Hans Hurch über die Viennale 2016, die besten Filme und die Gäste


„Die Viennale hat international ein starkes Standing“

18.10.2016
Interview:  Gunther Baumann

Viennale-Chef Hans Hurch ist dieses Jahr zum zwanzigsten Mal als Festival-Chef im Einsatz © Viennale / Pelekanos

Hans Hurch feiert ein Jubiläum. Der Viennale-Chef leitet das Wiener Filmfestival (20. Oktober – 2. November) zum zwanzigsten Mal. Im FilmClicks-Gespräch erzählt er über seine Lieblingsfilme des Jahrgangs 2016, über die internationalen Gäste sowie über die Gründe für die Verkürzung der Viennale von 15 auf 14 Tage. Außerdem spricht Hurch über die Finanzlage des Filmfests („unser Budget ist um 100.000 Euro niedriger als 2015“) und er erläutert seine Sichtweise auf die Frage, wer ihm 2019 nachfolgen könnte: „Wir haben beschlossen, dass die Viennale-Leitung unbedingt international ausgeschrieben werden soll.“


FilmClicks: Man hat als Bürger das Gefühl, die Zeiten werden härter. Spürt man das auch bei den Filmen, die bei der Viennale zu sehen sind?
Hans Hurch: Das Kino ist ein langsames Medium, in dem sich politische und gesellschaftliche Entwicklungen erst mit einer gewissen Verzögerung niederschlagen. In unseren Filmen scheint die aktuelle Weltlage nicht direkt durch,  obwohl es natürlich Spielfilme gibt, die zum Beispiel das Thema der Flucht oder der Migration behandeln. Etwa in „La fille inconnu“, dem Film der Brüder Dardenne, den wir zeigen. Oder es gibt den sehr umstrittenen Film „Nocturama“  von Bertrand Bonello über eine Gruppe von Jugendlichen, die in Paris Anschläge verüben. In Cannes hat man diesen Film abgelehnt, weil man ihn als zynisch empfand angesichts der Terror-Ereignisse in Paris. Bei den Dokumentarfilmen finden sich mehr Produktionen als beim Spielfilm, die sich ganz konkret auf Ereignisse der letzten zwei Jahre beziehen.

„Manchester By The Sea“: Casey Affleck im Viennale-Eröffnungsfilm © Viennale

Sie eröffnen die Viennale 2016 mit dem Familiendrama „Manchester By The Sea“ und schließen es mit dem Jazz-Musical „La La Land“. Wie kam es zu dieser Auswahl?
„Manchester By The Sea“ ist der vielleicht interessanteste Film, den ich in diesem Jahr gesehen habe.  Casey Affleck spielt einen jungen Mann, dessen Bruder stirbt, und er wird quasi dazu gezwungen, die Verantwortung für den 16-jährigen Sohn des Bruders zu übernehmen. Er macht das zunächst widerwillig, doch man merkt bald, dass das eine ganz entscheidende Aufgabe in seinem Leben wird.  Was den Abschlussfilm der Viennale betrifft, finde ich, dass der eher eine leichtere Atmosphäre haben soll. Aber auch „La La Land“ ist ein ungewöhnlicher Film. Seine Art, mit Gefühlen und mit Bewegung umzugehen, hat etwas wunderbar Altmodisches.
 
„Manchester By The Sea“ und „La La Land“ werden ja schon als potenzielle Oscar-Anwärter genannt.
Bei beiden Filmen würde ich mich freuen, wenn sie bei den Oscars etwas gewinnen würden. Weil beide eine Ermutigung sind für eine bestimmte Art von Kino, die nicht immer den einfachsten und den kürzesten Weg geht. Das gilt übrigens auch für „Certain Women“ von Kelly Reichardt: Das ist die episodische Geschichte von verschiedenen Frauenfiguren,  die von Kristen Stewart, Laura Dern und Michelle Williams toll gespielt werden.  Es ereignen sich kleine, unspektakuläre Geschichten auf dem Lande, im Mittleren Westen, die dann im Stil von Robert Altman miteinander verwoben, aber nie größer als das Leben werden. Das finde ich an dem Film unglaublich schön und spannend.

„Dark Night“ von Tim Sutton: Für Hans Hurch einer der stärksten Viennale-Filme © Viennale

Wenn Sie sich nur drei Filme der Viennale aussuchen dürften, die Sie sehen können – welche würden Sie wählen?
Da wäre einmal „Dark Night“ von Tim Sutton. Das ist ein ganz kleiner amerikanischer Film, der mich wahnsinnig fasziniert hat. Der Film hat die Vorgeschichte zum Kino-Massaker bei einer Vorführung von „The Dark Knight“ in den USA zum Thema. Ein anderer Film, den ich ausgesprochen gern mag, ist „Weiner“, die Doku über den US-Politiker Anthony Weiner,  dessen Karriere an seinem Exhibitionismus scheiterte. Und ganz toll finde ich auch die Doku „Homeland (Iraq Year Zero)“. Das ist ein Film eines jungen irakischen Regisseurs, der in einer Langzeitstudie verfolgt, was dort mit seiner Familie passiert. Den Zusammenhang zwischen der großen Geschichte und der kleinen Familiengeschichte aufzuzeigen, hat für mich etwas Rosselinihaftes, etwas Brechtisches.
 
Wie ist der österreichische Film dieses Jahr bei der Viennale präsent?
Wir haben relativ viele Filme aus Österreich im Programm. Mir hat zum Beispiel „Auf Ediths Spuren“ sehr gut gefallen, die Dokumentation von Peter Stephan Jungk über die Wiener Fotografin und Sowjet-Agentin Edith Tudor-Heart. Auch „Sühnhaus“ von Maya McKechneay finde ich einen sehr interessanten Film, in dem die Geschichte des Landes an der Geschichte eines Hauses, eines Grundstücks erzählt wird. Dann gibt es „Stille Reserven“, den Science-Fiction-Film von Valentin Hitz. An dem gefällt mir so gut, dass es ihm gelingt, mit wenig Geld und relativ  geringem Aufwand eine Welt zu entwerfen,  die in sich hervorragend funktioniert. Normalerweise sagt man ja, Science Fiction brauche große Budgets, sonst wirke sie peinlich. Das gilt hier nicht. Dieser Film hat mich echt überrascht.

Starke Doku aus Österreich: „Sühnhaus“ von Maya McKechneay © Viennale

Bei der Viennale-Gästeliste fällt auf, dass dieses Jahr viele Regisseure kommen – von Kenneth Lonergan („Manchester By The Sea“) bis John Carpenter und Olivier Assayas.
Jedes Jahr wird ja gefragt, wer ist der Star der Viennale? Das finde ich irgendwie komisch, weil es andeutet, dass die Viennale klein ist und sich nur einen Star leisten kann. Heuer ist es uns gelungen, dass eine relativ große Anzahl wichtiger Filmemacher nach Wien kommt.  Der Engländer Terence Davies ist zum ersten Mal in Österreich; ein John Carpenter war 20 Jahre lang nicht mehr da. Andere, wie Olivier Assayas, kommen immer wieder, weil sie das Festival schätzen.  Dann haben wir Abel Ferrara oder Luc Dardenne – das sind gute, interessante Namen.  Genauso wichtig ist mir aber ein Mann wie der Brasilianer Kleber Mendonca Filho, dessen Film „Aquarius – mit Sonia Braga – beim Festival Cannes gelaufen ist. Der wird in ein paar Jahren ein wichtiger Mann sein. Es ist eine Qualität der Viennale, dass wir arrivierte Namen haben, aber auch Namen, die man quasi entdeckt – so wie zum Beispiel Damien Chazelle, den Regisseur von „La La Land“, der vor ein paar Jahren als völlig unbekannter junger Mann mit seinem ersten Film zu uns kam.

Viennale-Stargast: Kenneth Lonergan, Regisseur von „Manchester By The Sea“ © Viennale

Sie haben dieses Jahr aber auch einen richtigen Rockstar eingeladen.
Richtig, Patti Smith kommt nach Wien. Es gibt inzwischen eine kleine Liebesgeschichte zwischen der Viennale und ihr. Sie mag einfach dieses Festival, sie verfolgt es, und so entstand die Idee, dass sie am 1. November im Gartenbau-Kino einen Abend mit Lesung und Musik bestreiten wird; nicht mit einer Band, sondern mit einem Pianisten. Sie kommt eigens für diesen Abend nach Wien. Außerdem wird es eine Fotoausstellung von ihr im Metro Kinokulturhaus geben. Das ist eine gemeinsame Idee von ihr und mir. Ich finde nämlich, dass sie auch eine hervorragende Fotografin ist. Sie hat 28 Bilder ausgewählt, von denen sie ein Drittel in Wien aufgenommen hat. Patti Smith liebt Wien aus irgendeinem Grund…
 
Die Viennale 2016 dauert 14 Tage – einen Tag weniger als in den letzten Jahren. Liegt das an einer Kürzung des Budgets?
Wir haben dieses Jahr um rund 100.000 Euro weniger Budget, aber das war nicht der Grund dafür, das Festival zu verkürzen.  Dieses Geld hätte sich auch anders einsparen lassen. Ich hatte in der Vergangenheit das Gefühl, dass die Viennale immer größer wird und bekam auch Reaktionen, es sei zu viel, was wir anbieten. Es war eine pragmatische Entscheidung, das Festival nicht mehr weiter wachsen zu lassen, sondern es eher ein bisschen zu verknappen. Ich habe unlängst einen schönen Hölderlin-Satz gelesen: „Mehr will mehr und wird am End‘ zu Nichts.“ Ich glaube, dass es der Qualität der Viennale nicht schadet, dass wir jetzt einen kleinen Schritt zurück machen.
 
Warum ist das Budget um 100.000 Euro kleiner als im letzten Jahr?
Das beginnt mit dem Problem der Verwertungsgesellschaften, die in einem großen Rechtsstreit mit Amazon sind. Amazon hat diese Gesellschaften in Österreich wegen der Leercassetten- und Festplatten-Vergütung geklagt. So lange dieses Verfahren nicht geklärt ist, dürfen die Verwertungsgesellschaften nichts auszahlen, und das sind bei uns mehr als 50.000 Euro. Die Stadt Wien, die sparen muss, hat ihren Zuschuss heuer um 25.000 Euro reduziert. Auch bei den Sponsoren müssen wir kämpfen. Da sind dann 100.000 Euro minus schnell beisammen. Aber ich finde, unser Budget von knapp unter drei Millionen Euro ist noch immer ein gutes Budget. Doch wir müssen viel rechnen und uns einzelne Ausgabenposten sehr genau überlegen. Wir versuchen, dort zu sparen, wo es am wenigsten die Qualität und das Publikum betrifft.

Sie werden nach der Viennale 2016 noch zwei weitere Ausgaben des Festivals leiten. Ist die Nachfolge-Frage bereits ein Thema für Sie?
Zu diesem Zeitpunkt nicht. Im Laufe des Jahres 2017 wird es eine Ausschreibung geben. Die Nachfolge sollte ein Jahr, bevor ich wirklich aufhöre, entschieden sein, sodass jemand Neuer sich einarbeiten kann. Viennale-Präsident Eric Pleskow sagte einmal, er wünsche sich eine Frau als Viennale-Chefin, zog dieses Statement dann aber wieder zurück und meinte, das Rennen solle völlig offen sein. Ich selbst würde nicht sagen, dass es eine Frau werden muss, ich würde auch nicht sagen, dass es keine Frau werden soll. Ich will, dass der oder die beste für die Viennale den Zuschlag bekommt. Wir haben beschlossen, dass die Viennale-Leitung unbedingt international ausgeschrieben werden soll. Schließlich hat die Viennale international ein starkes Standing.

Will 2017 wieder zum Festival nach Wien kommen: Viennale-Präsident Eric Pleskow © Viennale

Viennale-Präsident Eric Pleskow ist 92 Jahre alt und lebt in den USA. Wird er zum Festival kommen?
Eric Pleskow grüßt dieses Jahr aus der Ferne, und zwar sehr herzlich und sehr fit.  Er sagte uns, dieses Jahr lasse er aus – aber nächstes Jahr sei er wieder da. Typisch Eric.



News
Viennale 2016
Bilanz der Viennale 2016: Zu den  Vorstellungen des Wiener Filmfests kamen insgesamt 92.300 Besucher. Die Auslastung stieg gegenüber dem Vorjahr von 76,4 auf 82,3 Prozent. 154 Vorstellungen waren ausverkauft. Der Wiener Filmpreis ging an Barbara Eder (Bild; „Thank You For Bombing“) und an Sigmund Steiner („Holz Erde Fleisch“). Mehr...