Kevin Feige über das Marvel Cinematic Universe und den neuen Film „Spider-Man: Far From Home“


„Die Helden aus der zweiten Reihe“

01.07.2019
Interview:  Peter Beddies

Kevin Feige: © Peter Beddies

Das sind mal Zahlen (beinahe) für die Ewigkeit: Die letzten 23 Filme von US-Produzent Kevin Feige haben mehr als 17 Milliarden Dollar eingespielt. Feige, der Chef des Marvel-Studios, mag zwar aussehen wie der Buchhalter von nebenan. Aber der Herr über die Superhelden-Filme hat Visionen. Mit „Iron Man“ begann sein Siegeszug. Nun – mehr als 20 Filme später – geht sein Marvel Cinematic Universe (MCU) demnächst in die vierte Phase. Zeit für ein Gespräch darüber, wie alles so kommen konnte, und für einen Blick in die Zukunft. FilmClicks hat mit Kevin Feige in Berlin gesprochen. Anlass: Die Premiere des neuen Marvel-Blockbusters „Spider-Man: Far From Home“, der am 4. Juli im Kino startet.


FilmClicks: Es ist elf Jahre her, dass „Iron Man“ in die Kinos kam. Damals sagten Robert Downey Jr. und Regisseur Jon Favreau, dass es vielleicht einen zweiten oder dritten Teil geben könnte, wenn der Film erfolgreich wäre. Was dann kam, wissen wir heute. Aber welche Pläne hatten Sie als Produzent? Waren Sie schon jemand, der ganz groß dachte?      
Kevin Feige: Also, „Iron Man“ war damals das bedeutendste Projekt meines Lebens. Zum einen wollten wir einen spannenden Film erzählen. Das hat so ungefähr 90 Prozent unseres Anspruchs ausgemacht. Die restlichen zehn Prozent: Ich hatte bereits den Wunsch, ein komplett neues Universum mit Superhelden aufzubauen. Wer zu jener Zeit von bekannten Superhelden sprach, der meinte Superman oder Batman. Doch wir wollten Geschichten über die Helden aus der zweiten Reihe erzählen. In den Comics existierten die schon lange. Dort liefen die sich ständig über den Weg. Aber nicht im Film. Wenn ich das damals öffentlich gesagt hätte, wäre ich wohl ausgelacht worden. Also haben wir einen Film nach dem anderen folgen lassen. Wenn Sie sich erinnern: Wir ließen schon in der Post-Credit-Szene bei „Iron Man“ Nick Fury auftauchen, der Tony Stark fragt, ob er denn wirklich glaubt, der einzige Mensch mit solchen besonderen Fähigkeiten zu sein. Das war unsere versteckte Ansage, was alles kommen wird.    

„Spider-Man: Far From Home“: Tom Holland (Peter Parker/Spider-Man) & Samuel L. Jackson (Nick Fury) © Sony
                                                                
Viele Fans debattierten im Netz darüber, ob „Spider-Man: Far From Home“ das erste Kapitel in der vierten Phase des Marvel Cinematic Universe sein würde.  
Nein, das war nie so geplant. Immerhin läuft „Avengers: Endgame“ (der Abschlussfilm von Phase drei, Anm.) noch in etlichen Kinos. Jetzt schon mit der neuen Phase zu beginnen, das wäre viel zu früh. Wir wollten mit „Far From Home“ zeigen, wie es nach „Endgame“ weitergeht. Also, wie Peter Parker mit dem Verlust von Tony Stark umgeht. Wie die Menschen insgesamt mit dem leben, was in „Endgame“ passiert ist. Für die alltäglichen Geschichten – zum Beispiel an der Schule von Peter – haben wir oft keine Zeit, wenn wir von der Weltenrettung erzählen. All das sollte jetzt in diesen Film. Die Fans sollen sich in aller Ruhe von Phase 3 verabschieden können.         

In „Far From Home“ hat Spider-Man nicht nur die Rettung der Welt im Sinn (Tom Holland & Zendaya) © Sony

FilmClicks: Und wann beginnt Phase 4? Mit welchem Film?
Gute Frage, die ich Ihnen heute nicht beantworten werde. Lassen Sie uns „Far From Home“ in die Kinos bringen und dann schauen wir auf die Zukunft.   
 
Man hört von spannenden Projekten – wie den „Eternals“. Angeblich die erste homosexuelle Superhelden-Truppe. Ist es riskant, so etwas auf die Beine zu stellen? 
(lacht) Ich kann Ihnen nur Folgendes sagen: Manche Gerüchte, von denen Sie hören oder lesen, stimmen und andere wieder nicht. Wenn die Zeit reif ist, werden wir ausführlich über die Zukunft sprechen – jetzt nicht. 
 
Wie muss man sich das vorstellen? Gibt es in Ihrem Büro einen Schreibtisch mit einem roten Knopf und wenn man da draufdrückt, erscheint hinter einer Wand der geheime Marvel-Plan, der alles beschreibt?    
(lacht) Also, wir haben etliche Masterpläne an verschiedenen Stellen. Aber sie sind nicht in Granit gemeißelt. Wir weichen manchmal auch davon ab. Vor ein paar Jahren hatten wir zum Beispiel noch keine Ahnung, dass wir eines Tages Zugriff auf die Filmrechte für Spider-Man und Co. haben würden. Als es dann soweit war, haben wir uns den großen Plan angeschaut und gesehen, wo wir sie am besten in unser Universum einbauen können.        
 
Und das wird jetzt – durch den Zusammenschluss der Studios Disney und Fox – auch mit den „X-Men“ geschehen? 
Gut möglich. Aber das ist – zumindest zur Zeit – weit außerhalb meines Tätigkeitsbereiches. Das einzige, das ich weiß: Ja, jetzt haben wir die Rechte für diese Charaktere zurück! Das Schöne ist doch, dass Marvel so viele tolle Charaktere hat. Über Jahre hinweg hatten wir keinen Zugriff darauf. Das ändert sich nun.      
 
In Ihren frühen Produzenten-Jahren waren Sie auch an eher mäßig erfolgreichen Comic-Verfilmungen wie  „Daredevil“ oder „Elektra“ beteiligt.   
Völlig richtig. Es war sehr wichtig für mich, dass ich diese Lehrjahre hatte. Es gab auch andere Comic-Verfilmungen, die besser liefen. Aber sie waren weit von dem entfernt, was heute das Marvel Cinematic Universe einspielt. Doch sicher sind die neuen Filme auch deshalb so erfolgreich, weil wir damals gelernt haben, wie man so eine Reihe aufbaut. Und dazu gehört natürlich, dass man zu Beginn Fehler macht.     
 
Wer Ihren Namen in eine Suchmaschine eingibt, bekommt sofort die Auskunft, Sie seien „der erfolgreichste Hollywood-Produzent“. Wie fühlt sich das an? 
An solche Sachen denke ich nicht. Es sei denn an Tagen wie heute, wenn ich Interviews gebe und mich Menschen wie Sie darauf ansprechen. Ich sehe es so, dass ich ein sehr glücklicher Mensch mit vielen Privilegien bin. Dass ich das tun kann, was mir am meisten Spaß macht. Das sind Dinge, die für mich zählen.   
 
Als Produzent hat man sicher tonnenweise Entscheidungen zu treffen. Wenn Sie auf die letzten 23 Filme zurückschauen, auf welche Entscheidung sind Sie besonders stolz?  
Dass wir seinerzeit darauf bestanden haben, dass Robert Downey Jr. zu „Iron Man“ wird. Ich saß damals mit Regisseur Jon Favreau zusammen und wir sprachen darüber, wie toll es wäre, wenn er an Bord käme. Zugleich war uns klar, dass das ziemlich unwahrscheinlich ist. Aber dann haben wir uns gesagt, dass wir ihn einfach brauchen. Eben, weil er so ein toller Schauspieler ist.      

Eine Zentralfigur im Marvel-Kosmos: Robert Downey Jr. als Tony Stark / Iron Man © Marvel

Musste Downey von dem Projekt überzeugt werden oder gab es Bedenkenträger im Studio?
Eher Zweiteres. Alle wussten, dass er ein toller Schauspieler ist. Dass er für einen Oscar nominiert war und so weiter. Aber man war sich nicht sicher, ob er passen würde. Also habe ich einen Screen-Test mit Robert gemacht. Danach gab es keine Diskussionen mehr. Denn er war einfach fabelhaft. Das macht mich auch heute noch sehr stolz, denn das ist das Fundament, auf dem alles andere seitdem errichtet wurde. 
 
Wenn Sie Ihre Superhelden-Filme drehen, muss immer Geheimhaltung herrschen. Schon das kleinste Detail könnte bei den Fans Riesendiskussionen auslösen. Aber die Stars sind davon nicht immer begeistert, oder? 
Ja. Zu unseren Drehorten dringt man nicht leicht vor. Die sind hermetisch abgeriegelt. Da haben wir auch die Kontrolle. Aber wenn einer unserer Stars diese Plätze verlässt, sitzt irgendwo jemand im Baum und macht ein Foto.   
 
Was ganz schön nerven kann.
Ja, aber wissen Sie, was noch schlimmer ist? Wenn keiner Fotos macht (grinst). Denn das bedeutet, dass es kein Interesse gibt. Doch unsere Verantwortung ist es, auf die Fotografen zu reagieren. Und das bedeutet, dass unsere Stars nicht mal eben so im brandneuen Kostüm und mit einem Glas Juice in der Hand zu ihrem Wohnwagen laufen können. Egal wie müde sie sind, sie werden von unseren Sicherheitsleuten in etwas gepackt, das aussieht wie ein Müllsack oder der Umhang eines Jedi-Ritters. Nichts darf von außen zu sehen sein. Sonst war unter Umständen die monatelange Arbeit von Kostüm-Schneidern umsonst. Deshalb der ganze Umstand. Und ja, das mögen manche Stars nicht besonders.              
 
Woran liegt es Ihrer Meinung, dass Ihre Filme in den letzten Jahren so erfolgreich waren?    
Darüber könnte ich locker einen Vortrag von einer Stunde halten. Lassen Sie mich einen Aspekt herausgreifen. Es ging und geht bei unseren Filmen nie darum, welche Spielfigur sich gerade im Merchandising besonders gut verkauft. Oder was im Moment besonders angesagt ist. Uns geht es darum, neue Welten zu entdecken. Ob das nun Wakanda bei „Black Panther“ war oder das All aus den Augen der „Guardians Of The Galaxy“ oder die magischen Welten von „Dr. Strange“. Wir hören oft von den Fans, dass sie solche Welten noch nie gesehen haben. Das dürfte einer der Gründe sein, warum sich die Menschen immer wieder gern vom MCU überraschen lassen.        
 
Wenn Menschen sehr erfolgreich sind – so wie Sie –, steht hin und wieder der Begriff des Overkills im Raum. Schon mal daran gedacht, dass alles irgendwann zu groß werden könnte?
Nein. Wir sind im Laufe der letzten zehn Jahre eine doch eher überschaubare Gruppe von Entscheidungsträgern in den Marvel-Studios gewesen. Eins eint uns alle: Wir können nach wie vor nicht so recht glauben, dass man uns die Filme machen lässt, die wir gern machen. Natürlich ist der Druck jedes Mal groß, wenn es einen neuen Film gibt. Deshalb liebe ich es ja so sehr, mit neuen Charakteren um die Ecke zu kommen. Aber die letzten beiden „Avengers“-Filme, das war schon heftig. Die Erwartungen waren so riesengroß, wie ich es noch nie erlebt habe.       
 
FilmClicks: Und nun steht „Endgame“ kurz davor, „Avatar“ als finanziell erfolgreichster Film aller Zeiten abzulösen. Wie fühlt sich das an? 
Das habe ich nie angestrebt. „Avatar“ ist so ein Phänomen gewesen. Damit legt man sich nur ungern an. So ein Riesenerfolg. Ein Jahrzehnt lang ist da kein Film rangekommen. Wissen Sie, was wirklich doof gewesen wäre? Wenn „Avengers: Endgame“ weniger als sein Vorgänger eingespielt hätte. Das war meine große Angst. Aber nun hat er mehr eingespielt. Und damit sind wir sehr zufrieden.     
 
Jeder spricht dieser Tage von Streaming-Diensten. Noch in diesem Jahr geht Disney Plus an den Start. Kommen auch von Marvel Inhalte? 
Auf jeden Fall! Ob es nun bekannte Charaktere wie Loki sind oder völlig neue Charaktere – es wird jede Menge Serien geben, die mit den „Avengers“-Filmen verlinkt sind. Da kommt einiges auf die Fans zu. 
 
Zum Schluss noch eines: In „Avengers: Infinity War“ hatte der Flughafen Leipzig/Halle einen großen Auftritt. Ist mal wieder etwas Ähnliches geplant? 
Nein, nichts Spruchreifes. Aber man sollte niemals nie sagen. Wir gehen immer gern dahin, wo es spektakulär ist.     
 
Das Projekt  „Winter Soldier“, das ja immer mal wieder im Gespräch ist, könnten Sie in Berlin drehen. Immer so schön grau hier.
(lacht) Gute Idee. Das setze ich auf den langen Zettel mit interessanten Drehorten. Aber noch einmal zu „Spider-Man: Far From Home“: Auch wenn wir nicht in Berlin gedreht haben, eine der besten Action-Szenen des Films – vielleicht sogar die allerbeste – spielt in der deutschen Hauptstadt.



Kritik
Spider-Man: Far From Home
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