Guillaume Canet über seinen Film „Zwischen den Zeilen“, die digitale und die analoge Welt


„Man muss sich selbst mögen und nicht die Klicks im Internet zählen“

09.06.2019
Interview:  Peter Beddies

Guillaume Canet: „Wir sind vom Digitalen überrollt und verändert worden“ © Filmladen

Der Franzose Guillaume Canet wurde international bekannt, als er 2000 an der Seite von Leonardo DiCaprio in „The Beach“ spielte. Danach strebte er keine Hollywood-Karriere an, sondern blieb Frankreich treu – nicht nur als (Film- und Theater-)Schauspieler, sondern auch als Drehbuchautor und Regisseur. Derzeit ist Canet in der Hauptrolle von „Zwischen den Zeilen“ im Kino zu sehen. In der neuen Komödie von Olivier Assayas geht’s um die digitale und die analoge Welt, aber auch um Liebe und Kunst. Auf der Leinwand ist Canet in der Rolle eines streitbaren Verlegers mit Oscar-Preisträgerin Juliette Binoche liiert. Das passt: Auch privat lebt Canet Seite an Seite mit einer Oscar-Besitzerin. Er ist seit 2007 mit Marion Cotillard verheiratet. FilmClicks traf den Star aus Paris zum Interview.


„Zwischen den Zeilen“: Guillaume Canet mit Juliette Binoche © Filmladen

FilmClicks: Monsieur Canet, Ihr Film „Zwischen den Zeilen“ ist eine reine Dialogkomödie. Für den Zuschauer sind die Dauer-Wortgefechte sehr amüsant. Aber als Schauspieler…

Guillaume Canet: (lacht) Ja, als Schauspieler musste man verdammt viel Text lernen. Als mir Olivier Assayas von seinem Projekt erzählte, war ich sofort begeistert. Doch als er mir das Drehbuch zeigte, war ich sehr ernüchtert. Um nicht zu sagen schockiert! Denn das Skript war dick wie ein Ziegelstein. Aber was soll`s?! Ich habe bei Theaterstücken schon mehr Text lernen müssen. Und als ich am ersten Drehtag zum Set kam, da wusste ich, dass dieser Film sehr speziell und aufregend zu werden versprach. Denn die Energie im Team konnte man förmlich mit den Händen greifen. Das war stark. Erlebt man nicht sehr oft.
 
Eines der Hauptthemen von „Zwischen den Zeilen“ ist der Siegeszug der digitalen über die analoge Welt. Haben Sie da schon Ihren Weg gefunden?
Tja, große Frage. Also, ich versuche mal, sie folgendermaßen zu beantworten. Ja, ich bin zum Beispiel auf Instagram und stelle dort regelmäßig Bilder von mir hinein. Aber ich versuche, ganz genau darauf zu achten, was ich von mir preisgebe.
 
Also auf keinen Fall etwas Privates.
Na ja, die Grenzen verlaufen da schon sehr fließend. Wissen Sie, es gibt einige Kollegen – und nein, ich werde keine Namen nennen –, von denen ich im Netz Sachen gefunden habe, die mich doch sehr erschreckt haben. Irgendwie habe ich vor diesen Menschen den Respekt verloren. Und bei einigen wünsche ich mir, ich hätte die Sachen im Netz nie gesehen.
 
Was meinen Sie damit konkret?
Viele Menschen versuchen alles Mögliche, um Klicks zu generieren. Das ist der falsche Weg! Man muss sich selbst mögen und nicht die Klicks im Internet zählen. Das wird manchmal vergessen. Keine gute Entwicklung! Also ich persönlich ziehe es vor, von meiner Frau und meinen Kids geliebt zu werden. Mir kommt es manchmal so vor, dass man das digitale Angebot mit Fast Food vergleichen kann. Überall verfügbar und in rasender Geschwindigkeit. Aber was passiert, wenn man nur noch Fast Food zu sich nimmt? Man wird krank!
 
Aus Ihrer Sicht als Schauspieler und Regisseur: Was ist das Schlimmste, das die Digitalisierung mit sich bringen kann?
„Star Wars“-Erfinder George Lucas hat mal gesagt, dass er sein Wohnzimmer nicht mehr verlassen müsse, um einen neuen Film zu drehen. Und er brauche eigentlich auch keine Schauspieler mehr. Das soll die Zukunft sein? Nicht meine!
 
Und Filme bei Streaming-Diensten zu schauen, lehnen Sie das auch ab?
Nein, das kann man nicht ablehnen. Das ist Teil unserer Zukunft. Mich beunruhigt eine andere Entwicklung. In Frankreich haben wir seit einiger Zeit den Trend, dass die Kinos Tickets in Form von Flatrates verkaufen. Und das führt dazu, dass die Zuschauer Kinofilme so schauen, wie sie es bei Netflix und Co. tun. Sie gucken ein paar Minuten. Wenn eine Stelle kommt, die anstrengend ist, verlassen sie den Saal und wechseln in den nächsten. Filme werden nicht mehr zu Ende geguckt. Das ist für die Filmemacher sehr frustrierend.
 
Apropos Frustration: Dieses Gefühl kann bestimmt schon mal aufkommen, wenn Sie so lesen, was im Netz alles über Sie steht…
…und was nicht stimmt?! Oh ja. Aber auch hier lebe ich sehr gut nach der Devise, dass man Frust in Kreativität umwandeln sollte. Ich habe vor zwei Jahren den Film „Rock`n`Roll“ inszeniert. Dem lag eine Begegnung mit einer Journalistin zu Grunde, die mich für ein Interview mit verschiedenen Fakten über mein Leben konfrontierte. Nicht ein Fakt stimmte. Aber scheinbar gibt es Menschen, die sich aus diesen Fake-Fakten ein Bild über mich oder über mein Leben mit meiner Frau Marion Cotillard zurechtbasteln. Das kann man doof finden. Aber ändern kann man da wohl nichts mehr. In dem Fall sind wir vom Digitalen überrollt und für alle Zeiten verändert worden.                  
   
In „Zwischen den Zeilen“ spielen Sie den Verleger Alain, einen dieser typischen französischen Intellektuellen. Haben Sie mit ihm etwas gemein?
Oh nein. Ich habe so überhaupt nichts Intellektuelles an mir, also im richtigen Leben. Als ich diese enorme Menge an Text lernen musste, habe ich das auch oft zu Hause getan. Meine Frau Marion hat sich jedes Mal vor Lachen ausgeschüttet, wenn ich mich wieder in Alain verwandelt habe. Sie meinte auch, dass mir das intellektuelle Gehabe überhaupt nicht steht.



Kritik
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