Andreas Prochaska


„Das Adrenalin war immer auf Anschlag“

01.02.2014
Interview:  Gunther Baumann

Alpen-Western „Das finstere Tal“: Die Hauptdarsteller Paula Beer und Tobias Moretti © Filmladen

„Die Pumpe beginnt wieder, extrem zu laufen“, sagt Andreas Prochaska. Frisches Lampenfieber. Der Wiener Regisseur steht kurz vor der Weltpremiere des „körperlich anstrengendsten Films, den ich bisher gemacht habe“. Sein Alpen-Western „Das finstere Tal“ kommt am 10. Februar bei einer Gala im Rahmen der Berlinale heraus  (am 14. Februar folgt der reguläre Kinostart). Im FilmClicks-Gespräch erzählt Österreichs vielseitigster Erfolgsregisseur – er kann Horror („In 3 Tagen bist du tot“), er kann Komödie („Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott“), er kann Thriller („Spuren des Bösen“) – über die Herausforderung, im hochalpinen Winter ein Kino-Abenteuer zu drehen, und über die Tücken und Freuden des Regisseurs-Berufs.


Am Set: Andreas Prochaska (re.) mit Sam Riley © Ingo Pertramer

FilmClicks: Wie kamen Sie auf die Idee, in den Alpen eine Art Western zu drehen?

Andreas Prochaska: Vor ein paar Jahren, als wir in Tirol auf Motivsuche für den zweiten Teil von „In 3 Tagen bist du tot“ waren, haben wir einsam gelegene Bauernhöfe gesucht. Ich stellte mir damals schon die Frage,  wie könnte das gewesen sein, wenn Mitte des 19. Jahrhunderts ein Fremder in so ein Bergdorf kam – so eine Story wäre ein Western.  Später las ich dann eine Kritik über den Roman „Das finstere Tal“ von Thomas Willmann. Das war genau das, wonach ich suchte. Ich habe sofort Kontakt zu Willmann aufgenommen,  doch es dauerte ein Jahr, bis er sich dazu durchrang, uns die Verfilmungsrechte zu geben.  Es gab einige deutsche Produzenten, die an dem Stoff interessiert waren.
 
Die Geschichte von „Das finstere Tal“ wird im klassischen Western-Stil sehr stark über Bilder transportiert. Die Dialoge haben weniger Bedeutung. War das Teil Ihres Konzepts?
Ja. Das Wort ist in diesem Fall kein wesentliches Mittel, um den Film zu erzählen.  Ich glaube, dass auch in der Realität früher in diesen Bergdörfern nicht viel geredet wurde. Die Leute hatten eine sehr harte Existenz. Da setzte man sich nicht abends hin und erzählte einander Schwänke aus dem Leben.


 
Der Film punktet mit einem großartigen Ensemble, aus dem Tobias Moretti, Sam Riley und Paula Beer herausragen. Wie wichtig und wie schwierig war das Casting?
Das Casting ist bei jedem Filmprojekt das wichtigste Element nach dem Drehbuch. In diesem Fall war es besonders komplex. Die Dorfgemeinschaft und die Hauptfiguren, die sechs Söhne des Brenner-Bauern, mussten Archetypen sein und glaubwürdig in ihrem Tun. Sie durften einfach nicht aussehen wie verkleidete Schauspieler, die im Wald herumtapsen.     
 
Stand es von Anfang an fest, dass Tobias Moretti den Sprecher dieser Brüder spielen sollte?
Nein. Ich hatte mich zunächst innerlich ein bisschen gegen ihn gewehrt, weil ich nicht wollte, dass „Das finstere Tal“ quasi den Stempel bekommt, es sei ein Moretti-Film.  Aber ich ließ ihm dann das Buch zukommen und wir sprachen über den Film – da war rasch klar, dass kein Weg an ihm vorbeiführt. Von der Schauspielkunst möchte ich gar nicht reden – der Typ und die Kraft, die er mitbringt, sein Alter, das Gesicht: Es hat einfach alles gestimmt.  Ich möchte da Sergio Leone zitieren, der sagte, man müsse Gesichter wie Landschaften einsetzen. Das hat hier sehr gut funktioniert.

„Ich wollte jemand wie den jungen Alain Delon“: Sam Riley in „Das finstere Tal“ © Filmladen

Dann brauchten Sie für die Rolle des amerikanischen Besuchers Greider einen Amerikaner oder Engländer, der deutsch sprechen kann.
Genau. Es war ein großer Glücksfall, dass wir Sam Riley fanden. Ich habe herumgegoogelt, und als ich auf einer Agenturseite sein Gesicht fand, dachte ich mir sofort, der ist es. Als Vorbild hatte ich jemand wie Alain Delon in „Der eiskalte Engel“ vor Augen: Einen jungen, intelligenten Mann, der auf den ersten Blick von allen unterschätzt wird. Einen Mann zudem, der auch eine große Traurigkeit ausstrahlt – wenn man den Film gesehen hat, weiß man warum.   Alles das hat Sam mitgebracht, und er war der einzige, den ich angesprochen habe für die Figur. Was die Deutsch-Kenntnisse betraf, wusste ich, dass er mit einer Berlinerin, mit der Schauspielerin Alexandra Maria Lara, verheiratet ist.
 
Hat Riley gleich zugesagt?
Es war gar nicht so leicht, an ihn heranzukommen.  Wir mussten seine englischen Agenten überwinden.  Die haben ihm zwar das Drehbuch geschickt, aber mit der Fußnote, das brauchst du dir gar nicht anzuschauen. Dann kam ein Mail, „Sam is not interested“.  Wie sich später herausstellte, hat er das Buch damals gar nicht gelesen. Produzent Stefan Arndt von unserem deutschen Partner X-Filme hat dann über Tom Tykwer und private Kanäle dafür gesorgt, dass man Riley das Buch quasi aufs Nachtkastl legte. Wir haben uns anschließend innerhalb von einer Woche getroffen und alles hat gepasst: Ich war nervös, weil ich unbedingt wollte, dass er die Rolle spielt – und ich bemerkte, er war nervös, weil er die Rolle unbedingt spielen wollte. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft (lacht).
 
Für die weibliche Hauptrolle einer jungen Tirolerin haben Sie die Berlinerin Paula Beer engagiert. Wie kam denn das zustande?
Paula war ein Vorschlag unserer deutschen Casterin, und es war relativ schnell klar, dass auch an ihr kein Weg vorbeiführt. Paula hat sich den Tiroler Dialekt angeeignet und verkörpert das Herz des Films. Es war ganz wichtig, dass diese Figur der Luzi eine gewisse Jungfräulichkeit ausstrahlt. Eine 17-Jährige zu finden, die so ein Gefühl transportieren kann, war gar nicht so leicht. Paula wurde während des Drehs 18 Jahre alt.
 
Sie hatten also eine Geschichte, und Sie hatten eine Besetzung. Wie wurde aus der Vision ein Film?
Zunächst mussten wir einen 350-Seiten-Roman auf ein 90-Minuten-Drehbuch verdichten. Das ging recht flott von der Hand, Martin Ambrosch und ich haben das Skript in fünf Wochen geschrieben. Das lag auch am Zeitdruck: Am 21. Dezember 2011 gab uns Romanautor Thomas Willmann die Filmrechte. Im Februar 2012 begannen wir zu schreiben, im April haben wir das Projekt bei den Förderstellen eingereicht. Und im Oktober 2012 fingen wir schon an, die Dekorationen zu bauen. Das lag an den jahreszeitlichen Gegebenheiten. Man kann diesen Film nur im Winter drehen, und wenn wir nicht im Winter 2013 begonnen hätten,  dann hätten wir ein ganzes Jahr länger bis jetzt warten müssen. Dass uns die Realisierung in so kurzer Zeit gelang, liegt auch daran, dass wir mit diesem Projekt überall offene Türen einrannten. Das Interesse war von Anfang an sehr groß.
 
Ist „Das finstere Tal“ ein teurer Film?
Wir hatten ein Budget von 6,5 Millionen Euro, was auf den ersten Eindruck nach sehr viel Geld klingt.  Im internationalen Vergleich ist so ein Betrag allerdings ganz wenig Geld. In diesem Fall gingen sehr hohe Beträge allein in die Logistik. Unser Tal war das Schnalstal in Südtirol. Die Reisekosten, die Quartiere und der Aufwand, unser ganzes Material und die Ausrüstung dorthin zu bekommen – da bleibt viel Geld liegen. Und wir mussten mächtig drauf schauen, dass wir vor der Kamera einen hohen Production Value erzielen: Aufgrund des engen Budgets haben wir ständig überlegt, wie machen wir es am schlauesten. Das war spannend.
 
Der Western-Look: „Es gibt keine Gamsbärte und keinen Seppl-Hut“ © Filmladen

Abgesehen von seinen anderen Qualitäten – der Film schaut verdammt gut aus.
Das beginnt bei den Kostümen. Wir wollten dem Film einen Western-Look und keinen alpinen Look geben. Es gibt keine Gamsbärte und keinen Seppl-Hut. Wir versuchten, etwas zu finden, was glaubwürdig ist in den Materialien, aber trotzdem cool ausschaut. Der Look des Films ist eine Mischung aus Plan, Improvisation, viel Energie und auch großem Glück, weil uns das Wetter hold war. Zum Beispiel bei den Frühjahrs-Szenen, in denen es sehr stark regnet: Wir hätten es uns nie leisten können, diesen Regen künstlich herzustellen.  Das ganze Team litt unter der Feuchtigkeit und dem Dreck – aber für den Dreh war der Regen sensationell.
 
In einer visuell atemraubenden Szene zeigen Sie, wie Holzfäller ganze Baumstämme über eine Art hölzerne Rutschbahn ins Tal jagen.
Die Szene kommt auch im Roman vor. Wir fanden in Südtirol Leute, die diese Holzriese – so heißen die Rutschbahnen – noch bauen können, und die haben das für uns hergestellt. Die Holzriese hat funktioniert und war entsprechend lebensgefährlich, weil wir echte Baumstämme runtergeschickt haben.  Die Sicherheitsvorkehrungen waren  hoch. Der Nebel und der Schneesturm, den man in dieser Szene sieht, wurden aber künstlich hergestellt.  Zum Glück kam die Sonne nicht raus – sonst hätten wir mit unserem Nebel einpacken können…
 
Wie fühlten Sie sich als Regisseur bei solchen Gratwanderungen?
Das Adrenalin war immer auf Anschlag. „Das finstere Tal“ ist sicher der körperlich anstrengendste Film, den ich bis jetzt gemacht habe.  Mit so einem Genre-Film lehnt man sich weit aus dem Fenster, weil man mit allem verglichen wird, was es schon gibt. Also muss jedes Detail stimmen – in einer Situation, in der man weiß, man hat nur acht Stunden Tageslicht pro Tag und man muss das Team bei so anstrengenden Bedingungen auch schonen. Der Dreh war ein Hasardspiel von vorne bis hinten.
 
Sind Sie ein Spieler?
Ich bin sicher kein Spieler, denn ich möchte schon immer alles unter Kontrolle haben. Wäre ich gläubig, würde ich sagen,  dass ich ein gewisses Gottvertrauen habe. Doch ich bin nicht gläubig. Wie sagt man? Wird schon schief gehen. Wenn ich mir an einem Drehtag morgens vorstellen würde, was alles danebengehen kann, dann stehe ich erst gar nicht auf. Dann bleibe ich im Bett liegen und hoffe, dass der Tag vorbeigeht.  Risiko ist beim Filmen immer dabei – und man muss bereit sein, dieses Risiko einzugehen.
 
Manche Regisseure sagen, sie kommen während eines Drehs auf nicht mehr als vier Stunden Schlaf pro Nacht. Ist das übertrieben?
Das ist unterschiedlich.  Um ein Beispiel zu nehmen: Wir hatten den Winter-Dreh gut hinter uns gebracht, doch trotzdem war ich im Frühjahr total angespannt, weil immer noch alles schiefgehen konnte. Wir mussten für den Frühjahrs-Dreh genau das Zeitfenster erwischen, wenn kein Schnee mehr liegt, aber diese blöden Lärchen noch nicht grün sind. In der Phase habe ich sicher drei Nächte gar nicht geschlafen. Zum Schluss kam ich mir selber vor wie ein Zombie am Set. Es ist dann aber sehr schwer, den inneren Motor wieder auf eine niedrige Drehzahl herunterzubringen, um entspannen zu können. Man lebt halt seinen Film, und je höher die Anforderungen sind, desto höher wird auch der eigene Energielevel. Es gab Momente, in denen ich extrem erschöpft war.
 
Wie fühlt es sich dann am letzten Drehtag an, wenn diese Arbeit getan ist?
Die Spannung bleibt. Sie löst sich vielleicht zwei Wochen, nachdem der Film im Kino angekommen ist und man sieht, dass alles funktioniert. Sobald man einen Film abgedreht hat, folgt die Schnittphase, in der man alles noch ruinieren kann. Dann folgt die Phase der Vertonung, und die Musik muss gemacht werden. Man arbeitet im Bewusstsein, dass kein falscher Ton im Film sein darf: Die Pferde müssen gut klingen, die Schüsse müssen gut klingen, die Musik braucht die richtige Balance, um die Handlung zu unterstützen, ohne in den Vordergrund zu drängen. Gerade die letzten Entscheidungen bei einem Film sind oft die härtesten, weil sie endgültig sind.  


 
Und sind Sie mit dem Resultat zufrieden?
Als ich „Das finstere Tal“ zum ersten Mal fertig sah, war ich den Tränen nahe. Da spürte ich, was für eine lange und intensive Reise diese Arbeit war. Zwischendurch durch war also etwas Entspannung angesagt. Aber jetzt, kurz vor dem Kinostart, fängt die Pumpe wieder an, extrem zu laufen. Für mich ist jeder Film ein Teil meines Lebens und ein Abbild von mir aus der Zeit, als ich den Film machte.
 
War Regisseur schon immer Ihr Traumberuf?
Ich komme aus Bad Ischl und saß dort als Kind oft im Lehár-Kino. Damals dachte ich: Filme macht man in Hollywood. Die Vorstellung, so etwas selber zu machen, erschien mir ähnlich realistisch wie die Idee, ich könnte Astronaut werden. Das war ganz weit weg. Als ich in Wien dann mit der Filmbranche in Berührung kam, wurde der Wunsch geweckt, selbst Filme zu inszenieren. Ich habe aber nicht Regie studiert, ich bin Autodidakt. Meine Filmakademie waren der Schneideraum und die eine oder andere Regie-Assistenz, die ich gemacht habe. Irgendwann hatte ich die nötige Chuzpe, zu sagen, okay, jetzt probiere ich das auch.  Meine erste Regie war 1998 der Kinderfilm „Die drei Posträuber“ nach dem Buch von Christine Nöstlinger .Wenn ich damals vor dem ersten Drehtag gewusst hätte, was da alles auf mich zukommt, wäre ich wahrscheinlich schreiend davongelaufen.  
 
Sie bekommen für Ihre Filme meist glänzende Kritiken. Gab es einen Moment, in dem Sie selbst feststellten, was Sie da machen, ist einfach gut?
Nein.  Ich bin ein notorischer Zweifler und habe oft das Gefühl, etwas hätte noch besser gehen können. Ich mache alles so gut, wie ich es nach meinem Dafürhalten machen kann. Wenn das von außen anerkannt wird, freut man sich natürlich. Die nächste Hürde ist stets der nächste Film.