Umut Dag über „Risse im Beton“


„Ich drehe gern Filme über Leute, die ich nicht verstehe“

22.09.2014
Interview:  Gunther Baumann

Umut Dag: „,Risse im Beton' handelt von Menschen, die keine Gefühle zulassen und zeigen wollen“ © Dag

„Risse im Beton“. Der Wiener Regisseur Umut Dag, 32, hat ein fesselndes Vater-Sohn-Drama gedreht, das im Milieu von Machos, Rappern und Kleinkriminellen spielt. Der Film, der wie schon Dags Kino-Erstling „Kuma“ von der Berlinale zur Weltpremiere eingeladen wurde, ist jetzt in Österreich angelaufen. Umut Dag, der an der Wiener Filmakademie bei Peter Patzak und Michael Haneke studierte, erzählt im FilmClicks-Gespräch über den Dreh und die Hintergründe von „Risse im Beton“, über neue Projekte und seine aktuelle Arbeit für die ORF-Erfolgsserie „CopStories“.


FilmClicks: Was bedeutet der Filmtitel „Risse im Beton“?
Umut Dag: Das ist eine Metapher für Menschen, die eine so harte Schale haben, dass sie Gefühle weder zulassen noch zeigen wollen. Doch in dieser harten Schale entstehen dann Risse, hinter denen man einen Kern entdeckt, der so ähnlich ist wie die Herzen von uns allen. Wie zeigen sie als Menschen wie du und ich, die letztlich die gleichen Empfindungen haben wie wir alle.
 
Die meisten Figuren im Film sind Wiener mit Migrationshintergrund. War das von Ihnen so beabsichtigt?
Nein, das hat sich so ergeben. Ich wollte unbedingt wieder mit Murathan Muslu arbeiten, dem Rapper, den ich als Schauspieler entdeckt hatte. Er sollte die Hauptrolle spielen, und wir haben die Geschichte auf ihn hin entwickelt. Murathan hat einen türkischen Background, aber die Figur seines Sohns war als ein Michael angedacht, nicht als Mikail. Doch die Wiener Jungs, die bei unseren Castings mitmachten, kamen aus Hietzing oder Döbling. Es wäre schwierig gewesen, denen abzukaufen, dass sie aus dem Trabentenstadt-Setting des Films stammen. Und Alechan Tagaev, der die Rolle schließlich bekam – er ist Tschetschene – war einfach der Beste beim Casting. „Risse im Beton“ ist eine Vater-Sohn-Geschichte. Die Herkunft der Figuren und der Darsteller ist egal. Natürlich war mir klar, dass ich durch diese Besetzung ein Risiko eingehen würde.

Premiere: Umut Dag (M.) mit seinen Hauptdarstellern Murathan Muslu (links) und Alechan Tagaev © Michael Schöppl/Filmladen

Warum haben Sie ein Umfeld gewählt, in dem Kleingangster, Dealer und Machos den Ton angeben?
Wir wollten Murathan als Vater in einem Setting haben,  in dem er von vornherein in Schwierigkeiten steckt. Er muss etwas verstecken, er muss ein Geheimnis haben, und er muss einen hohen Kraftaufwand einsetzen, um sich seinem Sohn zu nähern – so eine Situation ist spannender als eine Story, in der von vornherein alles offengelegt ist. Also ist er ein Mann, der aus dem Gefängnis kommt, und der sich den Gefahren stellen muss, die dann lauern. Wir haben darüber lange mit den Bewährungshelfern des Vereins Neustart gesprochen.
 
Wie entstand die Idee zum Film?
Der eine Eckpfeiler war, wie gesagt, Murathan Muslu. Der andere: Ich wollte eine Geschichte über die Jungs aus dem Ausbildungsabbrecher- und Kleindealer-Milieu erzählen, weil ich sie nicht verstehe. Ich mache gerne Filme über solche Leute. Im Zuge der filmischen Arbeit muss ich dann lernen, sie zu verstehen.  Nur so kann ich sie einem Publikum begreiflich machen.  Es hat mich interessiert, herauszufinden, warum es so viele Jungs und auch Mädels gibt, die auf die Schule und auf die Ausbildung pfeifen und die dann mit Anfang Zwanzig schon glauben, ihr Leben sei vorbei, weil sie nichts mehr in der Hand haben. Ich rede nicht von Asylbewerbern, die es wirklich schlimm und hart haben, sondern von Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind. Wie kann man sich der vielen Möglichkeiten, die eine Stadt wie Wien bietet, verwehren?  Wie kann man so borniert sein?

Haben Sie Antworten auf diese Fragen gefunden?
Für diese Leute sind Begriffe wie Ehre und Stolz wichtiger als alles andere. Und ich glaube, sie haben oft keine Basis, um über ihre Situation reflektieren.  Die Freunde, mit denen sie aufwachsen, reflektieren genauso wenig wie sie selbst, und sehr oft kommen sie aus einem Elternhaus, wo solche Überlegungen auch keine Rolle spielen. In der Schule hören diese Kids dann nicht zu, weil das eine Institution ist. Sie kommen nicht auf die Idee, sie könnten für ihr Leben lernen. So entstehen Spiralen, die nicht sehr hilfreich sind, um aus dieser Situation herauszukommen. Es fehlt an Role Models.

 
„Es geht um Machtverhältnisse. Es herrscht der, der am stärksten ist“ © Filmladen

Was mich an „Risse im Beton“ verblüfft hat, war der Mangel an Solidarität und Mitgefühl unter den jungen Leuten, die doch Freunde sind. 
Da geht es um Machtverhältnisse. Es herrscht der, der am stärksten ist. Wenn einer versucht, verbal stärker zu sein, reagiert der andere so, dass er dem Intelligenteren aufs Maul haut. Anders kann er sich nicht wehren, denn er fühlt sich beschämt, weil er nicht zurückreden kann. Viele dieser jungen Leute sind echt an der Kippe. Bei denen hängt es am seidenen Faden, ob sie irgendwann in den Knast kommen oder nicht. Aber das gilt natürlich nicht für die Jugend an sich.
 
Sie arbeiten bei Ihren Filmen mit der Drehbuchautorin Petra Ladinigg, einer Kärntnerin, zusammen. Irgendwie hat es mich verblüfft, dass eine so harte Macho-Geschichte wie „Risse im Beton“ von einer Frau geschrieben wurde.
Petra und ich kennen uns seit der Filmakademie; sie hat dort Drehbuch studiert. Wir haben schon bei meinem Film „Kuma“ gemeinsam die Geschichte und die Figuren entwickelt, und Petra hat das Buch dann geschrieben. Ich finde es toll, dass das jetzt schon zum zweiten Mal so gut geklappt hat. Die Figuren, die wir kreieren und die sie schreibt, polarisieren. Aber sie bleibt an der Realität – warum sollte sie irgendjemand schönzeichnen? Wir entwickeln derzeit bereits unser nächstes Projekt.
 
Haben Sie schon einmal überlegt, einen Film über jene jungen Leute zu drehen, die es reizt, in den Bürgerkrieg nach Syrien zu gehen?
Das ist ein sehr spannendes Thema. Natürlich wäre so ein Projekt mit langwierigen Recherchen verbunden, weil es schwierig ist, an Leute heranzukommen, die sich zu diesem Thema öffnen. Auch hier würde es wieder um Menschen gehen, die ich nicht verstehe.
 
Zurück zu „Risse im Beton“. Mit einem harten Drama wie diesem erhalten Sie viel Aufmerksamkeit.
Das mag schon sein. Doch leider bedeutet große Aufmerksamkeit nicht automatisch ein großes Publikum. Dabei geht es in meinem Film auch  um viele positive Dinge – um Liebe, um tiefe Emotionen, um Vater und Sohn. Nach den Bundesländer-Premieren von „Risse im Beton“ kamen Leute zu mir, die ihre Tickets bei Gewinnspielen bekommen hatten. Und sie sagten: „Danke für diesen wunderbaren, emotionalen Film. Wir sind total ergriffen. Aber wir wären ohne die gewonnenen Karten nicht in den Film hineingegangen.“
 
Ihre Filme kommen bei der Wiener Wega Film heraus, die auch Michael Hanekes Werke produziert. Macht das die Arbeit leichter für Sie?
Nun, ich habe mit Michael Katz einen Produzenten, der mir vertraut und der mir Produktionsbedingungen zur Verfügung stellt, wie sie die wenigsten Filmemacher in Österreich haben. Wir konnten bei einem Budget von 1,9 Millionen Euro sieben Wochen lang drehen. Anderswo wäre man mit so einem Budget schon froh, wenn man fünf oder vielleicht sechs Wochen drehen könnte. Michael Katz hat auch den Anspruch, unbedingt das Bestmögliche aus einem Projekt herauszuholen. So haben wir bis zwei Wochen vor Drehbeginn noch mit einem Dramaturgen, der hinzugezogen wurde, am Drehbuch gearbeitet und an Einzelheiten gefeilt, um die Story noch besser zu machen. Das ist härtere Arbeit als anderswo – aber es ist auch ein Genuss.
 
Derzeit machen Sie etwas ganz Anderes – Sie inszenieren einige Folgen der erfolgreichen ORF-Serie „CopStories“.
Ich bin kurzfristig nach zehn Drehtagen eingestiegen, weil ein Regisseur leider ausgefallen ist, und habe dann selbst noch 23 Tage gedreht – das werden fünf Folgen. Derzeit bin ich beim Schneiden. Das ist eine ganz neue und auch schöne Erfahrung.  Meine Folgen werden aber erst 2015 ausgestrahlt. Jetzt läuft bald die zweite Staffel im ORF, und ich habe an der dritten Staffel mitgearbeitet.



Kritik
Risse im Beton
Wieder ein starker Film aus Österreich. „Risse im Beton“ von Umut Dag erzählt in einem sehr rauen Setting von Menschen, hinter deren betonharter Schale empfindsame Herzen schlagen. Mehr...