Nobadi

Die Odyssee des Lebens


FilmClicks:
Der Einwanderer (Borhanulddin Hassan Zadeh) und der Rentner (Heinz Trixner) © EPO / Domenigg
GESAMTEINDRUCK: „Nobadi“, die dritte Regie-Arbeit von Karl Markovics, ist ein knallhartes Drama über Flucht, Verdrängung und Verantwortung,  über Schuld und Sühne, aber auch über die Odyssee des Lebens.
 
DIE STORY: Der 93-jährige Wiener Rentner Heinrich Senft (Heinz Trixner) engagiert den afghanischen Flüchtling Adib Ghubar alias Nobadi (Borhanulddin Hassan Zadeh), um in seinem Schrebergarten ein Grab für seinen Hund auszugraben, der in der Nacht zuvor gestorben ist. Der grantige Alte behandelt (und bezahlt) seinen Helfer ausgesprochen schlecht. Als der Wiener jedoch entdeckt, dass der Migrant unter einer schweren Fußverletzung leidet, die er sich auf der Flucht zugezogen hat, will er ihm helfen. Es wird eine sehr radikale Form von Hilfe.

Die Arbeit: Der Helfer schaufelt, was das Zeug hält © EPO / Domenigg

DIE STARS: Der Wiener Schauspiel-Star Karl Markovics, der durch die Hauptrolle in Stefan Ruzowitzkys Oscar-Sieger „Die Fälscher“ international bekannt wurde, macht immer wieder Abstecher zur Regie. „Nobadi“ ist nach „Atmen“ (2011) und „Superwelt“ (2014) der dritte Film, den er geschrieben und inszeniert hat.
Hauptdarsteller Heinz Trixner, gebürtiger Kärntner, hat im Laufe seiner fünf Jahrzehnte umspannenden Karriere an den großen Theatern in Hamburg, Düsseldorf, München und Wien gespielt. Er wurde auch häufig für große TV-Serien engagiert.
Der 23-jährige Afghane Borhanulddin Hassan Zadeh, der neun Sprachen und Dialekte spricht, kam 2012 als Flüchtling nach Wien. Hier fand er in einem von „Vorstadtweiber“-Star Hilde Dalik ins Leben gerufenen Theaterprojekt zur Schauspielerei. „Nobadi“ ist sein erster Film. Weitere werden wohl bald folgen.

Die Verletzung: Der Alte kümmert sich um Nobadi © EPO / Domenigg

DIE KRITIK: Karl Markovics neuer Film „Nobadi“ spielt in einer Wiener Kleingarten-Anlage namens „Zukunft“. Doch Zukunft ist etwas, wovon die beiden Protagonisten der Geschichte nicht viel haben. Der eine, Heinrich Senft, weil er mit 93 Jahren schon sehr alt ist. Und der andere  Adib Ghubar, weil er als Flüchtling erst einmal um einen Platz in der Gegenwart kämpfen muss, bevor er Pläne über sein weiteres Fortkommen schmieden kann.
Ghubars Gegenwart schaut jedenfalls alles andere als rosig aus. Vom grimmigen Rentner Senft lässt er sich auf einen Stundenlohn von drei Euro runterhandeln. Dann schuftet er verbissen, um eine Grube auszuheben – und muss sich, selbst stets freundlich, schlimme verbale Tiefschläge seines Auftraggebers gefallen lassen.
Trotzdem entsteht zwischen den zwei Männern eine Verbindung. Sie beginnen, einander von ihrem Leben zu erzählen. Adib Ghubar berichtet über seine Zeit als Dolmetscher bei der Nato in Afghanistan, wo man ihm den Namen Nobadi gab (und als Tätowierung auf die Haut ritzte). Nobadi wie Nobody. Niemand. Damit man seiner Familie im Extrem-, sprich Todesfall sagen könnte, niemand sei gestorben. Ein Kunstgriff, den schon Odysseus auf seiner Irrfahrt beim Zyklopen anwendete.
Auch Heinrich Senft war einst beim Militär. Er diente als in Hitlers Wehrmacht als Sanitäter. Dabei hat er gewiss so manche gute Tat getan. Aber, wie sein Herumdrucksen erahnen lässt, auch viel Schlimmes. Und jetzt, im Gespräch mit dem Zuwanderer, das ein wenig den Charakter einer Beichte bekommt, plagt ihn das schlechte Gewissen. Eine gute Basis für die fast schon fanatische Hilfsbereitschaft, die ihn überkommt, als er erkennt, dass sein Helfer sehr ernsthaft verletzt ist.
Karl Markovics zeigt in „Nobadi“ wieder einmal sein Können als Autor. Das Motiv der Odyssee, das schon im Filmtitel angedeutet wird, zieht sich durch die Geschichte durch. Der Einwanderer aus Afghanistan hat eine physische Odyssee hinter sich. Erst überstand er die Gefahren der Flucht. Nun, nach seiner Ankunft, muss er mit der Abweisung der Einheimischen zurechtkommen, die ihm entgegenschlägt.  Beim Wiener Pensionisten ist die Odyssee eine seelische. Er hat in der Nazi-Diktatur Schuld auf sich geladen, die er verdrängt, aber niemals wirklich verarbeitet hat. Beide Männer strahlen eine gewisse Verlorenheit aus, als würde ihre Irrfahrt niemals enden.
Der Regisseur Markovics leitet seine Protagonisten zu wunderbar detailreichem Spiel an. Der Schauspiel-Veteran Heinz Trixner und der Neuling Borhanulddin Hassan Zadeh werden zu einem exzellenten Gespann. Trixner gibt dem schroffen, verbitterten und bösen Heinrich Senft eine raue Schale, die aus Eisen geschmiedet zu sein scheint – bis sich dann doch der Hauch eines weichen Kerns aus Menschlichkeit erahnen lässt. Zadeh strahlt Charme, Klugheit und unendliche Geduld aus. Zugleich ist eine melancholische Traurigkeit über seine Entwurzelung spürbar – und die latente Sorge, wie es mit ihm im fremden Österreich weitergehen soll.
Die beiden ungleichen Männer werden zwar keine ziemlich besten Freunde, aber man kann es verstehen, dass sich Heinrich Senft des jungen Mannes fürsorglich annimmt, als er herausfindet, wie schwer  Nobadi verletzt ist. Weil er als U-Boot ohne Papiere in Wien lebt, verweigert der Afghane den Gang in ein Spital. Also sucht der Alte mit ihm die Tierärztin auf, die sich früher um seinen Hund kümmerte.
Hier nun nimmt die Geschichte eine Wendung, die den Film brutal verändert. Karl Markovics wendet Stilmittel an, die man eher in einem Horror-, wenn nicht gar Splatter-Film vermuten würde als in einem Arthaus-Drama. Heinrichs Hilfe wird sehr blutig, und der Film zeigt das explizit. Wenn „Nobadi“ endet, hat man das Gefühl, aus einem Schocker zu kommen. 
Diese Erzählweise ist ein Wagnis, bei dem wohl nicht alle Zuschauer dem Regisseur folgen werden. Nach dem Dafürhalten des Rezensenten nimmt sich der Film durch das blutrote Finale viel von seiner Wirkung.
 
IDEAL FÜR: die Freunde intensiver Arthaus-Dramen und für die Fans der Filme von Karl Markovics.
 






Trailer
LÄNGE: 89 min
PRODUKTION: Österreich 2019
KINOSTART Ö: 04.10.2019
REGIE:  Karl Markovics
GENRE: Drama
ALTERSFREIGABE: ab 16


BESETZUNG
Heinz Trixner: Heinrich Senft
Borhanulddin Hassan Zadeh: Adib Ghubar