Berlinale

Schönheit allein ist zu wenig

06.02.2014
von  Gunther Baumann
„The Grand Budapest Hotel“: Willem Dafoe, Adrien Brody, Mathieu Amalric, Ralph Fiennes (v. li.) © CentFox
Die 64. Berlinale hat begonnen. Am Donnerstag Abend drängten sich Stars wie Christoph Waltz, Tilda Swinton und Bill Murray auf dem Roten Teppich: Die Eröffnungsgala mit Wes Andersons Tragikomödie „The Grand Budapest Hotel“ lockte. Tagsüber gab es zuvor schon einige Chancen, filmische Entdeckungen zu machen. Eine besonders gelungene Produktion kommt aus Österreich. Johannes Holzhausen wirft in der Doku „Das große Museum“ einen absolut faszinierenden Blick hinter die Kulissen des Kunsthistorischen Museums in Wien.
Kunst. Eine gern gestellte Forderung an die Kunst lautet, sie möge schön sein.  Aber reicht Schönheit allein aus, um vollendeten Kunstgenuss zu garantieren? Nein, sie reicht nicht. Das zeigt sich exemplarisch am Beispiel zweier Filme, die am ersten Tag der Berlinale im Zentrum des Interesses standen: „The Grand Budapest Hotel“ und „Das große Museum“.
 
„The Grand Budapest Hotel“ ist das jüngste Werk von Wes Anderson, der sich mit seinen virtuos versponnenen Komödien – von „Die Royal Tenenbaums“ bis „Moonrise Kingdom“ längst Weltgeltung erworben hat. Sein neuer Film wurde in Berlin und Görlitz gedreht, was zur Ehre beigetragen haben mag, für die Berlinale-Eröffnung ausgewählt zu werden.
 
Große visuelle Ästhetik: „The Grand Budapest Hotel“ (mit Tilda Swinton und Ralph Fiennes, re.) © CentFox

Geht’s allein um visuelle Ästhetik,  so ist „The Grand Budapest Hotel“ ein Meisterwerk. Jede Einstellung ist ein Hochgenuss; Kostüme und Dekorationen ergänzen einander zu einem prächtigen Farbenspiel. Auch das Ensemble ist vom Feinsten: Mit Stars wie Ralph Fiennes, Tilda Swinton, Bill Murray, Edward Norton, Willem Dafoe, Adrien Brody und Mathieu Amalric wird das Film-Hotel von Gästen bewohnt, von denen andere Regisseure in dieser Dichte nicht zu träumen wagen.  Die Darsteller tragen nicht nur große Namen, sie leisten auch Großes vor der Kamera.
 
Trotzdem regte sich nach der Pressevorführung am Donnerstag Mittag kaum eine Hand zum Applaus. Gewiss, viele Beobachter lobten den Film, aber mindestens ebenso viele verließen den Saal völlig ermattet. Denn bei aller Pracht, die Wes Anderson auf der Leinwand entwickelte, fehlte es „The Grand Budapest Hotel“ an Dynamik, an Emotionen, an lebenspraller Wucht.   
 
Der Regisseur ließ sich bei der Story vom Werk Stefan Zweigs leiten: „Es gibt kaum einen Schriftsteller, der die Atmosphäre  der Welt von gestern, vor dem Zweiten Weltkrieg, so perfekt trifft wie er“, sagte der Regisseur beim Pressegespräch zum Film.
 
In der Tat erzählt „The Grand Budapest Hotel“ (Kinostart: 7. März) eine Geschichte, die in Zweig’sche Welten führt. Im Zentrum steht der vollendete Concierge Monsieur Gustave (Ralph Fiennes), der eine edle Herberge in der Provinz während der 1930er Jahre mit souveränem Charme führt. Als eine betuchte Stammkundin des Hotels (grandios auf alt geschminkt: Tilda Swinton) stirbt, hinterlässt sie Monsieur Gustave ein berühmtes Gemälde von hohem Wert. Doch der Concierge hat wenig  Freude mit dem Bild. Die ergrimmten Nachfahren der Dame wollen den fremden Erben nicht anerkennen. Obendrein gerät die Welt aus den Fugen. Der Faschismus rüttelt an den Türen.
 
Dramatik wäre also mehr als genug in der Story enthalten, doch im statischen Stil von Wes Anderson mag sie sich nicht entfalten. Der Film wirkt, als stünde der Regisseur in jeder Szene auf der Bremse. Oh schöne Kunst? „The Grand Budapest Hotel“, der Film, ist quasi in Schönheit gestorben.
 
„Das große Museum“: Faszinierender Blick hinter die Kulissen © Berlinale

Museum. Schöne Kunst – und zwar unbeschreiblich viel schöne Kunst – ist auch das Thema des Kunsthistorischen Museums in Wien. Regisseur Johannes Holzhausen verfolgt in seiner Doku „Das große Museum“ aber nicht das Ziel, diese Schönheit möglichst elegant auf die Kino-Leinwand zu zaubern. Er lässt einerseits die Kunstwerke in ihrer Bild-Sprache sprechen (die erzählen natürlich oft sehr unschöne Geschichten) – und andererseits die Menschen, die das Museum prägen. Den Besucherdienst. Die Restauratoren. Oder die Direktion.
 
„Das große Museum“ ist ein Film, der die Betrachter staunen lässt über die unermesslichen Schätze, die im Kunsthistorischen zusammengetragen wurden. Das imperiale Wien – hinter den Museumsmauern ist es noch lebendig. Doch die Menschen, die diesen Schatz in der Gegenwart behüten, müssen sich mit ganz heutigen Problemen herumschlagen. Mal geht’s um kleine Schäden, ausgelöst durch kunstknabbernde Insekten. Mal geht’s um  finanzielle Kunstgriffe, die notwendig sind, um mit angeknabberten Budgets zurechtzukommen.
 
Johannes Holzhausens Museums-Doku – bei der Berlinale am Donnerstag morgen als allererster von mehr als 400 Filmen gezeigt – wird im März das Austro-Filmfest Diagonale in Graz eröffnen. „Das große Museum“ ist ein einziger Genuss: Der Film begeistert, weil die schöne Kunst hier in einen filmischen Rahmen gestellt wird, der vor Klugheit, Humor, Fachwissen und Überraschungen nur so birst.