Wild Tales

Groteske Geschichten über die Wut


FilmClicks:
„Wild Tales“ Zwei Helden der Landstraße geraten aus läppischen Gründen in Streit © Thim Film
DIE STORY: Von einer Story im herkömmlichen Sinn kann man beim Episodenfilm „Wild Tales“ nicht sprechen, nur von einem gemeinsamen Nenner: Alle sechs Geschichten, die in dieser rabenschwarzen Groteske aus Argentinien erzählt werden, handeln von Menschen, die irgendwann komplett durchdrehen.
In der ersten Episode stellen die Insassen eines Flugzeugs fest, dass sie alle einen gewissen Pasternak in (unerfreulicher) Erinnerung haben. Als sie bemerken, dass dieser Zufall kein Zufall ist, da haben sie ihre Aussichten auf eine gedeihliche Zukunft schon verspielt.
Die zweite Episode  handelt von einer Kellnerin, die in einem Gast den Kredithai wiedererkennt, der ihren Vater ruinierte. Was tun? Die Köchin macht den Vorschlag, das Essen des Mannes mit einer Prise Rattengift zu würzen.
Story Nummer drei ist ein kleines Road Movie: Ein smarter Audi-Pilot müht sich ab, auf der Landstraße den störrischen Fahrer einer dahintuckernden Rostschüssel zu überholen. Als das endlich gelingt, zeigt er dem Kontrahenten den Stinkefinger. Wenig später allerdings hat der Audi-Mann eine Reifenpanne. Auch der andere Fahrer bleibt stehen – aber nicht, um zu helfen…
In diesem Stil geht es weiter: „Wild Tales“ erzählt von Wutbürgern und vom alltäglichen Wahnsinn, der hier allerdings nie ein alltägliches Ende findet.
 
DIE STARS: Keine Stars. Allein in den Hauptrollen sind 17 bei uns gänzlich unbekannte Darsteller aus Argentinien im Einsatz. Auf Namensnennung wollen wir deshalb ausnahmsweise verzichten. Die Schauspieler aus Lateinamerika agieren ausnahmslos vorzüglich, was gewiss auch Autor/Regisseur Damián Szifrón zu verdanken ist. Der Argentinier wurde mit „Wild Tales“ 2014 zum Festival Cannes eingeladen.
 
DIE KRITIK: Es beginnt alles ganz harmlos. Ein Flugzeug hebt ab; die Passagiere kommen miteinander ins Gespräch. Sie kennen einander nicht, aber sie erkennen, dass sie einen gemeinsamen Bekannten haben. Pasternak.
Der muss ein ziemlicher Unsympath sein, ein Versager, ein Querulant. Einem Reisenden nach dem anderen fällt eine Pasternak-Anekdote ein, und all diese Storys rücken den Mann in ein sehr unfreundliches Licht.
Irgendwann sind die Geschichten erzählt, und langsam dämmert den Reisenden die Frage: Hat Pasternak etwas damit zu tun, dass alle hier in der Luft beieinander sitzen? Hat er mit den Reisenden vielleicht eine Rechnung offen, ein Hühnchen zu rupfen – dürstet es ihn nach Revanche für erlittene Beleidigungen?
Plötzlich senkt das Flugzeug seine Nase. Die Perspektive wechselt zu einem Paar in einem Garten, das verschreckt davonstiebt, als ihm ein Jet im Sturzflug entgegendonnert. Schnitt, Blackout. Die Story von Pasternak ist vorbei.
Man würde gern mehr erfahren über die Hintergründe dieser Episode, doch Regisseur Damián Szifrón eilt schon seinen nächsten „Wild Tales“ entgegen.
Nach dem Kredithai und den verbohrten Autofahrern tritt in der vierten Story ein Sprengstoffexperte auf, ein achtbarer Bürger, der vollkommen aus der Fassung gerät, weil er sein Auto zu Unrecht abgeschleppt wähnt. In weiterer Folge geht’s dann um einen Millionär, der einen Unfall vertuschen will, den sein Sohn angerichtet hat. Und um eine Hochzeit, die aus dem Ruder läuft, weil der Bräutigam nicht nur der Braut schöne Augen macht.

Nicht jede Hochzeit wird zum schönsten Tag im Leben der Liebenden © Thim Film

In allen sechs Episoden geht’s aber letztlich um das Gleiche: Um einen Vulkan aus Wut, der bei den handelnden Figuren unter der Fassade des bürgerlichen Heldenlebens brodelt.  Es ist die persönliche Wut über Ungerechtigkeiten, die der eine oder die andere im Lauf der Jahre erlitten haben. Und es ist die Wut über eine Gesellschaft voller Doppelmoral, in der die Reichen und Mächtigen es sich richten können, während die kleinen Leute draufzahlen.
Mit diesem Thema ist „Wild Tales“ eine Parabel über Zustände, die weiß Gott nicht nur in Argentinien die Menschen bewegen. Dass der allgemeine Wutpegel steigt, ist in vielen Ländern feststellbar. Die aktuelle Pegida-Bewegung in Deutschland ist nur ein Beispiel dafür. „Wild Tales“ bringt dieses Phänomen sehr pointiert und obendrein unterhaltsam auf die Leinwand. Mit einem Einwand, was das Filmhandwerk betrifft: Spätestens nach der dritten oder vierten Episode hat man das Strickmuster des Films durchschaut. Dann wird die Farce ein wenig ermüdend.
 
IDEAL FÜR: Freunde des schwarzen Humors, die auch an gesellschaftlichen Entwicklungen Anteil nehmen.






Trailer
LÄNGE: 122 min
PRODUKTION: Argentinien / Spanien 2014
KINOSTART Ö: 08.01.2015
REGIE:  Damián Szifrón
GENRE: Drama|Komödie
ALTERSFREIGABE: ab 14