende Einblicke in die internationale Politik