Eva Sangiorgi über die Viennale 2019, ihre Festival-Lieblingsfilme und das Leben in Wien


„Wien kam mir sehr, sehr leise vor“

23.10.2019
Interview:  Gunther Baumann

Mehr als 300 Filme: Viennale-Direktorin Eva Sangiorgi vor dem provisorischen Spielplan © Katharina Sartena

Eva Sangiorgi, die neue Direktorin der Viennale, geht mit einem großen Vertrauensbeweis in ihr zweites Festival: Ihr Vertrag wurde vor kurzem um fünf Jahre bis 2026 verlängert. Für die Viennale 2019 hat die Italienierin, die aus Mexico City nach Wien kam, ein Programm mit zahlreichen Höhepunkten aus dem aktuellen Repertoire des Weltkinos ausgesucht. Im FilmClicks-Interview spricht sie über die Filmauswahl, ihre Lieblingsfilme, das Leben in Wien, den verstorbenen Viennale-Präsidenten Eric Pleskow – und über Schlangen und Katzen.


FilmClicks: Frau Sangiorgi, bei der Viennale 2019 stehen mehr als 300 Filme auf dem Programm. Haben Sie die alle gesehen?
Eva Sangiorgi: Fast alle. Einige Filme der Partisanenfilm-Retrospektive im Filmmuseum, die von Jurij Meden kuratiert wurde, kenne ich noch nicht. Aber die Filme des Hauptprogramms habe ich natürlich komplett gesehen – und noch viele mehr. Ich habe es aber aufgegeben, genau nachzuzählen, wie viele Filme ich mir im Laufe eines Jahres anschaue.
 
Wählen Sie die Filme, die im Hauptprogramm gezeigt werden, komplett selbst aus oder stützen Sie sich auch auf Berater?
Das Hauptprogramm ist meine Selektion, aber ich habe vier Konsulenten, mit denen ich mich dann und wann austausche. Doch die Entscheidung, welche Filme wir beim Festival zeigen, liegt bei mir.
 
Wenn Sie mit der Programmierung beginnen: Gibt es da einen thematischen roten Faden, der sich durch das Festival ziehen soll?
Nein. Es ist umgekehrt: Die Leitthemen entstehen während des Prozesses der Auswahl. Natürlich gibt es immer eine Reihe großer oder auch kleiner Filme, die ich unbedingt zeigen will. Die Schwerpunkte entwickeln sich dann fast von allein durch das Angebot an Filmen des jeweiligen Jahres. Bei der Viennale 2019 haben wir zum Beispiel einige Filme, die sich mit Tieren und der Natur beschäftigen. In anderen Produktionen geht es um Flucht und um Grenzen,  dann wieder um junge Menschen sowie um ihre Hoffnungen und Erwartungen. Um Frauen und um Rebellion. Ein wichtiges Thema sind natürlich auch Fragen von Politik und Ökonomie, von Frieden und Krieg. Schließlich geht es, oft in Verbindung mit diesen Themen, um  Phantome, um Geister oder Monster.

Das Viennale-Plakat 2019

Sie haben eine Schlange als Motiv für das aktuelle Viennale-Plakat ausgesucht. Mögen Sie Schlangen?
Ich mag generell Tiere – und ich liebe Schlangen! Sie werden vom Menschen oft in ein schlechtes Licht gerückt, aber sie symbolisieren für mich das Streben nach Wissen und demnach auch Nonkonformismus und einen kritischen Geist. Ich bin zum Beispiel fasziniert von einer Albino-Schlange im Wiener Haus des Meeres; ich glaube, es ist eine Anakonda. Als Haustier würde ich aber keine Schlange halten – ich habe zwei Katzen, die ich aus Mexiko nach Wien mitbrachte.
 
Sie haben als Festival-Chefin ja lange in Mexiko gelebt – was ist der größte Unterschied zwischen Mexico City und Wien?
Als ich nach Wien kam, war mein erster Eindruck, der größte Unterschied liege im Geräuschpegel – Wien kam mir sehr, sehr leise vor. Aber ich habe das Gefühl, dass Wien lauter wird. Unter anderem deshalb, weil sehr viel gebaut wird. Was die Bürger betrifft, haben beide Städte eine Menge gemeinsam. Mexico City und Wien sind zum Beispiel beide Melting Pots, Schmelztiegel, für Menschen unterschiedlichster Herkunft. In beiden Städten sind die Leute nicht sehr direkt im Umgang miteinander. In Mexico City sind die Leute aber wärmer als hier. Die Wiener sind vergleichsweise eher reserviert.
 
Haben Sie sich in Wien rasch heimisch gefühlt?
Das dauerte eine Zeitlang, weil ich mich nach 16 Jahren in Mexico City erst einmal an die Stadt gewöhnen und neue berufliche Verbindungen aufbauen musste. Während der Viennale 2018 begann ich dann, mich hier zuhause zu fühlen. Dieses Jahr ging alles viel leichter, was damit zu tun hat, dass ich mich sehr wohlfühle in Wien und auch von der Stadt fasziniert bin.

Vertrag bis 2026: Eva Sangiorgi in einem Viennale-Kino, dem Stadtkino © Katharina Sartena

Ihr Vertrag als Viennale-Direktorin wurde vor kurzem um fünf Jahre bis 2026 verlängert. War das von Anfang an Ihr Ziel?
Als ich nach Wien übersiedelte, war das ein großer Schritt für mich – aber auch  eine große Veränderung für die Viennale. Es war ein Experiment, jemanden für die Position auszuwählen, der nicht von hier kommt. Doch der damalige Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny sagte mir damals schon, dass er offen für eine Verlängerung meines Vertrages sei. Ich hätte nur nicht erwartet, dass das so schnell geschieht. Dass ich gleich weitere fünf Jahre dazu bekam, ist fantastisch für mich. Auch das habe ich nicht erwartet.
 
Im Viennale-Programm sind auch dieses Jahr wichtige Filme aus Österreich zu sehen. Waren Sie mit dem österreichischen Film bereits vertraut, bevor Sie nach Wien kamen?
In gewissen Grenzen, ja. Sehr gut vertraut war ich mit der experimentellen Szene. Wir zeigten zum Beispiel beim Ficunam-Festival in Mexico City, das ich früher leitete, eine Retrospektive der Filme von Peter Tscherkassky. Und natürlich waren mir die wichtigen Regisseure der hiesigen Szene bekannt. Da möchte ich Jessica Hausner hervorheben, deren Filme ich ganz besonders mag.

Der langjährige Viennale-Präsident Eric Pleskow (1924 - 2019) © Viennale

Die Viennale trauert um Eric Pleskow, ihren langjährigen Präsidenten, der vor einigen Wochen im Alter von 95 Jahren verstarb. Haben Sie ihn noch persönlich kennengelernt?
Leider nein. Wir haben häufig miteinander telefoniert. Er war der Viennale sehr nah, auch wenn er in den letzten Jahren aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr aus den USA nach Wien kommen konnte. Ich hatte geplant, Eric Pleskow nächstes Jahr in Amerika zu besuchen. Aber das hätte ich besser schon heuer tun sollen – ich bin sehr traurig darüber. Eric Pleskow war in jeder Hinsicht ein sehr aktiver Mann. Nicht nur, was den Film, sondern auch, was die Politik betrifft.
 
Wird es in Zukunft einen neuen Viennale-Präsidenten geben?
Ja. Eric Pleskow hatte selbst gesagt, wenn wir in dieser Position einen Wechsel wollten, sollten wir ihm das sagen. Aber daran haben wir natürlich nie gedacht. Nach dem Festival  müssen wir darüber mit dem Viennale-Kuratorium sprechen. 
 
Gibt es einen Film, den Sie gern bei der Viennale gezeigt hätten, aber nicht bekommen haben?
Ja. „The Irishman“ von Martin Scorsese mit Robert De Niro und Al Pacino. Ich habe es versucht, doch es hat nicht geklappt. Netflix, das den Film im Programm hat, will das Werk kurz nach der Viennale eine Woche lang in ausgewählten Kinos zeigen.
 
Wollen Sie uns Ihre drei Lieblingsfilme aus dem Programm der Viennale 2019 verraten?
Das ist unfair, weil sich meine Antwort täglich ändern kann – aber ich mache es trotzdem. Einer der besten Filme des Jahres ist für mich „Ich war zuhause, aber“ von Angela Schanelec, der wir auch eine Monografie gewidmet haben. Mein zweiter  Lieblingsfilm ist „Martin Eden“, die neue Verfilmung des Romans von Jack London durch Pietro Marcello, mit der wir das Festival beenden. Dann gibt es natürlich eine Menge sehr gelungener kleinerer Filme. Einer, den ich besonders liebe, ist der slowenische Film „Oroslan“ von Matjaz Ivanisin.



News
Viennale 2019
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