Roland Emmerich über seinen Film „Midway“ und das Hollywood-Kino


„Man kann heute keinen Hurra-Patriotismus auf die Leinwand bringen“

09.11.2019
Interview:  Matthias Greuling

Roland Emmerich: Der Hollywood-Regisseur aus Stuttgart als gehobener Independent-Filmer © Universum Film

Roland Emmerich dreht normalerweise große Science-Fiction- und Katastrophen-Blockbuster wie „Independence Day“ oder „The Day After Tomorrow“. In seinem neuen Film „Midway“ nimmt sich der Hollywood-Deutsche hingegen eines realen und ur-amerikanischen Themas an: Es geht um eine der entscheidenden Schlachten des Zweiten Weltkriegs. FilmClicks-Autor Matthias Greuling führte mit Emmerich ein ausführliches Gespräch über „Midway“, das Hollywood-Kino und seinen Blick auf Amerika in den Zeiten von Donald Trump.


FilmClicks: Herr Emmerich, Sie haben große Teile von „Midway“ an Originalschauplätzen im Pazifik gedreht. War das ein großer Aufwand?
Roland Emmerich: Von den Drehorten her nicht. Es gibt in Pearl Harbour ganze Gegenden, voran Fort Island, die unverändert stehen gelassen worden sind. Das sind tolle Kulissen. Nur die Drehgenehmigungen waren nicht zu bekommen. Dann trafen wir uns mit dem zuständigen General, der zunächst recht schnippisch war, weil er sagte, „Ach, das wird wieder einer dieser großen Hollywood-Filme, mit einer Love-Story in der Mitte“. Er prahlte damit, einen vergessenen Helden der Schlacht um Midway zu kennen, den todesmutigen Piloten Dick Best, über den niemand mehr spricht. „Wer im Raum kennt Dick Best?“ Die anwesenden Militärtypen kannten ihn nicht, nur ich hob die Hand und sagte: „Unser Film ist über Dick Best“. Das änderte alles: Wir durften überall drehen, wo wir wollten. Und der General bekam sogar eine Statistenrolle im Film.

Roland Emmerich (3. v. l.) am Set: Viel an Originalschauplätzen gedreht © Universum

Auf die Love Story haben Sie aber zum Glück verzichtet.
Für solchen Kitsch wäre sowieso kein Platz gewesen, denn diese Schlachten, die in dieser Zeitspanne von Pearl Harbour bis Midway stattgefunden haben – wir sprechen hier über sechs Monate – sind schon sehr gut auserzählt, da muss man gar nichts mehr dazuerfinden. Ich wollte den Film schon vor 20 Jahren machen, und damals hatte ich einen Deal mit Columbia TriStar, die gerade von Sony übernommen worden waren. Columbia war begeistert von der Idee, aber der Mutterkonzern Sony entschied sich schließlich, den Film nicht zu machen. Darüber war ich irre enttäuscht. Deshalb hat Sony mir damals die Regie zu „The Patriot“ anvertraut, weil sie dachten, ich will einen Kriegsfilm machen, also warum nicht einen über die amerikanische Revolution. Später, als 2001 „Pearl Harbour“ herauskam, konnte das Projekt wieder nicht umgesetzt werden, da musste man dann etliche Jahre zuwarten.
 
Haben die Japaner bei Sony Ihnen „Midway“ deshalb verunmöglicht, weil es darin um den Krieg zwischen Japanern und Amerikanern ging, bei dem die Japaner vielleicht nicht allzu gut wegkamen?
Gut möglich. Ich weiß es nicht. Jedenfalls haben wir diesmal den Film schon vorverkauft, und zwar auf fast alle Kinomärkte außer nach Japan. Als wir den Japanern dann alle Szenen zeigten, in denen Japaner vorkamen, entstand ein regelrechter Bieterwettstreit um die Rechte. Und wir bekamen doppelt soviel als wir eigentlich wollten. Die Japaner haben gemerkt, dass wir das Thema ernst nehmen und niemanden in die Pfanne hauen wollen.
 
Japanische Darsteller in „Midway“: Bieterwettstreit für den japanischen Markt © Universum

Sie waren immer schon bekannt dafür, dass Sie Ihre Projekte den Studios gepitcht haben, anstatt sich sozusagen engagieren zu lassen. Ist das heute immer noch so?
Ja, und ich arbeite heute sogar noch unabhängiger als vor 20 Jahren. Hollywood will ja keine originalen, teuren Filme mehr drehen, sondern nur mehr Franchises und Comicverfilmungen. Überall auf der Welt gibt es aber Independent-Verleiher, die Originalstoffe brauchen. Da gehe ich halt nach Cannes oder nach China und verkaufe die Projekte eben dort.

Roland Emmerich ist also eigentlich ein Independent-Filmer, der auf diese Weise etliche der größten Blockbuster der Filmgeschichte gedreht hat. Schon kurios.
Ja, das stimmt schon, und es hilft mir auch, meine neuen Projekte voranzubringen. Ein bekannter Name schadet nie. Und der große Vorteil bei mir ist, ich kann wirklich machen was ich will. Hätte ein Studio „Midway“ produziert, hätte man darauf bestanden, dass es am Ende eine Jubelszene gibt. Da mache ich nicht mit.
 
Regisseur John Ford drehte 1942 bei den Truppen einen Propagandafilm für die Navy, „The Battle of Midway“. Waren seine Bilder eine Inspirationsquelle für Sie?
Ja, den haben wir uns mehrmals angesehen. Aber es gibt einen besseren Film, der heißt „The Fighting Lady“ und wurde ein Jahr später gedreht. Er zeigt den Alltag auf einem Flugzeugträger. Wir haben einige Einstellungen dieses Films nachgemacht, vor allem die Szenen, in denen die Flugzeuge aus der Schlacht halbzerschossen wieder auf dem Flugzeugträger landen. Die krachten förmlich herunter, das konnten wir in diesem Film gut studieren.
 
Propagandafilme waren während der Zweiten Weltkriegs sehr in Mode. Inwieweit ist man als Regisseur heute bei einem solchen Thema in der Pflicht, Propaganda zu vermeiden?
Da muss man eine scharfe Grenze ziehen. Man kann heute keinen Hurra-Patriotismus auf die Leinwand bringen, sondern muss ein relativ balanciertes Bild schaffen, auch von den „Gegnern“. Bei uns sind 30 Minuten auch die Japaner zu sehen, in Originalsprache mit Untertiteln. Diese Balance braucht es. Den Film von John Ford, der so überladen ist mit Propaganda, kann man sich heute schon fast nicht mehr ansehen, finde ich.
 
Wie wichtig war der Patriotismus für die Soldaten damals und wie wichtig ist er bis heute? Gerade die USA sind ja ein sehr patriotisches Land.
Es gibt verschiedene Aspekte: Es gibt Patriotismus, und per se ist es nichts Verwerfliches, patriotisch zu sein. Was man aber nicht sein sollte, ist nationalistisch. In unseren heutigen modernen Gesellschaften kommt der Nationalismus leider immer mehr in Mode, allerorts gibt es einen Rechtsruck. Genau diese Entwicklungen haben ja dazu geführt, dass es zwei Weltkriege gegeben hat. Die Amerikaner waren immer sehr patriotisch, aber nur wenig nationalistisch. Man gab sich abwartend, was den Eintritt in den Krieg anging. Und dann ging es erst mal nur gegen Hitler-Deutschland. Später hatten die Amis allerdings die Sorge, dass der Krieg an ihre Westküste überschwappt, wenn man im Pazifik verliert. Man hat dort schon Luftabwehr installiert, weil man dachte, die Japaner würden kommen. Genau diese Angst zu zeigen, war das Ziel meines Films. Die USA sind heute eine zutiefst gespaltene Nation, das kann bis zum Bürgerkrieg führen, wenn es so weitergeht. Ich wollte zeigen, dass sie früher einmal Underdogs waren, die mit viel Glück, Mut und absoluter Aufopferung den Faschismus zurückgekämpft haben.
 
Sie sprechen von Bürgerkrieg. Welche Stimmung registrieren Sie im Trump-Amerika?
Es ist einfach nur schrecklich! Amerika hat sich an einen Hochstapler und Bauernfänger verkauft. Und der ist ganz schwer wieder wegzukriegen. Jeder andere Präsident wäre längst zurückgetreten, bei all dem, was im Raum steht. Ich bin eigentlich nur Amerikaner geworden, weil Obama gewählt wurde. Und jetzt bereue ich es fast.

Kriegsszene: „Midway“ wurde um knapp 100 Millionen Dollar realisiert © Universum

Wir sprachen von der Unlust Hollywoods auf gute Geschichten. Wie sehr hat sich das denn gewandelt seit „Independence Day“?
Die Branche hat sich total verändert, Hollywood will kein Risiko mehr eingehen. Bei den Marvel-Filmen haben sie noch den Vorteil, dass sie ihren Titel nicht erklären müssen, weil den eh schon jeder kennt. Und dann packen sie in die „Avengers“-Filme jeden Superhelden, den es jemals gab. Das ist irre. Dass die Superheldenfilme das meiste Geld einspielen, liegt auch daran, dass sie mit irre viel Geld gedreht und vermarktet werden. Ein Marvel-Film kostet rund 300 Millionen Dollar, und dann gibt man weltweit nochmals 250 Millionen an Werbung aus. Bei „Midway“ sind es vielleicht 50, 60 Millionen, bei einem Filmbudget von knapp unter 100 Millionen.
 
Ein Kostenrahmen von unter 100 Millionen Dollar ist für einen Emmerich-Film aber schon fast Low Budget, oder?
Man muss sich ansehen, wie teuer der Film dennoch aussieht. Wir haben schon schwer gespart, hatten lediglich 65 Drehtage.
 
Stimmt es, dass Sie 1977 nach dem Kinobesuch von „Star Wars“ überhaupt erst beschlossen haben, Regie zu studieren?
Das war nicht nur „Star Wars“, sondern vor allem Spielbergs „Unheimliche Begegnung der Dritten Art“, die beide im selben Jahr herauskamen. Ich war damals gerade eine Freundin in Paris besuchen, die dort Mode studierte. Ich schlenderte über die Champs-Élysées und sah plötzlich auf einem Kino, dass hier schon Spielbergs neuer Film lief, und dann noch dazu in englischer Originalfassung. Da bin ich sofort rein. Für mich war das fast wie ein religiöses Erlebnis. Als ich rauskam, stellte ich mich gleich nochmal an in die Reihe, um den Film nochmals zu sehen. Insgesamt sah ich ihn vier, fünf Mal in dieser Woche. Für mich war danach klar: Solche Filme sollte man machen, und nicht dieses deutsche Autorenkino, das mir dagegen unendlich langweilig vorkam.
 
Haben Sie Pläne für ein neues Desaster- oder Alien-Invasion-Movie?
Ja, mein nächster Film wird „Moonfall“ heißen und in dieser Ecke zuhause sein. Der Film handelt davon, dass der Mond droht, auf die Erde zu fallen, und die Menschen ahnen nicht, dass der Mond gar nicht das ist, was alle glauben. So lautet der kurze Pitch. Es wird sicher ein Spaß.



Kritik
Midway - Für die Freiheit
Regie-Star Roland Emmerich schildert in „Midway“ mit viel Action und Abenteuer die Seeschlacht im Pazifik, die den Verlauf des Zweiten Weltkriegs zugunsten der Alliierten verändern sollte.   Mehr...